Betriebsanleitung für das Raumschiff Erde

Von Volkhard App · 11.06.2011
Ein unglaubliches Bild: Über einer bizarren Gebirgslandschaft schweben große Kugeln. In ihnen, so sah es die Vision von Richard Buckminster Fuller vor, sollten Menschen in Wohneinheiten leben. Auch schwimmende Städte konnte er sich vorstellen, um der Raumnot zu begegnen.
Ganze Häuser, an Masten befestigt, wollte er wie Bäume in die Landschaft setzen, und Manhattan mit einer Kuppel versehen, um Schadstoffe von den Bürgern fernzuhalten, was freilich auch eine Stillegung des Verkehrs zur Voraussetzung gehabt hätte.

Ein ganzes Universum an alternativen Ideen hat Buckminster Fuller in sich getragen, wollte konventionellen Denk- und Bauweisen trotzen, der Schwerkraft entgegenwirken und vor allem neue Lebensformen entwickeln, damit die Menschheit auf diesem Planeten wirklich heimisch werden konnte. Stararchitekt Norman Foster hat zwischen 1971 und '83 für Fuller gearbeitet und diese Ausstellung initiiert:

"Bucky war befasst mit der Zerbrechlichkeit unseres Planeten, der ökologischen Systeme. Dass wir sie zu respektieren haben und in Übereinkunft mit der Natur handeln müssen, ist heute noch wichtiger als damals. Er hat viele Probleme vorhergesehen, mit denen wir heute konfrontiert sind. Er hat immer über die Gefahren gesprochen – über die Fragen der Energie und der Nachhaltigkeit. Er hatte den optimistischen Glauben, dass für jeden eine höhere Lebensqualität möglich ist und der Planet mithilfe unserer Intelligenz überleben wird."

Originalzeichnungen Fullers, Modelle und Fotos machen sein Spektrum in einmaliger Dichte anschaulich. Sogar das von ihm in den frühen 30er-Jahren entworfene stromlinienförmige Auto hat Foster in einer weiteren Version bauen lassen.

Viele Pläne hatte das Genie Fuller. Tatsächlich verwirklicht wurden die sich selber tragenden kuppelförmigen Bauten, die wie Planetarien aussehen und von ihnen auch inspiriert waren: mit allen Vorzügen in punkto Materialökonomie und Raumgewinn, mit viel Licht und einer Ästhetik der Leichtigkeit. Spätestens mit dem US-Pavillon auf der Weltausstellung 1967 in Montreal waren diese Kuppeln, für die Fuller ein Patent hatte, überall bekannt. Er wurde mit seiner Architektur und dem ganzheitlichen Denken in alternativen Kreisen populär, die runden Leichtkonstrukte zogen in den Alltag ein, selbst in Gestalt von Zelten. Museumsdirektor Roland Nachtigäller zur gegenwärtigen Bedeutung von Richard Buckminster Fuller:

"Ich glaube, dass er komplett neu zu entdecken ist. Ein Denker und Konstrukteur, der auf vielen Gebieten tätig war. Wenn man sich in der Ausstellung umschaut, merkt man, dass es ein ganzes Universum von Ideen ist, von Konstruktionen und sonstigen Visionen, die man gerade in unserer heutigen Zeit neu entdecken kann. Fragen, die wir mit Naturschutz und Weiterentwicklung unserer technischen Möglichkeiten haben - diese Dinge auf eine globale Fragestellung anzuwenden und nicht immer weiter zu isolieren, das war einer seiner ganz großen Ansätze."

Vom "Raumschiff Erde” hatte Fuller 1951 erstmals gesprochen. Als Spezialist wollte er nicht gelten, sondern universell denken, den Trabanten mit all seinen ökologischen, sozialen und politischen Problemen ins Visier nehmen. Ein weiter Blick, der uns heute in einer Zeit des Umdenkens nicht fremd ist und der zum Handeln verpflichtet.

Roland Nachtigäller: " Ich denke, es verpflichtet dazu, uns als Menschheit, als Ganzes zu sehen, die wir gemeinsam unterwegs sind - nicht nationenweise oder sogar individuell, sondern als eine große Gemeinschaft, die Verantwortung übernehmen und Lösungen finden muss für die sich unausweichlich stellenden Probleme."

Allerdings schwingt in Fullers Schriften immer ein gehöriger Fortschrittsglaube mit. Die ideologisch befangenen Politiker, die unfähig scheinen, globale Probleme wirklich zu lösen, würden eines Tages durch Computer ersetzt, schrieb Fuller in seiner "Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde”.

Die zweite Ausstellung im Herforder Marta will zeigen, wie sich die Ideen Fullers in der zeitgenössischen Kunst spiegeln. Dabei sind die Bezüge oft sehr assoziativ: Von den 22 Künstlerinnen und Künstlern werden geometrische Formen aufgegriffen, Körper entfaltet oder durch Seile in den Raum gespannt, Tücher bewegen sich auf und ab, und eine an der Denke hängende "Galaxie” aus Neonröhren hat wohl mit dem Raumschiff Erde zu tun. Wo bleiben die großen Visionen Fullers? Friederike Fast betreut diese Schau:

"Die Visionen spielen bei einigen Künstlern eine präzise Rolle, zum Beispiel bei Tomás Saraceno, der noch am stärksten an den Architektur-Utopisten Buckminster Fuller anknüpft und wirklich die Behausungen zum Fliegen bringen möchte - und so die Utopien vor Augen hat."

Von Olafur Eliassons gewaltig strahlender Sonne bis zum vielflächigen Objekt von Ai Wei Wei reicht die Bandbreite. Doch manche der hier präsentierten Werke sind bedeutend allein durch ihre Nähe zu Buckminster Fuller. Immerhin finden sich auch Arbeiten, die sich ironisch mit ihm auseinandersetzen. Und die Panzersperren, aus denen die hohe Skulptur von Lucas Lenglet besteht, sind womöglich ein Hinweis auf Finanzquellen Fullers: Die Entwicklung einiger Projekte wurde vom Militär gefördert. Das hat den Ruhm des Vordenkers zeitweise getrübt, den Mythos letztlich aber nicht verhindert.

Richard Buckminster Fuller "reloaded": Wer sich mit dem Universum dieses Mannes beschäftigen will, sollte unbedingt nach Herford fahren.

Informationen des Marta Herford zu den Ausstellungen "Bucky Fuller & Spaceship Earth" und: "Wir sind alle Astronauten - Universum Richard Buckminster Fuller im Spiegel zeitgenössischer Kunst"
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