"Bestechung ist von höchster Relevanz"

Bernhard Pörksen im Gespräch mit Andreas Müller |
Im Gegensatz zur Dienstwagenaffäre um Gesundheitsministerin Ulla Schmidt sei die Spendenaffäre um den Waffenhändler Karlheinz Schreiber ein wahrer Skandal, meint der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Besticht ein Lobbyist hochrangige Politiker, "ist das eine Normverletzung, die uns alle betreffen muss".
Andreas Müller: Karlheinz Schreiber ist zurück – der Waffenhändler, auch bekannt als der Mann mit dem Geldkoffer, gilt als eine der Schlüsselfiguren der CDU-Parteispendenaffäre, die vor zehn Jahren - wenigstens teilweise - aufgedeckt wurde. Im Zuge der Aufarbeitung der illegalen Praktiken im Umgang mit Geldspenden wurde ein skandalöser Akt nach dem anderen aufgedeckt, das Ansehen von Altkanzler Helmut Kohl nachhaltig beschädigt, Wolfgang Schäuble demontiert - und der Karriere Angela Merkels der Weg geebnet. (…) Jetzt ist diese Affäre in allen Medien wieder ein Top-Thema, überall ist von dem Skandal die Rede. Wir wollen jetzt zusammen mit dem Medienwissenschaftler Professor Bernhard Pörksen über das Wesen, die Struktur von Skandalen sprechen. Schönen guten Morgen, Herr Pörksen!

Bernhard Pörksen: Guten Morgen, ich grüße Sie!

Müller: Wann ist ein Skandal ein Skandal, was macht sein Wesen aus?

Pörksen: Sie brauchen drei Elemente, um sinnvollerweise von einem Skandal sprechen zu können: zuerst eine Normverletzung, irgendeine Form von Normübertretung, eine moralische Verfehlung; dann jemand, der davon berichtet, ein Verräter, einen Informanten, einen Journalisten, der eine Enthüllung bekannt gibt; und schließlich ein Publikum, das sich empört. Die kollektive Empörung des Publikums ist das dritte Wesenselement des Skandals, erst dann macht es Sinn, von einem Skandal zu sprechen.

Müller: Erfüllt nun die Geschichte um den ehemaligen Waffenlobbyisten Schreiber die Kriterien eines Skandals?

Pörksen: Absolut, das würde ich sagen. Wenn Sie zurückdenken an die ersten Enthüllungen, die es gab im Zuge des Spendenskandals um die CDU, im Zuge der Enthüllungen in der Auseinandersetzung mit Helmut Kohl, dann würde ich sagen: Diese Geschichte erfüllt alle Elemente eines Skandals.

Müller: Schreiber wurde eine zeitlang als geheimnisumwitterte Figur beschrieben, also, da heißt es, der wisse um skandalöse Interna der CSU, von seiner Herkunft ist kaum was bekannt, von seinem Werdegang ist kaum etwas bekannt. Er war der Mann mit dem Geldkoffer, als solcher wird er ja immer wieder beschrieben. Sind das Zutaten, die zum Wesen eines Skandals auch dazugehören?

Pörksen: Nicht unbedingt, aber es taucht immer wieder auf. Also, wenn Sie denken an – das ist jetzt ein sehr weit hergeholtes, etwas ad hoc konstruiertes Beispiel –, an den Tod von Michael Jackson, dann haben Sie ja auch die unheimliche Hintergrundfigur. Also, diese Figur taucht häufiger auf, derjenige, den man nicht genau kennt, der vielleicht noch ein Geheimwissen hat, der etwas getan hat, was man nicht genau weiß, also der unheimliche Mann, die unheimliche Frau im Hintergrund. Dieser Typus ist häufiger zu finden. In dem Fall von Michael Jackson ist es der Arzt, hier ist es Herr Schreiber aus Kanada.

Müller: Der Mann mit dem Geldkoffer. Es ist vielleicht nicht zwingend notwendig, aber das Geheimnisvolle ist vielleicht etwas, das den Skandal immerhin ein wenig würzt, wie mir scheint. Die illegalen Praktiken von damals wurden als Parteispendenaffäre bezeichnet. Wann bleibt denn eine Affäre eine Affäre und wann wächst sie sich zum Skandal aus?

