Betreuungsvereine in Brandenburg

Geld und Anerkennung gesucht

08:42 Minuten
Ambulante Alten- und Krankenpflege im Land Brandenburg. Ein Betreuer versorgt einen Patienten in einem Wohnzimmer.
Ein Betreuer oder eine Betreuerin verdient zwischen 2400 und maximal 3000 Euro brutto. Das sei zu wenig, so die Brandenburger Lebenshilfe. © picture alliance/dpa/Moritz Vennemann
Von Vanja Budde · 17.07.2019
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Rechtliche Betreuer tragen große Verantwortung und entscheiden sogar über lebensverlängernde Maßnahmen. Dienst nach Vorschrift reicht da nicht. Seit Kurzem sind sie finanziell besser gestellt – den Hilfsbedürftigen und ihren Betreuern hilft das aber kaum.
Mirko Bengsch aus Königs Wusterhausen war Paketausfahrer, und er war es gerne: Der anstrengende Job hat ihm Spaß gemacht. Doch seit drei Jahren kann der 47-Jährige nicht mehr Auto fahren, nur mit langsamen Trippelschritten und am Stock laufen.
"Ich hatte einen Schlaganfall. Ich war linksseitig gelähmt."
Die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin ging in die Brüche, er war überschuldet, konnte einen Kredit nicht mehr bedienen. Mirko Bengsch brauchte Hilfe. Und fand sie in Gestalt seiner rechtlichen Betreuerin Anja Putzke.
"Also Frau Putzke hat für mich meine ganzen Finanzen geordnet, macht meinen ganzen Schriftkram, was von den Behörden kommt. Wenn zum Beispiel eine Mahnung gekommen ist, darum hat sie sich gekümmert, wenn irgendwo was gekündigt werden musste, zum Beispiel mein Abo oder so, darum hat sie sich gekümmert und hat das abbestellt."

Betreuung von Menschen, die alleine nicht mehr klar kommen

Nach der Teambesprechung beim Verein Lebenshilfe Brandenburg in Königs Wusterhausen fahren die Betreuerinnen und Betreuer los – zu Menschen, die alleine nicht mehr klar kommen. Sechs Kolleginnen und ein Kollege sind sie an diesem Standort, erzählt Büroleiterin Anja Putzke, 41. Im Durchschnitt kümmert sich ein Betreuer um rund 30 Männer und Frauen, für die ein Gericht die gesetzliche Betreuung angeordnet hat. Oft treffen die rechtlichen Betreuer auf Vorbehalte, weil die Klienten einen Teil ihrer Selbstbestimmung an Fremde abgeben müssen. Nicht so bei Mirko Bengsch.
"Ich war nicht dagegen. Ich fand das eigentlich ganz gut, dass das beantragt wurde. Weil, wie gesagt, ich konnte es ja nicht alleine mehr machen. Man sitzt ja zu Hause und aus der vierten Etage runterkommen ist schwer."
Nach Krankenhaus und Reha zog Mirko Bengsch zu seiner selbst pflegebedürftigen Mutter in eine Zweiraumwohnung im vierten Stock. Sozialpädagogin Anja Putzke hat ihm nun eine eigene Bleibe besorgt, obwohl das eigentlich nicht zu ihren Aufgaben gehört hätte: Die rechtliche ist keine soziale Betreuung. Doch Putzkes ersten Antrag auf soziale Hilfe, Eingliederungshilfe genannt, hatte die Kommune abgelehnt.
"Dennoch sehe ich in dem Fall die Notwendigkeit, weil ein Zusammenleben eines Mitte-40-Jährigen mit seiner Mutter, die einen eigenen Hilfebedarf hat, in einer Zweizimmerwohnung, kann nicht das Optimum sein und hat auch nichts, nicht mehr viel für mich mit Menschenwürde zu tun."

Fehlende Leistungen und Hilfsbedürftige

Anja Putzke ärgert es, wenn Hilfsbedürftige Leistungen nicht bekommen, die ihnen eigentlich zustehen, weil an Sozialausgaben gespart wird.
"Es gibt viele Fälle, wo ich der Meinung bin, wenn denn mal Hilfen gewährt werden würden, die im Gesetz stehen – und es gibt diese Hilfen in unserem Land per Gesetz – dann könnten wir auch weniger rechtliche Betreuungen führen, was ja auch immer wieder Thema ist, dass es viel zu viel gibt und es dadurch viel zu teuer ist. Dafür müssten dann aber auch Hilfen, die vorrangig sein könnten, tatsächlich gewährt werden."
Es ärgert sie auch, dass viele Anträge nach Aktenlage entschieden werden, ohne die Betroffenen anzuhören.
"Teilweise mit Begründungen, die dem Menschen in der Situation eigentlich nur einen Schlag ins Gesicht bedeuten können, die so menschenunwürdig sind, dass es doch, glaube ich, hilfreich wäre, wenn Menschen, die das entscheiden, dann auch tatsächlich die Person kennenlernen und ihr mal gegenübersitzen."
Um den Job lange machen zu können, müsse man sich von den einzelnen Fällen emotional abgrenzen, bloß nicht den Frust abends mit nach Hause nehmen.
"Das ist wirklich eine Frage der Persönlichkeit. Und bei uns im Büro haben wir wirklich das große Glück, dass wir ein sehr stabiles Team seit vielen Jahren sind und einfach so ein Stück weit, auch wenn es irgendwie ein bisschen blöd klingt, füreinander da sind."

