Bescheidenes Wunderkind

Von Judith Kochendörfer |
Als Wunderkind wird der 28-jährige Pianist Michael Wollny nicht gern bezeichnet, lieber widmet er sich der Arbeit mit seinem Jazz-Trio (em). Gemeinsam mit Bassistin Eva Kruse und Schlagzeuger Erik Schäfer kreiert der Pianist eine Musik von großem klanglichen Facettenreichtum, intensivem Zusammenspiel und starker Betonung der rhythmischen Komponente.
Auf dem Cover seiner neuen CD ist Michael Wollny als Comicfigur dargestellt, im Ringelpulli und mit dunklen Haaren, die sein halbes Gesicht verdecken. Der echte Michael Wollny trägt graues T-Shirt, hat die braunen Haare aus dem Gesicht gestrichen und mag lieber Polanski-Filme als Comics. Aber manches auf seinen CDs sei ihm ohnehin ein bisschen zuviel Marketing, sagt er. Zum Beispiel die Sache mit diesem Etikett "Wunderkind":

"Ich mein, klar, ich selbst stell mich jetzt nicht hin und sag: 'Ich bin jetzt das Wunderkind’. Das hab ich das erste Mal gelesen in so ner Kritik und da dachte ich auch: 'na ja’.
Es ist auch lustig, wie Kritiken sich gegenseitig, das ist wie ein Schneeball, was hier steht, findet sich auch in einer anderen wieder, und dann sind ganz schnell Begriffe wie so Wunderkind oder diese Dinge. Irgendwo entstehen die, und dann sind die plötzlich überall."

(em) - Das ist Michael Wollnys aktuell wichtigstes Projekt: Ein Jazztrio bestehend aus Bass, Gitarre und Klavier. Eric Schäfer und Eva Kruse sind dabei seine Mitstreiter. Die drei sind eng befreundet und spielen nun schon seit einem Jahrzehnt zusammen. (em)s erste Platte gab vor zwei Jahren den Anstoß zu der "Young German Jazz"-Reihe vom Label ACT, eine Reihe, unter der neben Michael Wollny auch andere deutsche Jazzkünstler verkauft werden.

"Da muss ich sagen, da fühlen wir uns ganz wohl. Weil dieses Young German Jazz ja für uns die Möglichkeit beinhaltet, wirklich die Musik zu machen, die wir wollen, und nicht irgendwas zu bedienen, was jetzt ein Produzent von uns verlangen würde, oder was eine bestimmte Nachfrage erzeugen würde oder so. Sondern wir sind einfach wirklich völlig allein mit dem was wir machen wollen, und produzieren auch die Platten alleine. Insofern sind wir da eigentlich grad ganz glücklich, da wo wir jetzt sind."

Superlative sind definitiv nicht Michael Wollnys Art. Bescheiden und etwas zurückhaltend erzählt er da lieber von seiner Kindheit in Schweinfurt, von seiner älteren Schwester, die ihm die ersten Töne am Klavier gezeigt hat, und von seinem Jazzklavier-Studium an der Würzburger Hochschule.

"Ich hab das Glück gehabt, dass gleich die erste Lehrerin, die ich hatte, die hat mit mir schon immer improvisiert. Das war wie ein roter Faden durch den ganzen Unterricht, ich hatte immer Lehrer, denen das wichtig war, dass man improvisiert, und ich hab dann nicht unbedingt gewusst, dass das dann Jazz ist oder so. Es wurde dann Schritt für Schritt einfach immer mehr geprägt von Prinzipien, die den Jazz ausmachen, ohne dass ich das damals wirklich benennen konnte."

"Ich glaube, dass der Ort, wo man Musik macht, zu einem Großteil unbewusst Einfluss nimmt auf die Art und Weise, wie man Musik macht."

Es ist schwül in Berlin, und in Michael Wollnys Wohnung im fünften Stock dreht der Ventilator pausenlos seine Runden. Draußen fliegt ab und an ein Flugzeug zum nahen Flughafen Tempelhof. Der junge Franke wohnt erst seit eineinhalb Jahren in der Hauptstadt, und schon wird sein Musikstil als "Großstadtmusik" bezeichnet.

"Ich kann ganz klar sagen, dass wenn ich mir Sachen anguck’, die ich heute schreibe oder spiele oder über oder mit denen ich mich beschäftige, die haben sich in den letzten zwei Jahren sehr verändert. Das hat auf jeden Fall was damit zu tun, wie so das Leben hier funktioniert für mich grade, und in dem sozialen Netz, in dem man sich so befindet, und die Freundschaften, die man hat, und was man so diskutiert, und was man alles mitbekommt. Das sind Dinge, die den kreativen Output steuern."

Kreativen Output hat Michael Wollny, scheint´s, zur Genüge, und den wird er auch weiterhin brauchen. Denn irgendwann wird er wohl zu alt sein, um noch als "Wunderkind" durchzugehen. Aber bis dahin hat der Pianist sich sicher schon einen anderen Titel erspielt.