Vereinsamung

Ein bisschen Zeit gegen die Einsamkeit

08:23 Minuten
Eine Rentnerin sitzt auf einer Parkbank im Westfalenpark Dortmund (Symbolbild)
Gerade im Alter wird Einsamkeit ein Problem, sagt Verena von Plettenberg. Das liege auch an der Auflösung alter Familienstrukturen und an den hohen Mieten in Großstädten. © picture alliance / photothek / Ute Grabowsky
Von Tobias Krone · 18.01.2022
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Alleinsein ist ein Zustand, Einsamkeit ein Gefühl, sagt die Krisenpädagogin Verena von Plettenberg. Im Kampf gegen die wachsende Vereinsamung sieht sie die Politik gefordert. Sie selbst bildet Helfer aus, die Einsamen Zeit spenden - manchmal mit Hund.
Wer sich in diesen Tagen der Pandemie treffen will – zum Beispiel für ein Interview zum Thema Einsamkeit mit Krisenpädagogin Verena von Plettenberg –, trifft sich eben zum Spazieren.
Man stößt dabei unweigerlich auch auf Menschen, die alleine durch den Münchner Schlosspark Nymphenburg wandeln: Daunenmantel-Silhouetten auf Kanalbrücken, die still sehnend die spärlichen Flecken Dämmerungslicht zwischen den Wolken aufsaugen.
"Einsame Seelen" möchte man sie nennen. Doch vielleicht tut man ihnen mit dieser pauschalen Unterstellung ja Unrecht …

„Es gibt ja auch Menschen, die sagen: Ich muss jetzt mal in die Einsamkeit", sagt Verena von Plettenberg. "Die sagen, ich muss jetzt mal in die Wüste, ich muss jetzt mal für mich einen Rückzug haben. Aber das ist was ganz anderes.“

Ausbildung für alle, die Zeit spenden wollen

Verena von Plettenberg spricht regelmäßig mit einsamen Menschen – in ihrer Praxis im Münchner Westen. Und sie bildet Menschen aus, die einsamen Menschen Gesellschaft leisten.
Sie hat einen Begriff von Einsamkeit, der nur wenig mit einem halbverlassenen Park im Januar zu tun hat – und auch nicht nur mit der Pandemie, die uns räumlich isoliert.
„Alleinsein ist für mich eher ein Zustand, und Einsamkeit ist ein Gefühl", sagt die Krisenpädagogin. Aus den vielen Begleitungen, die sie in ihrem Leben gemacht habe, schlussfolgere sie: "Einsamkeit entsteht, wenn Menschen sich nicht verstanden fühlen, sich nicht wahrgenommen fühlen in ihrem Sosein.“

Einsamkeit als Altersphänomen

Und diese Menschen findet Verena von Plettenberg häufig unter den Älteren, wo sehr viele der Freunde schon verstorben seien.

"Es gibt niemanden mehr, mit dem sich jemand auf Augenhöhe unterhalten kann – und die Kommunikation mit den Kindern ist oft eine andere. Die Kinder kommen eine Generation später. Das heißt: Mit wem teile ich denn die Zeit, als ich selber jung war?“

Wie es dazu kommt, dass sich immer mehr ältere Menschen einsam fühlen? Verena von Plettenberg muss nicht lange überlegen: „Wenn ich mich entsinne, dass ich aufgewachsen bin unter einem Dach mit Großeltern, Großtante und so weiter." Heute gebe es das kaum mehr. "Das ist auch kaum mehr bezahlbar", sagt sie.

Politisches Thema

Und damit sei das riesige Thema auch ein politisches: "Durch diese Mieten, die so hoch geworden sind, durch den teuren Wohnraum gerade hier in München, aber auch in vielen anderen Städten, ist es auch nicht mehr möglich, dass Vater oder Mutter, wenn sie vielleicht nur noch alleine übrigbleibt, noch bei der Familie wohnt.“ Somit wird es schwieriger, mit dem zunehmendem Alter überhaupt Gesprächspartner zu finden.

Einsamkeit im Koalitionsvertrag

Die Einsamkeit der Gesellschaft – seit einigen Jahren erfährt das Phänomen auch politische Anerkennung: Zweimal findet sich das Wort "Einsamkeit" im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition. Für die Grünen im Bundestag kümmert sich die gelernte Psychiaterin Kirsten Kappert-Gonther um das Thema.

„Wir haben den Begriff ja in dem Kapitel Gesundheit unter der Überschrift 'Gesundheitsförderung' verankert." Dort werde dargestellt, dass die Koalition ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Einsamkeit etablieren wolle. "Das halte ich für sehr wichtig", erklärt Kappert-Gonther.
Zudem werde das Thema ein zweites Mal im Koalitionsvertrag adressiert, in dem Bereich, wo es um ältere Menschen gehe.

Einsamkeit macht krank

Einsamkeit macht psychisch krank – und am Ende auch körperlich. Einsame Menschen haben eine geringere Lebenserwartung, das zeigen Studien. Daher will die Ampel-Koalition nun also ran an das Thema. Wie genau, das steht noch nicht fest. Fest steht wohl nur so viel: Auch die Große Koalition hat in den vergangenen vier Jahren schon probiert, die Alterseinsamkeit zu bekämpfen.

