Besuch beim Musikerkollektiv Bakery

Hippie-Geist in Klang-Landschaften

Noah Becker agiert im Sommer 2016 als DJ in Düsseldorf.
Auch als DJ aktiv: Noah Becker bei einem Auftritt im Sommer 2016. © dpa / picture alliance / Horst Ossinger
Von Martin Risel · 01.02.2017
Der 23-jährige Noah bastelt bei dem Musikerkollektiv Bakery die Beats. Dass er der Sohn von Barbara und Boris Becker ist, interessiert hier jedoch keinen. Tatsächlich hat die ungewöhnliche Band mit "Lucy" ein viel beachtetes Debütalbum hingelegt.
Berlin-Schöneberg, nicht weit entfernt ist die Hauptstraße 155, wo David Bowie und Iggy Pop einst gehaust haben. Hier in der Ebersstraße schräg gegenüber wurde Marlene Dietrich geboren. Treffpunkt mit Bakery ist vor der Nummer 20, ich rufe an …
"Auf der anderen Straßenseite im Café, rechts rüber …"
"Hallo – Hallo!"
... da sitzen zwei junge langhaarige Typen draußen im Café bei minus zwei Grad. Sie rauchen auf, wir gehen nach nebenan. Zwischen schönen Gründerzeithäusern liegt ein Flachbau mit Karate-Schule. Im ersten Stock eine Metalltür, wir gehen hinein…
Ein weiter Raum öffnet sich, die Wände voll mit Zeichnungen und Schriften, Mindmaps, denke ich.
Rechts ein Flur: Bad, zwei Mini-Schlafzimmer, eins sogar ohne Fenster. Schlicht-schöne Musikerkommune. Links ein Bartresen, in der Mitte ein Übungsraum mit Instrumenten und Mischpult, wir fläzen uns hinten auf große abgewetzte Sofas…

Zwischen Che Guevara und Daddy G

"Wir haben alles aufgenommen hier oder am Strand manchmal ... und wenn Du guckst auf diese Wand hinter Dir: Wir haben das ganze Album dahin geschrieben. It’s like each song is written into the wall. And Noah’s paintings we made into the album art."
Temple – dünn, abgerissen, Bärtchen - ist Sänger und Gitarrist von Bakery. Kommt aus der Nähe von Washington DC - und musikalisch vom Blues und Folk.
Und ja, ihr Album "Lucy" erkennt man hier wieder: Texte, Schriftzeichen, Farben vom Cover. Noah hat sie auf die Wände gemalt.
"Wir probieren auch, mit unseren Visuals das gleiche Gefühl zu zeigen wie mit unserer Musik. Das, glaube ich, passt zusammen: Farben und Ton und Bilder."
Noah, 23, scheu, schlaksig, lockig, wuseliger Bart, ein Typ zwischen Che Guevara und Daddy G. Und so wie der bei Massive Attack bastelt Noah hier bei Bakery die Beats. Auf seine Grundstrukturen improvisieren die anderen. Ein kollektivistischer Mix aus Trip Hop, Dub, Lo Fi Soul… Ultramodern wie Radiohead, aber wie die sehr eigen.
Bakery: So jung, so viel Stil. Bemerkenswert.

Noah ist Sohn von Boris Becker, aber das interessiert hier keinen

"Wir machen manchmal improvisierte Texte. So wie 'Sands of Time'. Das ist total improvisiert, nur ein Moment. Das war von Noah, der Anfang."
"Ich hatte nur so'n komischen Beat und zehn Wörter da drauf und dann hab ich 'n bisschen drauf geatmet, so … Ja, so sind die Lieder immer entstanden: Offene Beats und offene Texte…"
Noah ist der Sohn von Barbara und Boris Becker, aber das interessiert hier keinen. Temples Mutter ist Gospelsängerin, Antons Eltern sind auch Musiker, manchmal trommelt der gelernte Jazzer mit den langen Rastazöpfen in Mamas Band. Für alle bedeutet Musik vor allem Freiheit.
"Es gibt einfach so viele verschiedene Wege, wie Songs entstehen können. Da gibt’s keine einheitliche Regel. Es gibt keine Regel!"
Alles kann jederzeit passieren, wird aufgenommen. Es geht um den Moment, um die Spontaneität des Augenblicks, die jeder überall einfangen kann - und dann im Kollektiv hier in der Kreativ-Zelle weiter verarbeiten. Hier inmitten der süßlichen Rauchschwaden …
"Als ich Noah kennen gelernt hab, war ich wirklich beeindruckt von der Art, wie er produziert hat. So locker und leicht, wie er mit allem umgegangen ist. Und intuitiv. Und so funktioniert es: Einfach offen sein und so spontan sein, alles zuzulassen. Und auch deinen Mitgliedern in der Band zu vertrauen, denn wir haben alle unsere Talente und irgendwie…"

Ihre Hippie-Erfahrungen haben sie alle

Und irgendwie verhuschen so langsam seine Worte seit dem letzten Joint. Ihre Hippie-Erfahrungen haben sie alle: Gemeinsam beim legendären Burning Man Festival mitten in der Wüste.
Bei einem Freak-Fest in Berlin haben sich Anton und Temple kennen gelernt. Der junge Ami war schon Hippie, bevor er nach Deutschland kam:
"Ich war sehr davon überzeugt, irgendwie außerhalb des Systems zu leben. Traf an verrückten Plätzen verrückte Leute. Etwa beim Rainbow Gathering. Da laufen alle nackt durch den Wald und machen Hippie-Sachen wie 'Augenkontakt-Zeremonien'. Und da sagte mir einer: Du musst nach Berlin! Und es ist toll, hier diese Gemeinschafts-Leute zu treffen, die die ganze Zeit nur Musik machen wollen."
"Percive Persue" heißt dieser noch unveröffentlichte neue Track von Bakery. Im Ideen-Ofen dieser Bäckerei entstehen ständig neue Sachen …
"Es gibt so viele Ideen und Möglichkeiten von Bäckereien eröffnen. So viele musikalisch verschiedene Richtungen, so viele Ideen."
Befreundete Künstler umschwärmen den Band-Kern, zusammen mit Grafikern, Fotografen, Tänzern, Artisten entsteht ein kollektives Netzwerk.
Bei Tour und neuen Tracks sind jetzt fünf Musiker dabei, noch ein Gitarrist und ein Geiger. Also brauchen Bakery eine neue Musik-Kommune. Denn die Energie der Wände hier in der alten ist verbraucht, sagen sie, diese neuen Kreativ-Hippies mit ihrem schwarmintelligenten Gemeinschaftsgeist. Völlig vernebelt finde ich den kaum den Ausgang.