Betonpoller auf Weihnachstmärkten

"Ich bin eine Kritikerin dieser Angstinfrastruktur"

Betonpoller am Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin: Im vergangenen Jahr wurde hier ein Anschlag verübt.
Betonpoller am Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin: Im vergangenen Jahr wurde hier ein Anschlag verübt. © imago/Stefan Zeitz
Christa Reicher im Gespräch mit Dieter Kassel · 27.11.2017
Große Weihnachtsmärkte werden in diesem Jahr mit Betonpollern gesichert: Die Stadtplanerin Christa Reicher von der TU Dortmund sieht das kritisch, weil Absperrungen den Besuchern permanente Gefahr suggerierten. Sicherheitsaspekte müssten zudem gestalterisch überzeugend umgesetzt werden.
Dieter Kassel: Zu einem typischen deutschen Weihnachtsmarkt gehört nicht mehr nur Glühwein, Bratwürste und unterschiedliche Versionen von "Last Christmas", sondern dazu gehören ab diesem Jahr auch vielerorts Betonpoller oder ähnliche Sicherheitsmaßnahmen, die verhindern sollen, dass es zu einem Anschlag kommen könnte wie im vergangenen Dezember auf einem Weihnachtsmarkt in Berlin. Es stellt sich die Frage, ob solche Sicherheitsmaßnahmen wirklich Sinn machen, und selbst wenn sie es machen sollten, stellt sich ein bisschen die Frage, ob wir nun tatsächlich, nachdem wir schon seit Jahren diese Abwägung haben, Sicherheit versus Freiheit, in unseren Städten, bald auch abwägen müssen, Sicherheit versus Hässlichkeit, denn schön sehen diese Dinger ja nun nicht aus. Machen Sie Sinn, und welche Maßnahmen können überhaupt den öffentlichen Raum sicherer machen, darüber wollen wir jetzt mit Christa Reicher sprechen. Sie ist Architektin und Stadtplanerin und lehrt an der Technischen Universität Dortmund. Schönen guten Morgen, Frau Reicher!
Christa Reicher: Schönen guten Morgen!
Kassel: Müssen wir jetzt damit leben, dass unsere Weihnachtsmärkte und andere öffentliche Veranstaltungen von diesen hässlichen Betonpollern umgeben sind, weil das grundsätzlich Sinn macht?
Reicher: Also zunächst sehe ich, dass das an ganz vielen Stellen in Klein- und in Großstädten im Augenblick passiert, dass die Baudezernate damit beschäftigt sind, wie können in welcher Form Betonkübel, Poller und so weiter nachgerüstet werden, und das Problem ist natürlich immer, sobald man etwas hinzufügt, passt es zunächst mal gar nicht in die Raumkonzeption herein, sondern es hat so viele Sicherheitsaspekte zu bedienen, dass das Thema der Attraktivität zweitrangig ist.
Kassel: Aber das kann doch auf die Dauer nicht so bleiben. Ich meine, wenn wir jetzt darüber reden, dass das zum Standard werden könnte, dann muss man doch irgendwann mal mitdenken, wie bringen wir sowas so unter, dass es eben nicht den ganzen Stadtraum plötzlich zu einer Betonwüste macht.
Fußgängerzonen und öffentliche Räume insgesamt attraktiver gestalten
Reicher: Ja, ich bin zunächst mal eine Kritikerin dieser Angstinfrastruktur, weil sehr viel Personalressource und auch Geld investiert wird von Städten, die eigentlich notwendig hätten, mal ihre Fußgängerzonen, ihre öffentlichen Räume zu pflegen und insgesamt attraktiver zu gestalten, und ich würde einfach auch noch mal die Frage stellen, jetzt denken wir da drüber nach, das ist dann das Auto oder der Lkw, der in den Weihnachtsmarkt oder in die Fußgängerzone reinfährt – vielleicht ist es morgen irgendwie ein ganz anderer Anschlag, vielleicht ist es nicht mehr das Auto als Waffe, sondern vielleicht ist es ja die Drohne als Waffe, und gehen wir dann hin und überdachen unsere öffentliche Räume?
Ich denke, man muss dieses Thema wirklich mal langfristig und etwas differenzierter betrachten, denn dann fragt man sich wirklich, ist diese Art Ad-hoc-Reaktion mit den Verkübelungen eigentlich die richtige. Also meine Einschätzung als Stadtplanerin und Architektin wäre, dass wir das Thema des öffentlichen Raumes in Verbindung mit bestimmten Gestaltelementen oder eben auch in Verbindung mit Nutzungskonstellationen eher so denken, dass wir eine soziale Kontrolle haben und dass wir über ein ganzheitliches Denken eher das Bedürfnis nach Sicherheit bedienen.
