Besser, höher, weiter

Von Ruth Kirchner · 26.07.2012
2008 in Peking gewannen chinesische Athleten bei Olympia reichlich Goldmedaillen. In London will die Volksrepublik die USA von der Spitze des Gesamtmedaillenspiegels verdrängen. Der Erfolg Chinas basiert auf einem Sportsystem, in dem künftige Spitzensportler von klein auf hart trainiert werden.
Die Shichahai-Sportschule bezeichnet sich gerne als die "Wiege der Weltmeister". Sechsjährige Mädchen üben stundenlang mit ernsten Gesichtern perfekte Drehungen an der Reckstange. Eine riesige rote Nationalflagge hängt an der Wand der Turnhalle. Auf Bannern wird der Nachwuchs in kommunistischer Manier ermahnt: "Alles Training ist für den Wettkampf" und "Es gibt keine heroischen Individuen, nur heldenhafte Gruppen."

Aus dem staatlichen Internat im Zentrum Pekings sind insgesamt 39 Weltmeister hervorgegangen, davon sieben Olympiasieger. Tischtennis-Asse, Badminton-Spieler und Taekwondo-Kämpfer. Oder die Gold-Turnerin von 2008 He Kexin. Die Schule ist eines von ganz wenigen Sport-Internaten in China, die Journalisten den Zugang erlauben. Mit den jungen Gymnastik-Schülerinnen dürfen wir allerdings nicht sprechen. Dafür mit zehnjährigen Tischtennis-Spielern.

Er wolle Weltmeister werden, sagt Yu Zhengyang, der vor zwei Jahren aus der nordwestchinesischen Provinz Shanxi nach Peking gekommen ist. Jeden Nachmittag trainiert er zweieinhalb Stunden lang und dann abends weitere anderthalb Stunden.

Ein Leben für den Sport. In Anlehnung an das Sportsystem in der früheren Sowjetunion werden in China die künftigen Spitzensportler früh ausgewählt. Viele kommen vom Land, hoffen in den Sportschulen auf die große Karriere. In Shichahai werden viele Nachwuchssportler bis heute vermessen und den Sportarten zugeteilt – und dann wird jahrelang eisern trainiert. Der Drill steht seit Jahren in der Kritik, doch Vizedirektorin Shi Fenghua verteidigt das chinesische System:

"Unser Elite-System ist sehr anders als das anderer Länder. Der Staat investiert sehr viel in das Training der Spitzensportler. Schulen wie unsere haben einen herausragenden Beitrag dazu geleistet, dass China im Sport viel erreicht hat, bei Weltmeisterschaften, aber vor allem bei den Olympischen Spielen."

Kritiker verweisen darauf, dass China vor allem in Orchideen-Sportarten erfolgreich ist: im Turmspringen und Turnen etwa. In der Leichtathletik hingegen ist China außer mit dem Hürdenläufer Liu Xiang nicht in der Weltspitze vertreten. Und eine wirklich große Sportnation sei China bislang nicht – heißt es. Nach wie vor fehlt es am Breitensport, an einer echten Sportkultur. Das hat sich auch durch die Olympischen Spiele 2008 nicht geändert – allen anderslautenden Versprechungen zum Trotz. Schon deshalb brauche man die Elite-Schulen, sagt Shi Fenghua:

"Sicher, wenn unsere Sportler das Teenager-Alter erreichen, haben sie eine Menge Opfer gebracht – was Freizeit angeht oder ihre systematische Schulbildung. Aber Kinder in den normalen Schulen verbringen zu viel Zeit mit dem Lernen, sie sind nicht fit genug, nicht anpassungsfähig genug – und auch nicht unbedingt besser, was den Wettkampfdruck angeht."
Dass Drill allein nicht unbedingt Weltklasse-Athleten hervorbringt, haben aber auch chinesische Sportfunktionäre längst erkannt. Laut Medienberichten sind dieses Jahr mehr ausländische Trainer denn je dabei, Chinas Spitzensportler fit zu machen für die Sommerspiele in London. Die Schwimmer haben teilweise in Australien trainiert, Hürdenstar Liu Xiang in den USA. Ausländische Berater propagieren für die Elite der Elite individuelle Trainingspläne statt blinden Gruppen-Drill. Doch in Shichahai hält man sich weiterhin an das bewährte Rezept: eiserne Disziplin und den absoluten Willen zum Erfolg.

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