Beschwerdebriefe als literarische Initialzündung

Von Susanne Burkhardt · 05.05.2009
Das diesjährige Theatertreffen in Berlin bietet jungen Talenten drei Plattformen zur Präsentation: den Stückemarkt, das Internationale Forum und den Theatertreffen-Blog. Hier kommen die Nachwuchskräfte zusammen und zu Wort, werden Karrieren befördert oder begonnen. So wird auch das Stück "Generation Meese" des 29-jährigen Oliver Kluck aufgeführt. Der wurde erst durch das Schreiben von Beschwerden zum literarischen Erzählen angeregt.
"Mögen Sie Rhabarbersaft?" - Mit dieser Frage überrascht mich Oliver Kluck schon bei unserer telefonischen Verabredung. Als Treffpunkt schlägt er die Bänke neben dem Reichstag vor. Denn auf denen, in der Paul-Loebe-Allee, säße fast nie jemand. Der junge Mann, der auf der einzigen Schattenbank auf mich wartet, ist so ungewöhnlich wie der Treffpunkt selbst. Nicht wegen seines Aussehens - das entspricht dem Berlin-Mitte-Style: lässige Anzughose, Hemd, Sportschuhe. Sondern wegen seiner Art zu erzählen.

Zum Schreiben, so Oliver Kluck, sei er über das Beschweren gekommen. Ein Dozent an der Fachhochschule Wismar, wo er ein Ingenieursstudium absolvieren wollte, hatte ihn wieder und wieder gemobbt und ihm das Vordiplom verwehrt - bis es dem Studenten zuviel wurde und er einen Anwalt einschaltete.

"Ich hab vorher immer Beschwerden gegen meine Hochschule geschrieben, Anträge und so was und hab immer versucht, das möglichst wasserdicht zu formulieren, so dass die Leute wissen, was ich von ihnen möchte und dass sie mich nicht mit irgendwelchen rhetorischen Schachzügen da außer Gefecht setzen können."

Obwohl die Beschwerden erfolgreich waren, brach Oliver Kluck sein Studium vor drei Jahren ab und wechselte ans Literaturinstitut nach Leipzig. Seitdem widmet er sich ganz dem Schreiben.

"Da war so ein Abend gewesen, da konnte ich nicht einschlafen. Ich hab dann noch gelesen und wurde und wurde nicht müde und dann bin ich von ganz alleine zum Schreibtisch und hab dann die ganze Nacht durchgeschrieben. Das hatte natürlich eine andere Qualität als das, was ich heute schreibe, aber das war der Anfang und das hat seitdem nicht mehr aufgehört ... "

Das Ergebnis dieses kontinuierlichen Schreibprozesses: "Mut macht Mut", sein erstes Theaterstück und die Erzählsammlung "Ein Himmel voller Bratschen" erschienen 2006. Der Dramaturg Jens Groß und der Dramatiker Roland Schimmelpfennig öffneten Oliver Kluck den Blick für die verschiedenen Möglichkeiten, sich in einem Text auszudrücken, und für ungewöhnliche Fragestellungen. Stipendien und Fördergelder gingen bislang an ihm vorbei. Er verdient sein Geld mit "Brotjobs" - mit Autoverkäufen oder Postsortierertätigkeiten.

"Es gibt keine Finanzkrise. Die Finanzkrise ist der Normalzustand für mich. (lacht) Das beeindruckt mich überhaupt nicht, kein bisschen ..."

Kein Wunder, dass Oliver Kluck glatte Biografien suspekt sind, denn sein Erwachsenwerden fiel in das Chaos der Wende. Weil man seinen Zivildienstantrag verschlampt hatte, landete er beim regulären Grundwehrdienst. Hier ging es los mit seiner - wie er es nennt - "kleinen Oppositionsbewegung". In juristischen Büchern informiert er sich, was die Vorgesetzten dürfen und was nicht, und beginnt, solange Beschwerden zu schreiben, bis er von seinen Chefs zum Zivildienst abgeschoben werden soll.

