Beschreibung der Peripherie

Von Gregor Ziolkowski |
In Ljubljana, Bratislava, Eindhoven, Antwerpen und Barcelona sind die Teilnehmer des Avantgardekunst-Netzwerks "Die Internationale" ansässig. Das erste Ergebnis dieser Zusammenarbeit ist jetzt zu sehen, ein "Museum der parallelen Erzählungen".
Die Beats der Brachial-Rockband "Laibach" bilden auf einem Video nicht nur einen akustischen Höhepunkt der Ausstellung, auch ein Live-Konzert der Slowenen eröffnete dieses "Museum der parallelen Erzählungen". Die übersteuerten Klänge der Musik als Reflex auf eine aus den Fugen gehende Welt markieren dabei gleichsam das Wesen der Ausstellung: Es ist die nichtoffizielle avantgardistische Kunst aus den Ländern Ost- und Mitteleuropas vom Beginn der 1960er-Jahre bis zum Zusammenbruch der sich sozialistisch nennenden Regime, verlängert bis in gegenwärtige Produktionen.

Der hier gezeigte breite Querschnitt aus mehr als einhundert Arbeiten beruht auf einer in dieser Form einmaligen Sammlung: Seit mehr als zehn Jahren trägt die Moderna Galerija in Ljubljana länderübergreifend Werke aus diesem Kontext systematisch zusammen. Zdenka Badovinac, Galeriedirektorin und Kuratorin der Ausstellung, begründet diese Einmaligkeit gleich zweifach:

"Dies ist die erste Sammlung derartiger osteuropäischer Kunst. Es wurden später weitere in Gang gesetzt, aber ich möchte den Umstand hervorheben, dass diese Sammlung im Osten selbst begründet wurde. Das heißt, hier wurde ein erster Versuch einer Selbstdefinition gestartet. Denn in einer Sammlung, die außerhalb des Entstehungskontextes ihrer Werke angelegt wird, wird die Kunst zwangsläufig zum Objekt. Aber hier verbinden sich die Kunstwerke und ihr Sammelort zu einem Akt der Selbstdefinition."

Recht eigentlich der Selbstreflexion, denn keineswegs geht es hierbei um so etwas wie "Deutungshoheit". Vielmehr wird mit den Arbeiten aus Ex-Jugoslawien, der Ex-Sowjetunion, der Ex-Tschechoslowakei, aus Polen, Ungarn oder Rumänien beispielhaft der Blick auf ähnliche gesellschaftliche Kunst-Umfelder gerichtet, die ähnliche Produktionsstrategien hervorbrachten wie etwa das Arbeiten im Kollektiv. Immer ironisch durchsetzt, war dieses kollektive Arbeiten auch eine Art Gegenutopie zu einem tatsächlich – statt offiziell nur behaupteten – freien gemeinschaftlichen Produzieren ohne Dogmen und wurde genau darum von der jeweiligen Macht misstrauisch beäugt oder gar verfolgt.

Eine nichtoffizielle Kunst hat in diktatorisch regulierten Gesellschaften logischerweise keinen Zugang zu offiziellen Institutionen. Sie wird von diesen Institutionen nicht gesammelt, nicht dokumentiert und nicht beschrieben, tendenziell läuft sie Gefahr, in der Kunstgeschichte keinerlei Spur zu hinterlassen. Bewusst haben Künstler seit den siebziger Jahren dieser Gefahr entgegengearbeitet, indem sie eigene Sammlungen und Archive zusammenstellten und über diese Kunstobjekte ihre eigene Kunstgeschichte kreierten.

Zdenka Badovinac: "Es gibt eine ganze Reihe von künstlerischen Konzepten, die im Zusammenhang stehen mit dieser Art von "Historisierung" und den damit entstandenen fiktiven Institutionen. Wir zeigen drei solcher Projekte aus Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei, die diese "Selbsthistorisierung" dokumentieren. Davon ausgehend, wollten wir zugleich aber auch die Idee dieses Internationale-Projekts verdeutlichen."

Die Rede ist hier von jenem Teil der Ausstellung, in dem Künstler aus dem Osten Arbeiten aus westlichen Sammlungen – etwa von Kasimir Malewitsch oder Gerhard Richter – ausgesucht haben, weil sie einen direkten Bezug, Einfluss oder auch nur eine konzeptuelle Verwandtschaft mit diesen Werken belegen wollten. Selbstreflexion und –vergewisserung auf der einen Seite, Kontextualisierung und Vervollständigung auf der anderen Seite, so könnte man die Grundlinien des Netzwerks "Die Internationale" benennen. Bartomeu Mari, Direktor des Museums für Zeitgenössische Kunst in Barcelona, sagt mit leiser Stimme große Worte:

"Dieses Netzwerk von Institutionen entstand, als wir – eine Gruppe von Leuten, die diese Institutionen leiten – uns bewusst wurden, dass uns die gleichen Gedanken bezüglich einer Neuformulierung der Geschichte der zeitgenössischen Kunst bewegen. Das Vokabular und die Chronologie, die gemeinhin zur Beschreibung der Kunstgeschichte verwendet werden, sind eurozentristisch und wesentlich angelsächsisch, der kunstgeschichtliche Kanon hat eine mitteleuropäisch-US-amerikanische Achse. Jetzt, am Beginn des 21. Jahrhunderts, ist es höchste Zeit, dass die Peripherien ihre eigenen Beschreibungen hervorbringen, Beschreibungen, die das Spezifische der Kunstgeschichte ihres jeweiligen Ortes berücksichtigen."

Das Netzwerk "Die Internationale" präsentiert mit dieser ost-west-europäischen Verflechtungsinszenierung einen furiosen Start. Asien, Lateinamerika, Afrika – ein Projekt wie dieses hat ein weites Betätigungsfeld.