Denn das, was ja wirklich nicht zu leugnen ist, ist, dass die Menschen an vielen Stellen viel stärker, als das früher der Fall war, das Bedürfnis haben, in sicheren Räumen sich zu bewegen. Ich muss auch ehrlich gestehen, ich war immer eine Kritikerin der Videoüberwachung. Mittlerweile denke ich, es ist vielleicht doch im Vergleich zu anderen Maßnahmen eine Konstruktion, die auch einerseits, sagen wir mal, Attacken abhält oder auch Kriminalität und Vandalismus verhindert und andererseits auch das Bedürfnis der Sicherheit bedient, zumal wir ja uns dieser medialen Welt gar nicht so entziehen können. Als ich eine Studie gesehen und analysiert habe, dass selbst die abgeschalteten Kameras, die ja gar nicht sozusagen so stark in die Gestaltung des öffentlichen Raumes eingreifen, dazu beitragen, dass Kriminalität zurückgeht, da war ich doch verwundert und habe auch noch mal so ein bisschen über dieses Thema weitergedacht.
Kassel: Ich habe allerdings, wenn ich ehrlich bin, verschiedene Studien dazu gelesen. Es gibt ganz verschiedene Ansichten, und es ist offenbar auch unterschiedlich, je nachdem, welche Art von Kriminalität wir reden, aber Kameras sind ja ohnehin nur das eine. Also ob die nun Räume sicherer machen oder nicht, sie sind ja wirklich ein Überwachungsmerkmal, das Kriminalität verhindern sollen. Ich finde es interessant, was Sie vorhin so ein bisschen in einem Nebensatz gesagt haben, Frau Reicher, da ging es um das viele Geld, das diese Betonhindernisse kosten. Sie haben gesagt, die Städte sollen lieber mal ihren städtischen öffentlichen Raum pflegen, nicht verwahrlosen lassen, attraktiver machen. Damit meinen Sie sicherlich nicht nur, soll hübscher aussehen, das ist doch auch eine Maßnahme, die, wenn richtig durchgeführt, öffentliche Räume auch sicherer machen kann.
"Die Poller suggerieren einfach an einigen Stellen Angst"
Reicher: Genau. Ich denke, also das Fundament wird eigentlich in der ganzheitlichen Planung gelegt. Also wenn ich Erdgeschosse habe, in denen ich bestimmte Nutzungen habe, die dann auch die Kontrolle des öffentlichen Raums gewährleisten, dann ist das ja zunächst mal eine ganz bescheidene Maßnahme oder eine Grundkonzeption, die dazu beiträgt, dass die Räume lebendig werden, und unser Ansatz ist doch, gutes Leben in diesen Räumen zu ermöglichen und nicht noch das Angstleben und diese Poller, so wie ich sie jetzt wahrnehme, die suggerieren ja auch einfach an einigen Stellen Angst. Also sie zeigen immer da drauf, was könnte denn möglicherweise in dieser und jener Situation passieren.
Also ich denke eher, wir müssen über die richtige Nutzungsmischung in diesen zentralen Innenstadtlagen, den Fußgängerzonen nachdenken, wir müssen da drüber nachdenken, wie pflegen wir diese Räume, weil viele Räume sind wirklich völlig verwahrlost, und ich glaube, wir müssen auch über das Thema Beleuchtung, atmosphärisches Ambiente nachdenken. Und dieser ganzheitliche Ansatz, das ist eigentlich der richtige und nicht derjenige, viel Geld in Betonverkübelungen zu stecken.
Kassel: Nun sind Stadtplanung und Architektur Dinge, die zusammenhängen, aber es ist ja nicht exakt dasselbe. Ist eigentlich bei der Architektur – wenn es zum Beispiel darum geht, neue Gebäude zu errichten, von dem sozialen Wohnungsbau über das Einkaufszentrum bis zum Museumsbau, der in der Regel spektakulär werden soll –, ist das eigentlich bei den Fachleuten schon angekommen, dass man bei Architektur auch diesen Sicherheitsaspekt mitdenken kann? Ich finde, da können wir es sogar mal vermischen: sowohl die Sicherheit, was Kriminalität im Allgemeinen angeht, als auch Terror im Speziellen.
Reicher: Ja, ich denke, es ist an vielen Stellen angekommen, gerade, was das Thema öffentliche Gebäude angeht. Bei dem Thema Wohnungsbau, glaube ich, muss man viel stärker noch den Freiraum mit einbeziehen, und nicht nur das Gebäude selbst, also das Thema Übergang zwischen öffentlich und privat ist ein anderes bei Wohngebäuden als bei öffentlichen Gebäuden, aber wir Deutschen sind ja dafür auch bekannt, dass wir zunächst mal alles bis ins Detail, was die Regelungen, was den TÜV, was sozusagen die DIN-Normen angeht, auf den Prüfstand stellen, und da sieht man noch an vielen Stellen, dass Anforderungen an Sicherheit und Gestaltung noch gar nicht zusammen passen, oder die Gestaltung einfach Gebäuden einen wenig überzeugenden und nicht ganz attraktiven Stempel aufdrückt.
Kassel: Ich glaube, da bleibt einiges zu tun und für uns beide vielleicht in Zukunft auch noch einiges zu besprechen. Das war Christa Reicher, sie ist Architektin, Stadtplanerin und lehrt an der Technischen Universität Dortmund. Für heute vielen Dank, Frau Reicher!
Reicher: Ich danke!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema