"Besser als auf der Straße zu bleiben"

Von Fritz Schütte |
Die meisten Imame, die in deutschen Moscheen arbeiten, werden für vier Jahre vom türkischen Religionsministerium entsandt. Um die deutsche Sprache und Kultur kennenzulernen, ist das zu wenig Zeit, sagen Kritiker. Am Berliner Institut Buhara werden deshalb jetzt deutschstämmige Jugendliche zu Imamen ausgebildet.
Ein Jugendlicher in schwarzem Anzug und weißem Hemd führt Besucher durch die Seminarräume. Tag der Offenen Tür am "Institut Buhara" im
Ostberliner Stadtteil Karlshorst.

Sie habe keine deutsche Koranübersetzung im Bücherregal entdecken können, sagt die Frau. Müsste die denn bei einer Imamausbildung in Deutschland nicht benutzt werden?

Der Koran sei heilig, sagt Yussuf, und nun einmal auf Arabisch offenbart. Deswegen müssten alle Studenten diese Sprache lernen. Nach welchen Kriterien die Studenten ausgewählt werden, will die Besucherin wissen.

"Es wird eine Prüfung gemacht, und wenn du die geschafft hast, kannst du hier als Student anfangen. Sie müssen die Schule fertig gemacht haben und das Führungszeugnis muss sauber sein."

Yussuf Demir kommt aus Frankfurt, ist 18 und jüngstes von sieben Geschwistern. Nach dem Hauptschulabschluss hat er keine Lehrstelle gefunden. Jetzt drückt er wieder die Schulbank, aber das stört ihn nicht. Yussuf muss Arabisch lernen. Es ist schwer, aber auch nicht völlig fremd für ihn. Sein Vater gehört zur arabischen Minderheit in der Türkei.

"Der ist selber Araber, aber er hat mir nicht Arabisch beigebracht in meiner Kindheit und deswegen bin ich auch hier, um meine Vatersprache zu lernen."

Von der Imam-Ausbildung in Berlin hat er durch einen Aushang am Schwarzen Brett im Kulturverein erfahren. Seine Eltern waren einverstanden, zumal das Institut sufistisch geprägt ist. Yussuf wusste bis dahin gar so nicht genau, welcher Richtung des Islams seine Familie nahesteht.

"Sufismus habe ich erst später kennen gelernt, nachdem ich hierher gekommen bin. Meine Eltern haben mir auch nicht so viel darüber erzählt."

Das Institut heißt Buhara nach dem Geburtsort des Gründers des Sufi-Ordens, Bahaudin Naqsband - einem Gelehrten aus dem vierzehnten Jahrhundert. Das Schulgebäude war zu DDR-Zeiten Kulturhaus der Eisenbahner.

Auf der Bühne in einem Saal mit Kronleuchtern und Parkettfußboden spielt ein Musikensemble aus Istanbul. Der Text dieses Liedes besteht aus nur einem Wort: Allah. Das ist typisch für Sufi-Musik.

Alexander Weiger: "Die Grundregel ist eigentlich ‚dhikir’, das heißt die Erwähnung oder die Erinnerung Gottes."

Schuldirektor Alexander Weiger ist vor zwei Jahren zum Islam konvertiert, weil ihn der Sufismus fasziniert. Es gibt verschiedene Orden. Die einen suchen den spirituellen Weg zur Vereinigung mit Gott im Tanz, die anderen in Gesang oder ekstatischen Gebeten.

Um mehr über den Sufismus zu erfahren, nahm Alexander Weiger an einem Seminar in Berlin teil. Als sein Lehrer erfuhr, dass Weiger Politikwissenschaft studiert hat, fragte er ihn, ob er sich vorstellen könnte zukünftige Imame in Gesellschaftskunde und Deutsch zu unterrichten. Das kam überraschend, sagt Alexander Weiger, denn er hatte nie als Lehrer gearbeitet.

"Ich habe nur die Ausbildung gemacht an der Hochschule für Politik in München und mich dann wieder auf mein ursprüngliches Metier Gartenbau zurückgezogen, und bin dann eben jetzt doch wieder bei der Politikwissenschaft gelandet."

