Beschreibung der Ruhe vor dem Sturm

Von Roland Krüger · 09.06.2009
Ein sich prügelndes Paar - eine solche Alltagsszene, bei der er nicht eingriff, habe ihn zu seinem preisgekrönten Hörspiel inspiriert, gesteht Paul Plamper. Die Jury für den bedeutendsten deutschen Hörspielpreis lobt die improvisiert wirkende Sprache seiner Figuren, den kunstvollen Aufbau und das Thema, das Zivilcourage einfordert.
Hörspiel-Ausschnitt: " Schau doch mal, was der mit der macht! - Lass die doch, das muss uns ja nicht interessieren. - Also! Wir gehen jetzt da hin und machen was! - Ingrid, bleib bitte sitzen! - Du kannst doch... - Die zwei einzigen Frauen hier im Lokal sollen aufstehen und dazwischengehen? - Warum denn nicht? - Guck mal, da isser jetzt schon weg! "

Ein Restaurant in der Stadt, alle Tische sind besetzt. Man plaudert, lacht und diskutiert. Plötzlich zieht ein Streit die Aufmerksamkeit der Leute auf sich, ein Mann schlägt auf dem Gehweg eine Frau. Die Gespräche im Restaurant verstummen. Eigentlich müsste man einschreiten und helfen, aber alle sitzen da wie gelähmt. Im Raum entsteht ein Moment der Ruhe. Ruhe, in der beides möglich ist: Einmischung oder Abstand, Zivilcourage oder Ignoranz.

Der Hörspielpreis der Kriegsblinden geht in diesem Jahr an Paul Plamper und sein beim Westdeutschen Rundfunk produziertes Hörspiel "Ruhe 1". Der 1972 geborene Hörspielmacher seziert in seinem Stück eine plötzlich entstandene Ruhe als bedeutsamen Vorgang, als Politikum. Schriftstellerin und Juryvorsitzende Anna Dünnebier nennt die Gründe, die den Ausschlag gegeben haben, dass Paul Plampers Hörspiel die anderen 19 Produktionen aus dem Feld geschlagen hat:

"Das eine, dass es eine so wunderbare Sprache hat. Das ist ja improvisiert die Sprache, die dadurch also sowas, ´n natürlichen Grad von Natürlichkeit und Selbstverständlichkeit bekommt, also sehr ungekünstelt, obwohl es hohe Kunst ist. Das zweite war sicher der Aufbau, das ist ja ein ganz bemerkenswert gebautes Stück, was ja eigentlich eine Gleichzeitigkeit beschreibt und das aber hintereinander gesetzt, und das ist sehr großartig hinbekommen, und das dritte natürlich auch das Thema. Weil, das ist ja ein Thema, was jeden angeht, es geht um Zivilcourage, es geht um sich einmischen oder nicht einmischen, und um die Vorwände oder Gründe, es zu tun oder nicht zu tun."

Paul Plamper hat sich nicht erst mit dem Hörspiel "Ruhe 1" einen Namen gemacht. Vor vier Jahren schuf er eine Toninstallation im damals noch stehenden Palast der Republik, und ebenfalls seit 2005 ist er Kurator der sogenannten Hörspielzentrale in Berlin und des Hörspielparks in Freiburg. Die Idee zu "Ruhe 1" bekam er durch ein Erlebnis Anfang der 90er Jahre:

"Also, ich stand in ner Schlange an der Telefonzelle und in der Nähe gab es nen Vorfall, Streit zwischen Mann und Frau, der eskaliert ist, und ich hab nichts gemacht und seitdem denk ich immer mal wieder dran und, ja, Ruhe 1 beschäftigt sich eben mit einem dieser vielen kleinen, nicht weiter dramatischen Fälle, die einem so alltäglich begegnen."

Bei der Produktion von "Ruhe 1" kam es Paul Plamper in erster Linie darauf an, dass sein Hörspiel völlig ungekünstelt wirkt und vor allem sprachlich absolut authentisch klingt:

"Ich höre zumindest, wenn Menschen Texte aufsagen, das kann ich nicht ausstehen, das heißt, wir haben mit Improvisation gearbeitet, die Schauspieler haben die Dialoge mit mir in Improvisation entwickelt, und was mir auch wichtig ist, ist so´ne Einfachheit, Verständlichkeit, die sich dann hoffentlich, weil wir auch ´ne Botschaft haben, als Dringlichkeit darstellt."

"Ruhe 1" wurde bereits im vergangenen Jahr vom WDR ausgestrahlt, parallel dazu gab es bis Ende Januar im Kölner Museum Ludwig eine begehbare Version des Stücks. Besucher konnten ein so bezeichnetes "Audio-Lokal" betreten, Platz an einem der Tische nehmen und den einzelnen Unterhaltungen lauschen – man war gewissermaßen echter, wenn auch stummer Gast im Hörspiel "Ruhe 1", das mit dem 58. Kriegsblindenpreis ausgezeichnet wurde, heute Mittag überreicht vom Vorsitzenden des Bundes der Kriegsblinden, Dieter Renelt:

" Überreichung: Lieber Herr Plamper, hiermit überreiche ich Ihnen das äußere Zeichen des Hörspielpreises der Kriegsblinden 2009. (Applaus) "

Paul Plamper steht mit der Auszeichnung jetzt in einer Reihe mit Friedrich Dürrenmatt, Walter Kempowski, Ernst Jandl, Christoph Schlingensief und Elfriede Jelinek, um nur einige zu nennen – der Kriegsblindenpreis bringt in Fachkreisen allerhöchste Anerkennung mit sich.