Besser spät als nie
Er ist in aller Welt anerkannt, respektiert und gefeiert: Peter Handke hätte die Auszeichnung als "Dramatiker des Jahres" auch schon früher verdient gehabt. Bei den Mülheimer Theatertagen war es nu endlich so weit.
Peter Handke ist Dramatiker des Jahres. Die Wahl war absehbar, schon ehe die Jury ihr Ergebnis gegen halb eins früh am Freitag in Mülheim verkündete. Es war nicht schwer, den Preisträger vorherzusagen, allzu groß war der Abstand zu den meisten Mitbewerbern.
Das lag nicht daran, dass sie schwach waren, sondern an der überragenden Qualität von "Immer noch Sturm", Handkes großem Geschichtsstück, für das er ausgezeichnet wurde. Die Souveränität Handkes ist atemberaubend. Er wird bald 70 und ist ein Alter Meister in des Wortes verwegenster Bedeutung. Vor allem Erfahrung, aber auch Kühnheit prägen ihn. Überdies will er wohl sein Erbe bestellen.
"Immer noch Sturm" zieht die Bilanz seines Lebens als Bürger, als Europäer, als Künstler. Die Nähe des Stücks zu seiner Biografie ist offenbar. Handkes Mutter gehört zu den in Kärnten lebenden Slowenen, einer Minderheit, die unter den Schikanen der Deutsch sprechenden Österreicher litt und weiter leidet. Für diese Slowenen streitet Handke – ebenso kenntnisreich wie kunstvoll.
Im Mittelpunkt seines Stückes steht ein dramatisches "Ich", das Züge Handkes trägt. Dieses "Ich" beschwört die Vergangenheit herauf. In einer an Strindbergs "Traumspiel" angelehnten, extrem beweglichen Dramaturgie, treten die Toten auf: Mutter, Onkel, Tanten. Einige entscheiden sich, in der Nazizeit und im Krieg mit den Deutschen zu kollaborieren, die anderen gehen in den Widerstand. Es besteht kein Zweifel, für wen Handke Partei ergreift – für den Widerstand. Doch die heldenhafte Auflehnung, die viele Opfer forderte, wurde nie belohnt – denn das faschistische Denken überlebte die Niederlage im Krieg, sie dauert bis heute an. In dieser Diagnose ist Handke ganz der Meinung seiner Kollegin, der österreichischen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.
Kein anderes Stück im Wettbewerb erreichte diese inhaltliche Gravität – keine die meisterliche Formvollendung. Roland Schimmelpfennigs "Fliegendes Kind" wiegt vom Thema her leichter. Er beschreibt einen Unfall, bei dem ein Vater seinen kleinen Sohn mit dem Auto überfährt. René Pollesch hatte Pech. Obwohl sein "Kill your Darlings! Streets of Berladelphia" nach Mülheim eingeladen worden war, konnte er nicht am Wettbewerb teilnehmen, weil sein Hauptdarsteller erkrankte. Da die originelle Farce nicht aufgeführt wurde, fiel die Teilnahme aus. Eine anfechtbare Entscheidung, denn es gibt eine gute Fernsehaufzeichnung, die an Stelle der Aufführung als Public Viewing gezeigt wurde – sie hätte durchaus als Basis einer Teilnahme ausgereicht.
Philipp Löhle errang den Publikumspreis. Seine Globalisierungskomödie "Das Ding" ist zwar ein Wurf, aber es geht um eine Baumwollflocke. Da wirkt die Geschichtsbesinnung Handkes wesentlicher.
"Vater Mutter Geisterbahn" von Martin Heckmanns und "Käthe Hermann" von Anne Lepper sind ebenfalls im Vergleich mit "Immer noch Sturm" zu klein, ihnen fehlt auch geschichtliche Tiefe. Für erhebliche Unruhe sorgten Claudia Grehn und Darja Stocker mit einem engagierten Sozialdrama. In "Reicht es nicht zu sagen ich will leben" prangern sie die Recht- und Perspektivlosigkeit von Menschen an, denen im Lauf der Wiedervereinigung bitteres Unrecht angetan wurde. Der Text hat mitunter die Wucht von Kleists "Kohlhaas" – eine Warnung. Wer das Recht mit Füßen tritt wie Gerichte und Behörden in den neuen Bundesländern, wird Sturm ernten, legen die beiden Theaterfrauen aus Weimar und Leipzig nahe. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund – Töchter oder Enkelinnen im Geist von Peter Handke.
Insgesamt ein interessanter Jahrgang neuer Stücke in Mülheim – und der Wettbewerb hat gerade noch mal die Kurve gekriegt. Immer wieder in seiner Geschichte passierte es ihm, dass Mülheim wichtige Dramatikerinnen und Dramatiker durch die Lappen gingen – sodass sich die Frage erhob, ob das Auswahlverfahren wirklich geeignet ist, die Besten herauszufinden. Handke hätte selbstverständlich schon früher ausgezeichnet werden müssen, er ist in aller Welt anerkannt, respektiert und gefeiert.