In Gesellschaftskunde geht es zur Zeit um die Parteienlandschaft und im Deutschunterricht lässt er vorzugsweise Texte analysieren, in denen es um islamische Fragen geht.

"Damit die Schüler ihren Glauben, den sie nur in Türkisch kennen, auch nach außen den Deutschen gegenüber artikulieren können."

Grußwort von Pastor Alexander Fuhr zum Tag der Offenen Tür. Seine Kirchengemeinde in Berlin-Schöneberg ist seit Jahren mit der Semerkand-Moschee in Berlin-Tiergarten, die das Institut Buhara betreibt, freundschaftlich verbunden. Diese Vernetzung sei ein Bespiel für einen gelungenen Dialog, findet Friedmann Eißler, Islamspezialist der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen.

Oft scheitert die Gesprächsbereitschaft an mangelnden Deutschkenntnissen, denn die meisten der zur Zeit in Deutschland tätigen Imame sind vom türkischen Religionsministerium entsandt worden.

Friedmann Eißler: "Die Imame aus der Türkei bleiben in der Regel vier bis sechs Jahre. Da ist Integration im Grund von Vorneherein ausgeschlossen."

Die Forderung nach einer Imam-Ausbildung in Deutschland, sagt Friedmann Eißler, war eines der Ergebnisse der Islamkonferenz, die auf Initiative von Innenminister Schäuble vor drei Jahren in Berlin erstmals tagte. Es gibt bereits Initiativen an einigen Universitäten, aber bisher noch keinen entsprechenden Studiengang.

"Insofern ist so ein Institut, eine Initiative von deutschsprachigen Muslimen hier aus Berlin, mal einfach zu begrüßen."

Bezeichnend sei, dass die Initiative vom Naqsbandi-Sufiorden ausgeht, der in der Türkei zwar tief verwurzelt, offiziell aber gar nicht erlaubt ist. Republikgründer Atatürk, der die Türkei stärker am europäischen Vorbild ausrichten wollte, hielt den Sufimus für rückständig. Kurioserweise sind heute ausgerechnet diejenigen türkischen Politiker Europa am stärksten zugewandt, die vom Sufismus geprägt sind.

"Gerade wenn wir Erbakan angucken oder auch Erdogan, das sind Naqsbandi-Mitglieder, sicher in ihrer persönlichen Auffassung nicht als Politiker sozusagen, aber das sind Naqsbandi-Leute und das hat natürlich dann auch entsprechend Einfluss."

Die meisten Moscheen in Deutschland unterstehen dem türkischen Religionsministerium beziehungsweise seiner deutschen Dependance. Die anderen sind entweder selbstständig wie die Semerkand-Moschee oder Mitglied eines Dachverbandes.

In Moscheen seines Verbandes, sagt Fazil Altin, Verwaltungsratsvorsitzender der Islamischen Förderation, seien Absolventen des Instituts Buhara jederzeit willkommen. Fazil Altin ist selbst ausgebildeter Imam und weiß, dass das kein Traumberuf ist. Sicher seien Imame hoch angesehen,

"allerdings sind die Löhne so minimal, dass man davon schwer leben und die Familie ernähren kann. Und deswegen ist das Interesse der Jugendlichen an diesem Beruf in Anführungszeichen auch sehr gering. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum ich nicht Vollzeit als Imam arbeite."

Im Grunde sei Imam kein Beruf, sondern eher so etwas wie ein Ehrenamt. Auch die Studenten am Institut wissen, dass die Ausbildung finanziell nicht auf die Sonnenseite des Lebens führt. Bayram Solmaz sieht es nüchtern:

"Ja, Hauptsache, besser als irgendwie auf der Straße zu bleiben."

Bayram kommt aus Hamburg, hat sich nach dem Realschulabschluss an weiterführenden Schulen beworben und, um Geld zu verdienen, nachts Büros geputzt. 4.000 Euro Schulgeld pro Jahr muss er aufbringen. Die Familie unterstützt ihn.

"Es ist auch so in unserem Glauben: Wenn man Geld für islamische Sachen ausgibt, kriegt man auch eine Belohnung im Jenseits."