Gesetzliche Betreuung

Ein Mensch ist keine Akte

28:11 Minuten
Ein junger Mann mit rasiertem Kopf spielt auf einer seiner Gitarren - weitere Instrumente sind im Hintergrund zu sehen
Der Autist Benjamin ist froh, dass ihn eine gesetzliche Betreuerin bei seinen bürokatischen Dingen unterstützt. © Andreas Boueke
Von Andreas Boueke · 20.02.2022
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Katharina Wagner bekommt ihre Klienten von einer Behörde zugewiesen. Oft sind diese krank, psychisch eingeschränkt, manche obdachlos. Alle brauchen ihre Zeit, ihre Hilfe. Katharina Wagner schafft das irgendwie. Die Geschichte einer Alltagsheldin.
Das Betreuungsrecht in Deutschland ist ein sehr bürokratischer Prozess. Eingeleitet wird die sogenannte Bedarfsprüfung von Personen, die eine Notsituation beobachten. Das kann eine Freundin sein, ein Angehöriger, die Hausärztin, der Nachbar oder auch die Polizei und Sozialdienste. Letztlich trifft ein Betreuungsrichter des Amtsgerichts die Entscheidung über die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung.

Frühe Berufsprägung

Diese soll sicherstellen, dass die Rechte der Betroffenen respektiert werden. Katharina Wagner, die als selbstständige Betreuerin in Bielefeld arbeitet, weiß, dass das nicht selbstverständlich ist.
Katharina Wagner vor ihrem Archiv
Katharina Wagner vor ihrem Archiv: Jede Akte enthält die Dokumente einer gesetzlichen Betreuung.© Andreas Boueke
„Ich komme ja gebürtig aus Kasachstan, ich bin mit sieben Jahren nach Deutschland gekommen. Und ich würde sagen, dass ich schon in dem Alter so was wie eine gesetzliche Betreuung für meine Eltern übernommen habe, die die Landessprache nicht gesprochen haben, die natürlich ganz viele Ämter und Behördenangelegenheiten klären mussten, und es nicht verstanden haben. Ich glaube, so ein bisschen geprägt wurde ich schon dadurch.“

Seltenes Erfolgserlebnis

Katharina Wagner hat den Ruf, dass sie gut mit ihren Klienten auskommt. Sie wird akzeptiert. Ihr Ziel ist es, dass jemand irgendwann eine gesetzliche Betreuung nicht mehr braucht. „Dann bin ich überflüssig, und dann freut man sich.“
Wie bei einem jungen Mann mit einer Nervenerkrankung, den sie betreut hat. „Vier Jahre seines jungen Lebens hat er in einem Pflegeheim verbracht hat und sich sukzessive wieder aufgerappelt und immer mehr wieder so seine Fähigkeiten erlangt, neurologisch. Und irgendwann einfach nicht mehr in dies Pflegeheim passte", erzählt sie.
"Dann haben wir zusammen eine Wohnung für ihn gefunden. Und er lebt jetzt selbstständig, kann sich selber versorgen. Und der Gutachter hat jetzt entschieden, dass der keine Betreuung mehr braucht. Ja, das ist dann so ein Erfolgserlebnis. Hat man aber selten.“

Die Nöte des Alltags

Die meisten ihrer Klienten brauchen schon Hilfe, wenn sie nur kleine Hürden überwinden sollen. Zudem sind viele sehr einsam. Es kann aber nicht die Aufgabe einer rechtlichen Betreuerin sein, sich um all die kleinen Nöte des Alltags zu kümmern. Ich muss es manchmal mehr schaffen, die soziale Arbeit da raus zu halten. Wenn Du Dich allen Sachen annimmst, kommt man auch nicht auf den Klientenstamm, um wirklich damit sein Geld für seinen Lebensunterhalt zu verdienen.“

Gespräche auf Augenhöhe

Damit sie davon leben kann, muss sie bis zu 50 Personen gleichzeitig betreuen. Und Katharina Wagner findet, eine Betreuerin sollte es zumindest versuchen, für jeden einzelnen Klienten ehrliches Interesse aufzubringen.
„Ich kenne viele, viele Betroffene, die ich auch teilweise selbst übernommen habe, die gesagt haben: 'Ich kenne meine gesetzliche Betreuerin gar nicht. Ich weiß gar nicht, die interessiert sich nicht. Die weiß auch gar nicht, was ich mache.' Das würde ich schon sagen, dass ich es bis auf einen Betreuten von mir geschafft habe, zu jedem ein persönliches Verhältnis aufzubauen. Also das hilft. Wenn man da gar nicht, null empathisch wäre und gar nicht am Menschen interessiert, dann wäre man der Falsche für den Job.“
Katharina Wagner bemüht sich, mit ihren Klienten auf Augenhöhe zu sprechen. Sie nimmt sich das Motto der gesetzlichen Betreuung sehr zu Herzen: Niemand soll über den Kopf der Klienten hinweg entscheiden.
Der Online-Text ist eine gekürzte Fassung der Radioreportage.
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