Besser leben mit Vitamin N

21.01.2013
Gehen Sie regelmäßig im Wald spazieren? Dann stehen die Chancen gut, entspannter und kreativer als andere Zeitgenossen zu sein, denn Natur tut gut, schützt die Gesundheit und fördert den Ideenfluss. Davon ist jedenfalls der Amerikaner Richard Louv überzeugt.
Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Menschen, insbesondere Jugendliche, den größten Teil ihrer Arbeits- und Freizeit vor Computerbildschirmen verbringen, plädiert der Umweltaktivist für mehr Natur im Alltag. Nur so lasse sich seiner Ansicht nach jene Naturdefizit-Störung beheben, die unter anderem zu Hyperaktivität bei Kindern oder zu Krankheiten wie Burnout bei Erwachsenen führe. Viele Menschen erleben Natur oftmals nur noch als digitales Abbild auf dem Bildschirm, so Louv. Ihnen gehe der natürliche Bezug zur Natur verloren, der immerhin mehrere Hundertausend Jahre unsere Vorfahren geprägt habe.

Natürlich weiß der Autor, dass Umweltverschmutzung, Landschaftszerstörung, Klimawandel die Natur bedrohen und er bagatellisiert diese Gefahren auch keineswegs. Dennoch ist er überzeugt, dass es nur dann noch Hoffnung auf ein gesundes Leben gibt, wenn die Menschen erkennen, welchen Wert Natur tatsächlich besitzt. Wer sich oft im Freien aufhalte, schärft all seine Sinne und entwickele die Fähigkeit, subtile Veränderungen der Umwelt wahrzunehmen. So erwiesen sich beim Militär diejenigen als beste Minenfinder, die vom Land kamen und Jagderfahrung hatten. Sie nahmen unbewusst kleinste Umweltveränderungen wahr.

Naturerleben fördert nachweislich die Kreativität, schreibt Louv und beruft sich dabei auf Studien. Wer geistig erschöpft ist, dem hilft eine kleine Wanderung klarer zu denken. Wer sich viel in der Natur aufhält, hat oft auch eine bessere Gesundheit. Forschungsergebnisse zeigen, dass der Aufenthalt im Grünen bei der Bewältigung von Stress hilft, die Ausschüttung von Glückshormonen stimuliert und das Immunsystem ankurbelt. "Vitamin N" nennt Louv das: "N" wie Natur. Und dieses Vitamin N hebt die Stimmung, senkt den Blutdruck und kann Fettleibigkeit bei Kindern vorbeugen helfen.

Richard Louv zitiert aber nicht nur wissenschaftliche Erkenntnisse, er erzählt auch lebhaft von eigenen Naturerlebnissen, lässt ausführlich Jugendliche und Erwachsene zu Wort kommen. Er berichtet anschaulich von Bürgerinitiativen, die sich für mehr Grün in den Städten einsetzen und gemeinsam Gärten anlegen. Er erzählt von Stadtverwaltungen, die miteinander vernetzte Parks einrichten, von Architekten, die Natur in ihre Gebäude mit einplanen und von Eltern, die sich zusammentun und Naturausflüge für Kinder planen.

"Zurück zur Natur" heißt für Richard Louv nicht zurück zur vorindustriellen Gesellschaft. Er fordert nicht zu einer Maschinenstürmerei auf, sondern wirbt eindringlich für eine Rückbesinnung auf das genetische Erbe der Menschheit: die Naturverbundenheit. Herausgekommen ist ein gelungenes Plädoyer, dem man sich leicht anschließen kann: Wann waren Sie das letzte Mal im Wald?

Besprochen von Johannes Kaiser

Richard Louv: Das Prinzip Natur. Grünes Leben im digitalen Zeitalter
Aus dem Englischen von Andreas Nohl
Beltz Verlag, Weinheim 2012
335 Seiten, 19,95 Euro