Aber besser spät als nie.
Das lag nicht daran, dass sie schwach waren, sondern an der überragenden Qualität von "Immer noch Sturm", Handkes großem Geschichtsstück, für das er ausgezeichnet wurde. Die Souveränität Handkes ist atemberaubend. Er wird bald 70 und ist ein Alter Meister in des Wortes verwegenster Bedeutung. Vor allem Erfahrung, aber auch Kühnheit prägen ihn. Überdies will er wohl sein Erbe bestellen.
"Immer noch Sturm" zieht die Bilanz seines Lebens als Bürger, als Europäer, als Künstler. Die Nähe des Stücks zu seiner Biografie ist offenbar. Handkes Mutter gehört zu den in Kärnten lebenden Slowenen, einer Minderheit, die unter den Schikanen der Deutsch sprechenden Österreicher litt und weiter leidet. Für diese Slowenen streitet Handke – ebenso kenntnisreich wie kunstvoll.
Im Mittelpunkt seines Stückes steht ein dramatisches "Ich", das Züge Handkes trägt. Dieses "Ich" beschwört die Vergangenheit herauf. In einer an Strindbergs "Traumspiel" angelehnten, extrem beweglichen Dramaturgie, treten die Toten auf: Mutter, Onkel, Tanten. Einige entscheiden sich, in der Nazizeit und im Krieg mit den Deutschen zu kollaborieren, die anderen gehen in den Widerstand. Es besteht kein Zweifel, für wen Handke Partei ergreift – für den Widerstand. Doch die heldenhafte Auflehnung, die viele Opfer forderte, wurde nie belohnt – denn das faschistische Denken überlebte die Niederlage im Krieg, sie dauert bis heute an. In dieser Diagnose ist Handke ganz der Meinung seiner Kollegin, der österreichischen Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.
Kein anderes Stück im Wettbewerb erreichte diese inhaltliche Gravität – keine die meisterliche Formvollendung. Roland Schimmelpfennigs "Fliegendes Kind" wiegt vom Thema her leichter. Er beschreibt einen Unfall, bei dem ein Vater seinen kleinen Sohn mit dem Auto überfährt. René Pollesch hatte Pech. Obwohl sein "Kill your Darlings! Streets of Berladelphia" nach Mülheim eingeladen worden war, konnte er nicht am Wettbewerb teilnehmen, weil sein Hauptdarsteller erkrankte. Da die originelle Farce nicht aufgeführt wurde, fiel die Teilnahme aus. Eine anfechtbare Entscheidung, denn es gibt eine gute Fernsehaufzeichnung, die an Stelle der Aufführung als Public Viewing gezeigt wurde – sie hätte durchaus als Basis einer Teilnahme ausgereicht.
Philipp Löhle errang den Publikumspreis. Seine Globalisierungskomödie "Das Ding" ist zwar ein Wurf, aber es geht um eine Baumwollflocke. Da wirkt die Geschichtsbesinnung Handkes wesentlicher.
"Vater Mutter Geisterbahn" von Martin Heckmanns und "Käthe Hermann" von Anne Lepper sind ebenfalls im Vergleich mit "Immer noch Sturm" zu klein, ihnen fehlt auch geschichtliche Tiefe. Für erhebliche Unruhe sorgten Claudia Grehn und Darja Stocker mit einem engagierten Sozialdrama. In "Reicht es nicht zu sagen ich will leben" prangern sie die Recht- und Perspektivlosigkeit von Menschen an, denen im Lauf der Wiedervereinigung bitteres Unrecht angetan wurde. Der Text hat mitunter die Wucht von Kleists "Kohlhaas" – eine Warnung. Wer das Recht mit Füßen tritt wie Gerichte und Behörden in den neuen Bundesländern, wird Sturm ernten, legen die beiden Theaterfrauen aus Weimar und Leipzig nahe. Sie nehmen kein Blatt vor den Mund – Töchter oder Enkelinnen im Geist von Peter Handke.
Insgesamt ein interessanter Jahrgang neuer Stücke in Mülheim – und der Wettbewerb hat gerade noch mal die Kurve gekriegt. Immer wieder in seiner Geschichte passierte es ihm, dass Mülheim wichtige Dramatikerinnen und Dramatiker durch die Lappen gingen – sodass sich die Frage erhob, ob das Auswahlverfahren wirklich geeignet ist, die Besten herauszufinden. Handke hätte selbstverständlich schon früher ausgezeichnet werden müssen, er ist in aller Welt anerkannt, respektiert und gefeiert.
Aber besser spät als nie.