CSU fordert Nachbesserung

Nur das SPD-geführte Familienministerium habe es nicht umgesetzt, sagt Dorothee Bär, familienpolitische Sprecherin der CSU.
Bär findet die Vorhaben der neuen Ampel-Regierung nicht ausreichend. Die Bundesregierung habe lediglich Einzelmaßnahmen im Koalitionsvertrag angekündigt. "Das finde ich sehr schade, weil es eigentlich schon eine Gesamtstrategie gibt, aus unserer Hand. Die muss nicht eins zu eins übernommen werden, aber es ist auf jeden Fall schon Mal eine gute Richtschnur, um das Ganze gesamtgesellschaftlich zu betrachten.“

Dazu zählt Dorothee Bär: „Es geht natürlich um einen Forschungsbereich, es geht insgesamt aber auch um einen Sensibilisierungsbereich, aber es geht auch um die Verbesserung von Jugendfreiwilligendiensten – also Einsamkeit beginnt ja nicht nur im hohen Alter. Einsamkeit beginnt schon in der Jugend.“

Einsamkeit in der Jugend

Den Punkt mit der Jugend betont auch die Kollegin der Grünen. Für Kirsten Kappert-Gonther beginnt es schon mit verkehrsberuhigten Straßen, auf denen sich Kinder etwa wieder alleine auf den Schulweg machen können – ohne Eltern, die sie begleiten oder hinfahren. Denn hier schließlich machten Kinder ihre ersten eigenständigen Erfahrungen im Kennenlernen von anderen.

Immerhin: Sensibilisieren muss man die Bevölkerung für das Thema Einsamkeit nicht mehr. Spätestens seit Corona und den Lockdowns, in denen viele Menschen, nicht nur ältere, mit der Einsamkeit kämpften.

Der Soziologe Janosch Schobin aus Kassel sagt: „Durch die Liberalisierung in den 60er-, 70er-Jahren wurde Einsamkeit eher so ein Privatproblem, das einem eher individuell als Makel zugerechnet wurde. Das ändert sich jetzt wieder. Das heißt, Einsamkeit wird wieder adressierbarer, das heißt auch, Hilfsbedürfnisse in dieser Hinsicht werden öffentlich kommunizierbarer."

"Ich glaube schon", sagt Schobin, "dass das unter Umständen zu einer Destigmatisierung führt und wir auch eine andere Art von Zugang dazu bekommen.“
Destigmatisierung, das heißt: Für ihre Einsamkeit müssen sich Menschen weniger schämen.

Koordinationsprobleme bei der Hilfe

Weil die Angebote des Wohlfahrtsstaates hierzulande sehr viel dichter seien als etwa in Großbritannien, bräuchte es hier nicht unbedingt einen Beauftragten für das Thema, meint der Soziologe.
Eigentlich sei das Problem in Deutschland ein ganz starkes Koordinationsproblem, sagt Schobin. "Viele Leute gehen zum Arzt und haben eigentlich ein ganz anderes Problem: Sie sind einsam. Wie kann ein Arzt dafür sorgen, dass jemand, der mit diesem Problem kommt, an der anderen Stelle einen Anschluss findet, eine Brücke findet, die ihn in ein soziales Angebot überführt. Da glaube ich liegen in Deutschland eher die Schwierigkeiten, nicht dass wir gar nichts haben, sondern eher, wie das ganze koordiniert wird.“

Eine solche verbesserte Koordination leisten seit 2020 zahlreiche Modellprojekte. In Bayern gibt es die meisten davon, zum Beispiel beim Malteser Hilfsdienst des katholischen Bistums München und Freising.

Helfer Hund

„Gemeinsam gegen Einsamkeit“ lautet das Motto des Besuchs- und Begleitungsdienstes. Er vermittelt einsame ältere Menschen an Ehrenamtliche wie Beatrix Maurer – und nicht zu vergessen Panda.

„Panda ist ein knapp zwölfjähriger Mischlingshund, schwarz-weiß, wuschelig, kinder- und menschenfreundlich, ja, ein sehr angenehmer Zeitgenosse", sagt die 71-Jährige mit dem klugen Lächeln. Vor ihrer Pensionierung hat sie ihr Geld im Bankenwesen verdient.
Mal wieder also ein Interviewspaziergang – diesmal im Englischen Garten. Doch Panda muss raus – und vor allem: Er muss jetzt unbedingt von der Leine. Denn es muss "jeder, jeder Hund begrüßt werden. Das gehört einfach dazu", sagt Maurer. "Hunde sind sehr höflich.“

Streicheleinheiten für die Seele

Einmal die Woche beglückt Panda das Herz einer über 90-Jährigen, die allein in München lebt und sich ohne den ehrenamtlichen Hundebesuchsdienst von Beatrix Maurer einsam fühlen würde.
„So ein Tier ist ja ziemlich geduldig, meistens jedenfalls. Insofern setzt sich so ein Hund dann auch hin und lässt sich streicheln und genießt das. Und der Mensch ebenfalls. Das tut dann auch was mit der Seele.“
Und ganz ungezwungen kommt man so dann auch ins zwischenmenschliche Gespräch. „Gerade im Alter ist es ja auch wichtig, neue Eindrücke zu erhalten und auch mal über andere Themen als nur über die Vergangenheit zu sprechen. Diese Anregungen, die tun offensichtlich auch gut. Und wir mögen’s beide. Ich genieße das durchaus auch. Es ist so eine richtige Freundschaft jetzt entstanden.“

Rentenpunkte für das Ehrenamt?

Verena von Plettenberg bildet Menschen wie Beatrix Maurer in ihren Seminaren zu solchen ehrenamtlichen Seniorenbegleitern aus.
Was sie sich von der Politik wünscht? „Wir brauchen meiner Meinung nach Menschen, die einsame alte, kranke Menschen begleiten", sagt die Krisenpädagogin. "Wenn das Ehrenamt gestärkt würde, dass man sagt: Nach fünf oder zehn Jahren gibt es einen Rentenpunkt. Wenn es heißt, das kann nicht finanziert werden: dass man zumindest einen Freibetrag hat, um das steuerlich absetzen zu können.“

Denn auch wer Zeit spendet, sagt die Krisenpädagogin, sollte zumindest einen kleinen finanziellen Anreiz haben. 
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