Pörksen: Das ist ein etwas unscharfes Kriterium, das man da in Stellung bringen muss, es geht nämlich um den Grad der öffentlichen Empörung, um das Ausmaß der kollektiven Empörung. Niemand in der Wissenschaft hat bisher ein Empörungsmessgerät, mit dem er dann sagen kann, hier haben wir die Vorstufe des Skandals, die Affäre oder den Stilbruch, das Skandälchen, um dann sinnvollerweise Schwellenwerte festzulegen, um von einem reifen Skandal zu sprechen.

Ich würde sagen, die Unterschiede sind hier etwas unscharf und würde in diesem Fall von einem Skandal sprechen. Was wir allerdings beobachten können und auch empirisch zeigen können ist eine Inflationierung des Skandals, Skandalbegriffs: Fast alles wird heute zum Skandal erklärt. Warum? Sie können, wenn Sie "Skandal" rufen, wenn Sie in ein Skandalgeschrei ausbrechen, im Kampf um Aufmerksamkeit punkten. Sie können den politischen Gegner diffamieren, Sie können versuchen, Auflage zu machen, Quote zu machen. Also: Der Skandalschrei ist eine Möglichkeit, ein Instrument, um Zuhörer, um Zuschauer für sich zu gewinnen.

Müller: Im Deutschlandradio Kultur spreche ich mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen über Skandale. Herr Pörksen, worin unterscheidet sich ein echter Skandal, wie jetzt im Falle des Ex-Waffenlobbyisten Schreiber, von einem durch Medien gemachten Skandal? Also, diese Ulla-Schmidt-Geschichte fällt mir natürlich ein, die Gesundheitsministerin, die im Urlaub mit dem Dienstwagen umherfährt – da waren die Medien, glaube ich, schärfer, als es letztlich die Leser wollten, oder?

Pörksen: Absolut, da kann man sagen, da handelt es sich um einen Stilbruch. Hier hat jemand das Gespür auch für Stimmungen in der Bevölkerung verloren, aber sich womöglich juristisch ganz und gar korrekt verhalten, also: kein Skandal, sondern eher ein Stilbruch. Aber wenn Sie hier einen Waffenhändler haben oder einen Waffenlobbyisten, der über Jahre und Jahrzehnte womöglich mit dem Geldkoffer herumläuft und Parteien und hochrangige Politiker besticht oder schmiert oder etwas in dieser Art tut, dann ist das eine Normverletzung, die uns alle betreffen muss. Sie ist von höchster Relevanz.

Ob jemand ein bisschen Steuergeld verpulvert, das ist natürlich schlimm, und wenn er seine Ausgaben dann nicht im Griff hat, das ist natürlich schlimm. Aber ob jemand in dieser Weise versucht, politische Einflussnahme auszuüben – da geht es um Fragen von höchster Relevanz und Brisanz, also das ist ein echter Skandal, das ist ein relevanter Skandal, das ist kein inszenierter Skandal. Sie können ja beobachten im Bereich des Prominentenbusiness, dass auch Prominente sich zunehmend selbst skandalisieren, um überhaupt noch einmal vorzukommen, um in den Medien wieder aufzutauchen. Hier handelt es sich ganz eindeutig um einen anderen Fall von hoher Relevanz.

Müller: Also der ist mitnichten mediengemacht. Man darf ja auch nicht vergessen: Da gab es die Nähe zum damaligen Altbundeskanzler Kohl, das war eine sehr prominente Geschichte seinerzeit. Vielleicht kann man schon mal anfangen zu vergleichen: Wie haben die Medien sich damals geäußert und wie schallt es heute von den Titelseiten?

