„Cui Bono“, „Troll Army“ oder auch „Der Anhalter“: Inzwischen müssen Podcast-Fans nicht mehr in die USA schielen, um anspruchsvolle und gut erzählte Doku-Podcasts zu hören. Doch bisweilen könnte man meinen: Den Zuhörenden wird in diesem Format nicht viel zugetraut.
Einmal vom Host, dem Gastgeber an die Hand genommen, lässt er sie nicht mehr los. Die Geschichte wird barrierefrei erzählt, der oder die Zuhörende "darf" sie nicht selbst erleben. Aber schafft dieser ausgebreitete Reiseweg nicht auch Transparenz und Glaubwürdigkeit? Und ist das heute, in Zeiten von „Fake News“ und „Lügenpresse-Vorwürfen“, nicht unglaublich wichtig?
Viele Fragen an die anspruchsvolle Audio-Dokumentation – vom Podcast bis zum Radiofeature. Mit dem Macher von Cui Bono, Khesrau Behroz, dem Feature-Bastler und -Vordenker Michael Lissek und Feature-Autor und Podcast-Produzent Johannes Nichelmann.
Wie viel Host braucht der Mensch?
"Ich finde Podcasts ganz großartig", sagt Feature-Redakteur Michael Lissek, "toll, dass Zuhörerinnen und Zuhörer eine so lange Aufmerksamkeitsspanne haben." Allerdings: Vor allem bei Host-gestützten Podcasts ist derjenige, der da spricht, meistens der Host, meint er. Die Gefahr: Die Menschen da draußen, die interviewt werden, spielen die zweite Geige.
Da werden Dinge zugeordnet, eingeordnet. Das ist nicht unbedingt das Radio, das ich gelernt habe.
Michael Lissek
"Ich fühle mich von Michael persönlich angegriffen", scherzt Podcast-Produzent Khesrau Behroz. Er verteidigt den erklärenden Gastgeber, den Host:
Wir tauschen uns viel aus mit Hörerinnen und Hörern: "Hier bräuchte ich vielleicht einen kleinen Wegweiser, hier bräuchte ich vielleicht einen kleinen Fingerzeig, hier wusste ich nicht, was passiert ist."
Khesrau Behroz
Er halte bei den Skripten oft inne und frage sich: Sollten wir hier vielleicht kurz zusammenfassen, was wir gehört haben, damit wir Hörer*innen nicht verlieren? Denn oft machten die Menschen gerade etwas anderes, sie fahren zum Beispiel Auto oder sind anderweitig beschäftigt, sagt Behroz.
"Ich komme ja vom klassischen Radio-Feature", sagt Johannes Nichelmann.
Da haben wir uns viel zu lange keine Gedanken gemacht, was Hörerinnen und Hörer wollen.
Johannes Nichelmann
Feature seien jahrelang in einer Bubble produziert worden, findet er. "Die Hörerinnen zu befragen ist auch ein Weg, den wir in meiner Produktionsfirma gehen." Leute säßen eben nicht mehr zu Hause im Ohrensessel und hörten sich ein Feature an, meint er. Es sei nichts Schlimmes, Orientierung zu geben.
Inwieweit sprechen die Töne für sich selbst?
"Es ist ganz wichtig für meine Arbeit, dass ich Autorinnen und Autoren auffordere, so etwas einzufangen", sagt Michael Lissek zu aufgenommenen, atmosphärischen Situationen. Nur dann bekomme man originelle Sätze wie „Wir verwenden Gott in sehr begrenztem Umfang“ aus einer seiner Produktionen über einen Trauerredner. "Ich würde versuchen, die Sachen so präzise wie möglich zu machen", sagt er. "So, wie ich arbeite, habe ich als Erstes die Töne. Wenn es klappt, kommt kein einziger Text rein."
Aus seiner Sicht sei "Host" gleichbedeutend mit "Gastgeber". "Die Frage ist: Wie ist der Gastgeber? Kann da viel an Zufall passieren?" Das sei aber nicht nur eine Frage von Podcast oder Radio, findet er.
Es geht eher darum, ästhetisch und ethisch die fremde Stimme stattfinden zu lassen, die was anderes sagt als das, was ich immer schon weiß.
Feature-Autor Michael Lissek
Auch Johannes Nichelmann ist es sehr wichtig, Szenen einzufangen, wie Leute miteinander interagieren.
"Wir versuchen zu vermeiden, Deutsch mit deutschen Untertiteln zu machen", sagt Khesrau Behroz. Wenn die Szene aber für sich steht "und ich weiß, ich muss sie nicht einordnen, erklären, emotionalisieren, ich kann es für sich wirken lassen, stehen lassen, dann nehmen wir solche Szenen auch super-gerne". Es komme aber auf die Dosierung an, findet er.
Wie könnte die Zukunft aussehen?
"Der Markt beginnt gerade erst, richtig spannend zu werden", findet Johannes Nichelmann. Und es müsse ja nicht immer der große Aufschlag sein, denkbar seien dokumentarische Hörstücke nicht nur als Serie, sondern auch als Einzelstück, sagt er. In puncto Distribution, Nachwuchs und Finanzierung gebe es bei der Feature-Produktion bei den Öffentlich-Rechtlichen aber Probleme, "die jetzt langsam angegangen werden". Selbst eine tolle investigative Produktion über den Sudan "erreicht zu wenige Leute, weil nicht richtig Bescheid gesagt wird".
"Die ARD ist der größte Meister im Verbuddeln ihrer besten Produkte", sagt Michael Lissek. "Ich bin aber frohen Mutes, dass sich das ändert." Das sei auch total wichtig, damit das Genre Feature überleben darf, sagt Lissek. "Möglicherweise müssen wir andere Erzählformen integrieren. Das passiert aber sowieso schon."
Auch der Podcast kann von der Feature-Tradition profitieren, glaubt Khesrau Behroz. Schließlich gebe es viel "kollektives Wissen", das da ist. "Wir Arbeiten viel mit Menschen, die Feature gemacht haben und vielleicht ein neues Medium ausprobieren wollen." Das Wissen werde weitergetragen und weiter genutzt, glaubt er. "Ich glaube, das frisst sich nicht gegenseitig auf."
Khesrau Behorz: Produziert anspruchsvolle Doku-Podcasts, etwa „Cui Bono“, „Noise“, „Legion. Hacking Anonymous“ und seit Ende November 2022 „Cui Bono II. Drachenlord“.
Michael Lissek ist Produzent von Radio-Features und Autor von Texten und Büchern. Seit März 2022 ist er Feature-Redakteur beim SWR.
Johannes Nichelmann arbeitet als Feature-Autor, Podcast-Produzent, Feature- und Podcast-Redakteur.