Beschönigte Umweltkatastrophen

Von Klaus Hart · 30.01.2011
Brasilien ist der weltweit größte Zuckerproduzent und -exporteur und der zweitwichtigste Ethanol-Hersteller. Während man in Deutschland von ökologischer Produktion liest, sieht die Situation vor Ort ganz anders aus - wie am Rio Sao Francisco.
Der gut beschallte Bus fährt nahe der Nordost-Stadt Penedo auf eine kilometerlange Feuerfront meterhoch lodernder Flammen zu, gigantische Rauchwolken verdunkeln die Sonne, die Szenerie wirkt beängstigend. Doch die Businsassen, größtenteils Voll-und Halbanalphabeten, schauen kaum hin, scheinen nicht im geringsten beunruhigt zu sein. Kurz vor der Ernte des Zuckerrohrs, bekommt man zur Antwort, würden die störenden Seitenblätter abgefackelt, solche Flächenbrände gebe es beinahe täglich.

"Die Stadt Penedo am Rio Sao Francisco lebte früher vom Reisanbau, vom Hafen und vom Fischfang, heute indessen vom Zuckerrohr."

Informiert wertefrei der örtliche Touristenführer Janio Matos, preist die Naturschönheit als Hauptattraktion der Region - und macht angesichts der beobachteten Flächenbrände neugierig. Kirchliche Umweltexperten wie der Franziskaner José Teixeira Rodrigues verurteilen dagegen das massive Blätterabfackeln als Verbrechen gegen den Klimaschutz:

"Auch wegen der Brände ist die Lage hier triste – die Zuckerbarone beherrschen die Stadt Penedo, den ganzen Teilstaat politisch und machen mit der Umwelt, was sie wollen. In den Zucker- und Ethanolfabriken häufen sich tödliche Unfälle. Obwohl wir viel Aufklärungsarbeit leisten, fehlt es den Menschen hier an Umweltbewusstsein. Denn dieser Teilstaat Alagoas hat in Brasilien die höchste Rate an Analphabetismus, Arbeitslosigkeit und Gewalt."

Der Franziskaner stützt sich auf zahlreiche Umwelt- und Sozialstudien brasilianischer Wissenschaftler. Danach werden durch die als "pervers" eingestuften Flächenbrände landesweit große Mengen an krebserzeugendem Dioxin freigesetzt, fallen im Ascheregen auch auf Städte und Dörfer. Es entstehen zudem massenhaft klimaschädliche, hochgiftige Gase wie Kohlenmonoxid und Ozon. Hauptbetroffene sind danach die Zuckerrohrarbeiter, die zudem über Haut und Atmung den krebserzeugenden Brandruß aufnehmen.

Die Feuer zerstören die Bodenfruchtbarkeit und kontaminieren Oberflächen- und Grundwasser, vernichten zudem sämtliche natürlichen Feinde von Schädlingen. Folgerichtig wurden daher immer mehr Agrargifte eingesetzt. Brasilien ist wegen der Zuckerrohr-Monokulturen heute weltgrößter Verbraucher selbst solcher Gifte, die in der EU und in den USA längst verboten sind.

Was am Rio Sao Francisco sofort auffällt – die Zucker- und Ethanolproduktion hat zu einer beispiellosen Ausrottung der Tierwelt geführt, Vögel beispielsweise sind kaum noch zu sehen. Antonio Gomes dos Santos hat als Fischer und renommierter Naturschutzexperte die Entwicklungen über Jahrzehnte am intensivsten beobachtet, machte Vortragsreisen durch Deutschland und Österreich:

"Früher gab es dichte Uferwälder mit bis zu 60 Meter hohen Bäumen, unglaublich viele exotische Vögel und Säugetiere, Fische und Langusten im Überfluss. Doch dann wurde sogar im Quellbereich des Flusses für den Zuckerrohranbau massiv abgeholzt, immer mehr Agrargift in den Rio Sao Francisco gespült. Das tötete so gut wie sämtliche Tiere, der Gesang der Vögel ist völlig verstummt, es gibt nicht mal mehr Regenwürmer. Und die Hospitäler sind voll mit Menschen, die unter früher unbekannten Krankheiten leiden. Verheerend wirkten auch Wasserkraftwerke."

Über 30 Fischarten verschwanden komplett, die Fänge gingen um 90 Prozent zurück, wegen des permanenten Niedrigwassers kam die Schifffahrt zum Erliegen. 2005 verbrannte sich der renommierte Umweltaktivist Francisco Anselmo de Barros aus Protest gegen den staatlich geförderten Ausbau der Zuckerrohrbranche. Am Rio Sao Francisco trat der Franziskanerbischof Luiz Cappio gleich zweimal vergeblich in den Hungerstreik, um ein gigantisches, heftig umstrittenes Flussumleitungsprojekt zu verhindern, das derzeit vom brasilianischen Militär realisiert wird – WWF und Weltbank sind ebenfalls dagegen.

Brasiliens Nummer Eins bei der Zucker-und Ethanolproduktion ist indessen der wirtschaftlich führende Teilstaat Sao Paulo, auch bei den Flächenbränden.

""Was wir hier sehen, ist ein Umweltverbrechen","

erklärt dort der Biologe Manuel Diniz angesichts von Plantagenfeuern, in denen immer wieder auch Arbeiter lebendig verbrennen. Und regelmäßig greifen wie am Rio Sao Francisco die Brände auf Wälder über und vernichten sogar Naturschutzgebiete.