Beton gewordener Größenwahn

Von Günter Beyer · 26.11.2005
Der Bunker Valentin am Stadtrand Bremens zeugt vom Größenwahn der Nazis: Er ist 420 Meter lang, fast hundert Meter breit und ragt 30 Meter aus dem Boden. Tausende Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter mussten im Sommer 1943 das Beton-Monstrum errichten, wo U-Bootteile montiert werden sollten. Eine Tagung diskutierte nun die Zukunft des Bunkers.
Rainer Kristochowitz: "Es gab ja nur zwei Treffer, und die beiden Bomben, die getroffen haben, haben die 4,5 Meter dicke Betondecke nicht durchschlagen, sondern ein Loch von acht Metern Durchmesser reingesprengt."
Rainer Kristochowitz vom Marinedepot lenkt die Blicke der Besucher nach oben. Von der Decke in dreißig Metern Höhe baumeln bedrohlich tonnenschwere Betonbrocken, die an Eisenträgern kleben. Ein Schild warnt: "Achtung, Steinschlag!"

Der Bunker Valentin am Rande Bremens ist vermutlich der größte Bunker der Welt. Valentin war kein herkömmlicher Zivilschutzbunker. Im Schutze seines Betonpanzers sollten aus vorgefertigten Segmenten U-Boote zusammengeschweißt werden. Alle 56 Stunden ein Boot, 170 im Jahr. Dazu kam es nicht mehr. Als "Valentin" fast fertig war, war der Krieg zu Ende.

Alle Versuche der Alliierten schlugen fehl, das Monstrum zu sprengen. Anwohner wollten Valentin unter einem gewaltigen Erdhügel verschwinden lassen. Nach der Wiederbewaffnung kam er als Depot für amerikanische Atomwaffen ins Gespräch. Auch daraus wurde nichts. Stattdessen lagert in dem unzerstörten Abschnitt bis heute die Bundesmarine Ersatzteile für Flugzeuge und Schiffe.

Seit 1983 erinnert ein kleines Mahnmal vor dem Bunkereingang an die Opfer des Bunkerbaus. Eine drastische Skulptur zeigt einen Menschen, der von einer Betonsäule zerquetscht wird. Einmal im Jahr legen ehemalige Zwangsarbeiter Blumen nieder. Von Mal zu Mal schrumpft die Schar der Überlebenden. Ein Dokumentationszentrum gibt es nicht.

Inge Marszolek: "Ich glaub, dass Bremen da viel Zeit hat verstreichen lassen..."

... meint Inge Marszolek, Professorin für Kulturwissenschaft an der Bremer Universität. Sie hat nun eingeladen zur Tagung "Der Bunker Valentin - Ein Ort im europäischen Gedächtnis?". In der Tat stammen die Opfer des Bunkerbaus aus den von der Wehrmacht besetzten Ländern Europas.

Aber, so wurde auf der Tagung deutlich, es würde zu kurz greifen, Valentin ausschließlich als Ort des Martyriums zu sehen. Seinen prekären Platz in der Erinnerungslandschaft müsste der Bunker auch besetzen durch seine Bestimmung als hochmoderne, nach den Prinzipien wissenschaftlicher Arbeitsorganisation strukturierte Rüstungsfabrik, die unter ihrer meterdicken Betonhülle U-Boote am Fließband ausspucken sollte.

Noch heute verhexen die Dimensionen der aufgetürmten Betonmassen manche Besucher, vor allem die männlichen.

Inge Marszolek: "Wenn wir das wirklich verstehen, welche Faszination davon ausgeht, dann könnten wir auch ein Konzept entwickeln, wie dieser Bunker wieder zurück in das Gedächtnis der Stadt geholt werden kann, und wie man Mahnmal und Bunker, Lagergeschichte und Bunker zusammen denken kann. Darum geht's mir."

Doch wie kann solch ein Konzept aussehen? Allgemeiner Konsens war, dass man auf keinen Fall bei Gestaltung einer künftigen Gedenkstätte vor der Monumentalität des Bunkers in die Knie gehen dürfe und mit großen Gesten auftrumpft. Ulrich Borsdorf vom Ruhr-Museum Essen:

"Deswegen denke ich, dass man einfach nur minimale Änderungen an dem ganzen Bunker vornimmt, eventuell ihn von oben begehbar macht, damit man diese Kraterlandschaft in Beton auch noch sehen kann."

Auch behutsame Installationen mit Licht und Skulpturen kann man sich vorstellen. Die Namen der 4000 Opfer müssen lesbar sein. Es wurde sogar vorgeschlagen, eine Person anzustellen, die mit Hammer und Meißel über Jahrzehnte öffentlich dem Beton zu Leibe rücken soll. Andere wollen den Bunker gar unter eine riesige Glashaube stellen. Ist der Bunker eine Heterotopie, also der Ort eines gesellschaftlichen Ausnahmezustandes, der gleichwohl auf die gewöhnlichen Alltagsorte zurückwirkt, fragte die Oldenburger Kunstwissenschaftlerin Silke Wenk, einen Gedanken von Michel Foucault aufgreifend:

"Man hat keinen Ausblick mehr nach außen, es ist meistens kalt, es ist meistens dunkel, und dann kommen natürlich die Erzählungen über den Krieg, über die Morde wie über die Ängste der Menschen in den Schutzbunkern dazu, man tritt da in einen anderen Raum und tritt heraus aus der Normalität, und das tut etwas mit einem."

Bunker Valentin ist eine mythologische Dunkelkammer, in der noch die nie gebauten U-Boote herumspuken. Unmittelbar nach dem Krieg hatte sich nur eine Handvoll Verlage am rechten Rand mit Hitlers fürchterlicher Seewaffe beschäftigt. 1973 jedoch veröffentlichte der ehemalige Kriegsberichterstatter Lothar-Günther Buchheim seinen Bestseller "Das Boot". Damit wurde ein Thema vom rechten Rand in die Mitte der Gesellschaft gerückt, meint der Wiener Publizist Anton Holzer, Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte":

"Der U-Boot-Krieg wird zum Thema der deutschen Zeitgeschichte, und zwar nicht über die Geschichtsforschung, sondern über diese populärwissenschaftlichen Publikationen, den Roman, die Bildbände, und dann später, Anfang der 80er Jahre, den Film."

2010 wird die Bundesmarine ihr Lager im Bunker räumen. Das ist die Chance für ein breit angelegtes Dokumentationszentrum über den Nationalsozialismus, das am authentischen Ort die Themen Vernichtung durch Arbeit, Hochrüstung und "Schicksalsgemeinschaft" U-Boot zusammen bringen kann. Einer der ersten übrigens, der das enorme Potenzial des Bunkers erkannte, war der Regisseur Hans Kresnik. Fünf Jahre lang spielte das Bremer Theater im Bunker Karl Kraus' Antikriegsdrama "Die letzten Tage der Menschheit":

"Wie wunderbar leicht kommt man durchs Feuer, wenn der Befehl es heischt. Wohl dem Volke, das im Befehl leben dürfte - vertrauend, gläubig, dass der Befehl auch der Richtige sei."