Pörksen: Ich persönlich habe Schwierigkeiten damit, zu sagen: Wir haben den Skandal, der nicht von den Medien infiziert ist oder von der Medienlogik infiziert ist – Personalisierung, Boulevardisierung, Visualisierung, Emotionalisierung –, und den Skandal, der mediengemacht ist. Ich glaube, dass diese Unterscheidung seit vielen Jahren und Jahrzehnten nicht mehr trägt. In der Wissenschaft ist es unter dem Stichwort Mediatisierung oder Medialisierung verhandelt, also die zunehmende Durchdringung der Welt mit Medieneffekten, das ist damit gemeint.

Was wir sagen können: dass wir gegenwärtig überhaupt keinen Skandal mehr haben, der nicht bestimmt wird auch von der eigenen Dramaturgie, auch von der eigenen Logik der Medien selbst. Immer geht es um Personen, der Wert der Prominenz wird zentral, es gibt einen Wettlauf um den Scoop, ein Rennen um die nächste Sensation, um die Neuigkeit, nachdem schon alles berichtet ist. Es gibt einen zunehmenden Druck auf die politische Klasse oder auch auf andere Prominente, sich dann zu erklären und beispielsweise Schuld einzugestehen oder zurückzutreten oder auch sich womöglich dann in einer Art Grenzüberschreitung zweiter Ordnung in einer absurden Leugnung zu verstricken.

Also, ich glaube, die Unterscheidung von einem nicht von Medienlogik bestimmten Skandal und einem reinen Skandal, die führt uns nicht weiter. Alles, was wir heute beobachten können, ist faktisch auch immer ein von Medien mit gemachter Skandal. Ich meine das gar nicht negativ, ich meine das gar nicht kritisch, sondern das ist einfach so.

Müller: In welchem Ausmaß wird denn jetzt diese Auslieferung Schreibers an Deutschland, die Affäre, den Skandal um ihn als Mann mit dem Koffer wieder hochkochen lassen? Er gilt ja als einer der Schlüsselfiguren der CDU-Parteispendenaffäre. Wird das, was Sie da eben beschrieben haben, vielleicht dazu beitragen, diese Affäre weiter aufzuklären?

Pörksen: Das ist durchaus möglich. Herr Schreiber ist ja vollkommen uneinschätzbar. Wir wissen nicht, was er noch weiß und wir wissen nicht, was er noch sagen wird. Wenn ich richtig orientiert bin, werden aber die Enthüllungen erst womöglich nach der Wahl stattfinden. Schreiber hat sich ja in Form von Verschwörungstheorien jetzt geäußert und gesagt, die SPD wolle ihn gewissermaßen funktionalisieren in diesem Wahlkampf und eben deshalb sei diese Auslieferung noch zustande gekommen. Das zeichnet sich ja nun gerade nicht ab, also, wir werden vermutlich diesen Prozess erst nach der Wahl erleben und entsprechend auch die Enthüllungen erst nach der Wahl erleben.

Müller: Ja, wobei SPD-Chef Franz Müntefering sich ja schon gefreut hat. Er hat gesagt: Wir müssen nichts machen, stinken tut es nicht bei uns, sondern bei den anderen. Da müssen wir einfach nur gucken, dass die Leute alle sehen, woher der Duft kommt. Also, der möchte das schon instrumentalisieren.

Pörksen: Das ist ganz klar. Man versucht sofort, die Gegenseite, die man bekämpfen will, zu skandalisieren. Insofern wird sich jetzt eine Dynamik der Skandalisierung und der Gegenskandalisierung anbahnen. Übermorgen wird man die Stellungnahme haben, es sei skandalös, diesen Fall nun wieder ins Spiel zu bringen und irgendeine Stellungnahme eines CDU-Politikers, der versucht, das Verhalten des SPD-Politikers nun zu skandalisieren und sagt, der eigentliche Skandal ist der Skandalisierungsversuch durch die SPD. Also, das ist ganz normales Geschäft. Skandale sind Instrumente, um andere, die man nicht mag, in den Geruch des Verbrecherischen, des Unmoralischen, des Verwerflichen zu bringen. Das ist eine Technik, mit der man arbeitet.

Müller: Über Skandale sprach ich mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, zuletzt ist von ihm das Buch "Skandal - die Macht öffentlicher Empörung" erschienen.