Besoffen, bekifft und schrecklich sentimental

12.03.2010
Die US-amerikanischen Schriftsteller Jack Kerouac, William S. Burroughs und Allen Ginsberg gelten als Urväter der Hippie- und 68er-Bewegung. Nun ist ein verschollen geglaubtes Romanmanuskript wieder aufgetaucht und auch als Hörbuch erschienen.
"Dann fragte Phillip, ob ich Marihuana hätte, und ich sagte, nicht viel, aber er wollte unbedingt etwas rauchen, also holte ich es aus der Schreibtischschublade, und wir steckten eine Zigarette an und reichten sie rum. Es war ziemlich lausiger Stoff, und dieser eine Joint zeigte bei niemandem Wirkung."

Drogen und Alkohol. Alkohol und Drogen. Dazu sensible Gespräche über die Sinfonien von Brahms und die Bilder von Modigliani. Eine Welt zwischen Kunst und Chaos. New York 1944. Das geschilderte Geschehen ist weitgehend authentisch, hinter den fiktionalisierten Romanfiguren verbergen sich in Wahrheit die damals noch unbekannten Schriftsteller Burroughs, Kerouac und Ginsberg und deren Clique, zu der auch Phillip und Allen gehören.

"Phillip ist genau der Typ Junge, dem dichtende Schwuchteln Sonette widmen, die anfangen: 'O griechischer Jüngling mit nachtschwarzem Haar … ' Er trug eine ziemlich verdreckte Hose und ein Khakihemd; die hochgerollten Ärmel stellten die strammen Muskeln seiner Unterarme zur Schau. Ramsay Allen ist ein imposanter grauhaariger Mann um die 40, groß und etwas schwammig. Er sieht aus wie ein heruntergekommener Schauspieler oder zumindest wie jemand, der mal etwas dargestellt hat. Er ist ein ziemlich intelligenter Typ, auch wenn man ihm das nicht anmerkt, wenn man ihn jetzt so sieht. Er ist völlig verknallt in Phillip; wie ein verzagter Geier schwebt er über ihm, ein dümmliches, gefühlsduseliges Grinsen auf dem Gesicht."

"Und die Nilpferde kochten in ihren Becken" entstand als eine Gemeinschaftsarbeit der beiden jungen Schriftsteller Burroughs und Kerouac, die sich beim Schreiben Kapitel für Kapitel abwechselten, gemeint als Spaß, als literarische Fingerübung und ohne großen künstlerischen Anspruch, wie Burroughs den Roman später einmal beschrieb. Das Leseerlebnis vermittelt denn auch, ob nun bewusst intendiert oder nicht, ein gewisses Gefühl von Zerrissenheit und Virtualität, während das Hörbuch beziehungsweise die beiden Sprecher Florian von Manteuffel und Felix Goeser den figurenreichen Stoff adäquat atem- und gnadenlos durchziehen, denn Handlung ist Nebensache, auch wenn auf Seite 149 der 163-Seiten-Novelle tatsächlich noch ein Mord geschieht.

"So gegen sieben Uhr am Montagmorgen wurde ich von der Türklingel geweckt. Ich stieg in meine Shorts und ging ins Nebenzimmer und drückte auf den Knopf, der die Haustür öffnet. Ich sagte: wer ist da? Ich bin es. Es war Phillips Stimme. Ich öffnete die Tür, und er schlüpfte schnell herein. Hier, sagte er. Die letzte Zigarette ist für dich. Er hielt mir eine blutverschmierte Packung Lucky Strike hin. Ich habe gerade Al umgebracht und die Leiche von einer Lagerhalle geworfen."

Zwei Gründe gibt es, warum dieses Stück Literatur, 1945 fertiggestellt, erst 2008 erschien. Erstens war es den Verlagen nicht blutrünstig genug, wie Burroughs später meinte, und zweitens untersagte der tatsächliche Mörder Lucien Carr alias Phillip, mittlerweile aus dem Gefängnis entlassen und Redakteur bei einem bekannten Nachrichtensender, bis zu seinem Tod juristisch jede Publikation.

Seit 65 Jahren warten die Jünger der Beat-, Protest- und Hippiegenerationen auf diesen verschollenen Schlüsselroman. Jetzt haben sie ihn: besoffen, bekifft und schrecklich sentimental.

"Ich kippte meinen Calvert weg und dann sah ich, wie Phillip ins Leere starrte und ihm zwei Tränen die Wange hinunter rannen. Das war mir fürchterlich peinlich, denn ich hatte Phillip noch nie weinen sehen. Ich wollte ihm eine Hand auf die Schulter legen, und tat es schließlich auch. 'Alles hat seine Zeit', sagte ich, 'sogar ein Mord.' Er grinste mich mit tränennassem Gesicht anzüglich an: 'Das klingt nach T. S. Elliot', sagte er. 'Wirklich?' Wir lachten ein kleines bisschen."

Generell gesagt, wenn auch Geschmackssache: die Übersetzung könnte dreckiger sein. Der Vorteil der Print-Ausgabe: Sie bietet ein brillantes 25-Seiten-Nachwort, das den historischen Stellenwert dieses Zeitdokumentes erst zur Gänze erschließt. Der Vorteil des Hörbuches: Gehirn abschalten und die Arbeit vertrauensvoll den beiden Sprechern überlassen, die dem Text von seiner betäubenden Starre erlösen und den Sog der Beat-Generation aufleben lassen, wenn auch vielleicht etwas übertrieben lakonisch und atemlos; mehr Kammerspiel und, ja wirklich, ab und zu eine New Yorker Polizeisirene hätten dem Hörbuch nicht schlecht getan.

"Also sagten wir auf Wiedersehen und viel Glück und so weiter. Dann fragte mich Danny, was mit Phillip passiert sei, und ich erzählte es ihm. Danny ließ sich das einen Augenblick durch den Kopf gehen und sagte: 'Na ja, wenn er rauskommt, bleibt ihm ja noch die Politik.' 'Ja', sagte ich. 'Das könnte ihm wirklich liegen.'"

Besprochen von Lutz Bunk

William S. Burroughs / Jack Kerouac: Und die Nilpferde kochten in ihren Becken
Übersetzt von Michael Kellner
Sprecher: Florian von Manteuffel und Felix Goeser
Audio Verlag, Berlin 2010
4 CDs, 250 Minuten, 24,99 Euro