Geringe Vergütung für einen herausfordernden Job

Idealismus gehört dazu, denn die Vergütung für den herausfordernden Job des Betreuers ist nicht gerade üppig: 2400 bis maximal 3000 Euro brutto. Weil der öffentliche Dienst Sozialarbeiter viel besser bezahlt, ist es schwierig, Stellen zu besetzen. Schon müssen Betreuungsbüros in Brandenburg schließen oder sind vakant, auch in größeren Städten wie Brandenburg an der Havel oder Eberswalde.
Betreuer können höchstens 44 Euro pro Stunde abrechnen, durchschnittlich sind 3,2 Stunden pro Klient anberaumt – im Monat. Doch keine der Kolleginnen mache Dienst nach Vorschrift, sagt Susanne Said, 44, ebenfalls beim Verein Lebenshilfe angestellt. Die studierte Sozialpädagogin arbeitet seit 19 Jahren als Betreuerin. Zurzeit kümmert sie sich um 38 Klienten.
"Wenn ich ins Krankenhaus fahren muss, dann muss ich dorthin fahren. Und wenn die Hilfe notwendig ist, dann muss ich dorthin, also nach Minutentakt und Stundentakt wird hier keiner arbeiten."
Gleichzeitig ist die Verantwortung groß: Wenn das Gericht Betreuung in Gesundheitsfragen anordnet, müssen Betreuer zum Beispiel auch über lebensverlängernde Maßnahmen entscheiden. Weil sie den Klienten einen Weg durch den Behörden- und Antragsdschungel bahnen, müssen sie sich ständig fortbilden. Die vom Bundesjustizministerium ausgerechnete Erhöhung der Bezüge um 17 Prozent reiche darum nicht aus, kritisiert Anja Putzke. Denn die Ausgaben der Betreuungsvereine für die eigenen Strukturen, Overheadkosten genannt, fänden nicht genug Berücksichtigung.
"Sodass die Vergütung, die wir für die Betreuung bekommen, überhaupt niemals in der Form umgelegt werden kann in die Gehälter, wie es eigentlich gedacht ist."
Ihre Teamkollegin Susanne Said wünscht sich mit Blick auf den Gesetzesvorstoß, dass die Gesellschaft überhaupt einmal anerkennt, was Betreuer eigentlich alles leisten.
"Dass man sich allgemeinen mehr damit auseinandersetzt, was letztendlich dieser Beruf bedeutet, weil ich glaube, dass viele Menschen auch in der Politik das nicht wissen."

Notwendige Betreuung kann jeden treffen

Und weil die Notwendigkeit einer Betreuung jeden treffen kann, betont Said. Auch bei psychischen Erkrankungen, auch Akademiker und vermögende Menschen. Für Mirko Bengsch, der mit rund 600 Euro Erwerbsminderungsrente auskommen muss, hat Anja Putzke einen Teilzeit-Arbeitsplatz in einer Behindertenwerkstatt besorgt. Bengsch lässt sich nicht unterkriegen: Der neue Job macht auch Spaß, meint er.
"Besser, als wenn man den ganzen Tag Hartz-IV-Fernsehen guckt. Mit den Behinderten habe ich kein Problem, ich kann mich mit denen sehr gut unterhalten. Ich habe mich da mit der einen – die hat ein Downsyndrom – die Kleine hat sich so gefreut, als ich mich ganz normal mit ihr unterhalten habe, die hat sich so gefreut."
Er selbst würde sich freuen, wenn es mit ein paar Wochenstunden soziale Eingliederungshilfe doch noch klappt. Anja Putzke hat nach der ersten Ablehnung einen zweiten Antrag gestellt.
"Ich würde gern mal wieder zum Fußball gehen. Ich habe früher auch selbst Fußball gespielt. Sonntags würde ich gerne mal wieder auf den Fußballplatz gehen."
"Da muss sich einfach die Gesellschaft auch fragen: Was wollen wir den sozialen Bereich kosten lassen, was ist es uns wert, auch Menschen mitzunehmen, die eben für sich selbst nicht mehr sorgen können, die darauf angewiesen sind, dass sie in einem sozialen System aufgefangen werden?"
Am schönsten aber wäre es, sagt Mirko Bengsch, wenn er den Rollstuhl endgültig im Keller lassen könnte.
"Dass ich noch ein bisschen mehr Gefühl in meinen linken Fuß kriege, und in die linke Hand und dass ich ein bisschen besser laufen kann: Das wäre mein größter Wunsch."
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