"Ich hab dann auch Erfolg gehabt mit diesen Widersprüchen ... und hab mich da durchgesetzt und das konnte ich mir dann gar nicht mehr abgewöhnen. Das stimmt - da sind die ein bisschen dran Schuld, da müsste man die eigentlich noch in Haftung für nehmen ..."

Es gibt viele Dinge, die Oliver Kluck aufregen. Die Behandlung von 2.-Klasse-Fahrgästen in der Bahn, die Selbstverständlichkeit von unbezahlten Überstunden, ein Generationenvertrag, der ohne die junge Generation gemacht wird oder das unerlaubte Duzen durch Leute, die er nicht mag. Früher hatte er immer eine Wut im Bauch, heute schreibt er diese Wut aufs Papier. Eingenommen von der Idee des Bühnenbildners und Malers Jonathan Meese, wonach der Künstler sich demütig ganz in den Dienst der Kunst begibt.

"Alles, was man macht als Künstler, macht man für die Menschen. Jonathan Meese ist klasse, arbeitet für die Leute, steht ihnen zur Verfügung und kann ihnen helfen, den Alltag zu überleben. Dass sie begreifen, dass das Geld nicht so wichtig ist zum Beispiel."

Seine eigene Generation beschreibt Oliver Kluck in seinem Theaterstück "Das Prinzip Meese - für alle die, die die Wasserfarben auch im Dunkeln sehen" als eine, für die es kaum noch etwas zu erkämpfen gibt. Weil es allen - formell gesehen - eigentlich gut geht. Und von der er mehr Mut und Einmischung erwartet.

Dabei blickt er durchaus nachsichtig auf die Gleichaltrigen. Das Prinzip Meese als "Finden der eigenen Verwirrung" - wie er es nennt. Ein Stück ohne Stück, ohne Handlung und ohne Personen, nur erzählerische Fragmente eines "Ichs". Eines "Ichs" bei dem es - so Kluck - im Kopf brodelt.

"Man kann das immer nur anschneiden, so ein Glas benutzen und das auf einen gewissen Punkt halten und das kann man tun, um etwas zu vergrößern oder um ein kleines Feuerchen zu entfachen, das geht natürlich auch. Und die Entscheidung darüber habe ich in dem Moment, wo ich schreib. Das ist meine Verantwortung."

Beim Schreiben helfen ihm Beobachtungen aus dem Alltag und der Rückgriff auf die eigene, nicht immer glückliche Kindheit und Jugend. Demütigungen in der Schule und eine Familie, die ihn nie unterstützte und bis heute nicht an ihn glaubt. Doch auch ohne gemütliche Rahmenbedingungen, ohne Wohlstand und mit wenig Geld wirkt Oliver Kluck nicht unglücklich. Er kann über sich lachen und sich berührend über kleine Dinge freuen - sie überhaupt bemerken.

Aus Leipzig, das er nicht mehr aushielt, kam er vor kurzem nach Berlin. In seiner Pankower Wohnung schreibt er fast den ganzen Tag. Dazwischen spielt er Klarinette, das Instrument hat er als Erwachsener gelernt.

"Ich freu mich, wenn mir Sachen gelingen. Wenn Leute schöne Dinge fabrizieren, wenn Menschen gut angezogen sind, darüber freu ich mich auch sehr und wenn Leute Schlupflöcher finden, in dieser gesellschaftlichen Konstruktion, wenn sie irgendwo schummeln können und sich richtig was einfallen lassen, das find ich klasse - wenn sie sich so durchmogeln und das gar keiner merkt und sie sich für sich selber freuen können darüber… dann freu ich mich gerne mit."

Ein Preis beim Stückemarkt könnte Oliver Kluck davor bewahren, sich wieder mit einem Brotjob rumschlagen zu müssen, statt zu schreiben. Nicht nur deshalb sei seinem Text Erfolg gewünscht.

"Ich muss jetzt ein paar Früchte ernten, das ist ganz, ganz wichtig."
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