Beständige Sprunghaftigkeit

Von Jochen Stöckmann · 26.01.2012
Eine Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunstforum zeigt eine ungewöhnliche Künstlerfreundschaft. Der Schweizer Nationalkünstler Ferdinand Hodler trifft auf den 15 Jahre jüngeren Cuno Amiet, ein zu Unrecht in Deutschland unbekannter Maler.
Vom Schweizer Maler Ferdinand Hodler kennt man reckenhafte Gestalten, etwa sein Porträt des Freiheitshelden Wilhelm Tell. Um 1900 galten diese Monumentalbilder wegen ihres geradlinigen, unverschnörkelten Strichs als ungeheuer modern. Hodler wandte sich auch lieblicheren Motiven zu, etwa dem Thema "Frühling".

Jüngling und Mädchen sind im Hamburger Bucerius Kunst Forum zu sehen: Er frontal, sie in der Seitenansicht hocken beide auf einer Blumenwiese wie voneinander abgewandte Skulpturen. Das mag den heutigen Betrachter befremden, aber gleich daneben hängt eine spätere Fassung, die Details der Landschaft aufgelöst in Farbflächen. Hodlers bis dahin überaus striktes Formbewußtsein gewinnt durch dieses Spiel abstrakt leuchtender Farben. Angeregt hatte diese Wandlung ein junger Künstlerfreund, Cuno Amiet. Dessen "Gelbe Mädchen", monochrome Schemen in einem auf Farbtupfer reduziertes Blumenmeer, präsentiert Kuratorin Ortud Westheider neben Hodlers "Frühling":

"Hodler war sicher der mit der größeren Erfahrung und auch dem größeren Können. Trotzdem: Das Überraschende an der Ausstellung ist, dass der so gesettelte Hodler die Farbenfreude und die offenere Linie, den Strich, den Amiet in die Schweiz mitgebracht hatte, dass ihn das so inspiriert. Und das Überraschende ist, dass man einen weichen, sehr spritzigen, sehr offenen Hodler bei uns entdecken kann."

Mit welch mitreißendem Aplomb Amiet an die Arbeit ging, beweist sein Selbstbildnis, für das der Maler der Künstlergruppe "Die Brücke" einen unverschämt rosafarbenen Hintergrund wählte, pastos gespachtelt in van-Gogh-Manier. Seinen zeitweiligen Mentor wollte er in modisch blauem Jackett porträtieren, aber das lehnte der 15 Jahre ältere Hodler ab. Schließlich hatte sich der gebürtige Genfer aus armen Verhältnisse einen Ruf erarbeitet, war als Jurymitglied etwa in der Berliner Secession eine Respektsperson. Und Hodlers eigene Selbstporträts lassen ihn denn auch ein wenig unnahbar erscheinen, unter wasserklaren und hellwachen Augen verleiht der Vollbart dem Maler eine knorrige, fast trotzige Note künstlerischer Autorität:

" Amiet ist aber aus seiner Generation vielleicht derjenige gewesen, der als einziger auch dem Hodler etwas anbieten konnte, weil er aus Pont-Aven eben die Farbe und den Postimpressionismus mit in die Schweiz gebracht hatte. Und Hodler, der eigentlich keine Schüler hatte, hat ihm eine Ateliergemeinschaft angeboten, die Amiet dann aber ausgeschlagen hat."

Mit Blick auf eigene Karriere schien Amiet Distanz geboten: 1904 etwa wurde ihm in der Wiener Secession der Vorwurf gemacht, er würde Hodler kopieren, sei dessen "Epigone". Dabei ist nicht nur der Unterschied offenkundig: Hodler als Mann der Form, Amiet ein Liebhaber der Farbe. Vor allem brachte der Jüngere, als Nachfolger der französischen Impressionisten und bestens vertraut mit neuen Stilrichtungen wie Pointillismus oder dem italienischen Divisionismus, frischen Wind in die äußerst wechselhaft Künstlerfreundschaft ein. Nicht ohne Eigennutz, erklärt Ortrud Westheider:

"Man musste sich mit dem Hodler gut stellen, um in Deutschland an den Markt zu kommen. Das wurde durch andere Ausstellungsmöglichkeiten der Jüngeren dann aber schnell ergänzt. Und in denen hat sich Amiet dann getummelt: in der Galerie Thannhauser oder im Kölner Gereonsclub oder im Kunstsalon Emil Richter in Dresden. Und das war dann auch eigentlich das Problem für Amiets Rezeption in Deutschland, dass mit dem Ersten Weltkrieg diese ganzen Avantgardezirkel aufgelöst wurden und die Ausstellungsmöglichkeiten so nicht mehr da waren. Und daran war dann später nicht mehr anzuknüpfen."

Deshalb blieb ein Maler hierzulande weitgehend unbekannt, der mit seinem Nahblick auf Wasserlachen der Schneeschmelze konsequent abstrahierte, dessen Baumwipfel in einer "bretonischen Landschaft" als dynamisch bewegte Volumen durch Farbflächen hindurch weite Bildräume eröffnen, der archaische Figuren in einer Ernteszene konsequent mit einem flächendeckenden roten Farbschleier bedeckte - sozusagen in Frage stellte:

"Bei Amiet ist es so, dass er wirklich experimentierfreudig ist, dass er in seinen besten Bildern weit über das Ziel hinausschießt. Man weiß gar nicht, was man mit soviel Avantgardismus anfangen kann."

Was für Hodler sowohl Stein des Anstoßes als auch Quell der Anregung war, präsentiert die Hamburger Ausstellung in bisher kaum bekannter Vielfalt. Aber auch - und das macht diese Ausstellung um so spannender - wie Amiet 1931 etwa die "Gelben Mädchen" verblüffend konventionell malt, hinter Hodler zurückfällt. Da zeigt sich eine seltene Gabe: beständige Sprunghaftigkeit.

Informationen zur Ausstellung:

Ausstellung über Ferdinand Hodler und Cuno Amiet im Bucerius Kunstforum Hamburg
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