Beschäftigung im Alter

Rente mit 67 als Maßstab

Wolfgang Huber, Mitglied des Deutschen Ethikrats
Wolfgang Huber, Mitglied des Deutschen Ethikrats © Deutschlandradio / Bettina Straub
Moderation: Ute Welty · 19.05.2014
Nach Einschätzung des Theologen Wolfgang Huber werden bei der geplanten Renten-Neuregelung unerklärliche Maßstäbe angesetzt. Nicht die "Beitragsjahre" müssten über die Rente entscheiden sondern die Kraft. Und er sagt: Die Richtgröße "67" darf nicht fallen.
Ute Welty: Ist es gerecht, wenn jemand mit 63 in Rente gehen kann und andere erst mit 67? Ist es gerecht, wenn beide eben 45 Jahre lang eingezahlt haben in die Rentenkasse? Oder ist es auf jeden Fall ungerecht, weil die Jungen dann noch für mehr Alte zahlen müssen? Die Gerechtigkeitsdebatte erfährt derzeit einen neuen Höhepunkt, ähnlich wie 2006, als der damalige SPD-Parteichef Kurt Beck nicht müde wurde, laut über die Arbeitsfähigkeit älterer Dachdecker nachzudenken. Bis Ende der Woche will die Bundesregierung ihr Rentenpaket durch den Bundestag bringen. Bis heute Abend sollen letzte Unstimmigkeiten ausgeräumt werden, und da hilft es vielleicht, vorher einen Schritt zurückzutreten. Das wollen wir jetzt tun, zusammen mit Wolfgang Huber, lange Jahre an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland und heute Mitglied des Deutschen Ethikrates. Guten Morgen, Herr Huber!
Wolfgang Huber: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Fangen wir doch mal mit der Frage an, die ich gerade schon mal gestellt habe: Unter welchen Umständen kann es gerecht sein, dass der eine mit 63 in Rente geht und der andere eben mit 67?
Huber: Der entscheidende Gesichtspunkt ist die Frage, in welcher Situation der 63-Jährige oder der 67-Jährige sich befindet, ob er von seinen Kräften, seiner Gesundheit her noch imstande ist, weiter zu arbeiten, oder ob er es nach langen Jahren verdient hat, angesichts auch ausgepowerter Kräfte, nun in den Ruhestand zu treten. Das ist für meine Überzeugung der entscheidende und wichtigste Gesichtspunkt, die Lebenslage der Menschen ernst zu nehmen, und nicht über 45 Jahre nachzudenken. Diejenigen, die von ihren Kräften, von ihrer Lebenssituation her nur noch unter äußerster Anstrengung weiterarbeiten könnten, die sollen nach 45 Jahren tatsächlich ohne Abschläge in die Rente gehen können. Diejenigen, die noch voller Kraft sind, deren Erfahrung auch gebraucht ist, die sollten weiterarbeiten.
Gerechtigkeit? - ...ist abhängig von der Lebenssituation und nicht von Zahlen
Welty: Bedeutet das im Umkehrschluss, dass auch Gerechtigkeit gar nicht absolut sein kann, sondern immer relativ sein muss?
Huber: In der Tat. Eine absolute Gerechtigkeit gibt es nicht. Auch Gerechtigkeit hat zu tun mit der konkreten Lebenssituation und nicht mit abstrakten Zahlen.
Welty: Wenn Sie aber Kinder danach fragen, was gerecht ist, dann sagen die: Jeder kriegt dieselbe Anzahl von Bonbons. Wie kann denn eine gesellschaftliche Debatte aussehen, die über diesen vielleicht etwas naiven Gerechtigkeitsbegriff hinausgeht?
Huber: Ja, dass Kinder damit anfangen, nachzuzählen, ob alle gleich viele Bonbons haben, oder - wie meine Enkel gestern Mittag - dass sie nachzählen, ob jeder gleich viel Stücke Kuchen hat und vorher hatte ich den Kuchen extra so in kleine Stücke geschnitten, dass es auch für alle gleich viele sein werden –, das ist ein Anfang, über Gerechtigkeit nachzudenken ...
Welty: Der vorsorgende Opa.
Huber: ... aber ist ja noch nicht das Ende, und in dem Augenblick, in dem der eine gemerkt hat, dass der eine Kuchen ihm schmeckt und der andere nicht, wurde es schon viel differenzierter. Und dasselbe ist der Fall, wenn man diese wichtige Frage bespricht: Wie lange kann jemand am Arbeitsleben teilhaben? Da kommt dazu, dass man das noch ins Verhältnis zur Lage der verschiedenen Generationen setzen muss und wir uns klar machen müssen, dass die Art und Weise, in der wir jetzt Rentenfragen regeln, von außerordentlichen Auswirkungen für die nächste und die übernächste Generation sind.
Welty: Was verstehen Sie denn unter Generationengerechtigkeit und welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Schuldenabbau?
Huber: Generationengerechtigkeit bedeutet, dass wir für die Generation, die nach uns kommt, nicht absichtlich und vorsätzlich schlechtere Lebensbedingungen schaffen als wir sie für uns selbst in Anspruch nehmen, sondern dass wir das Unsere dazu beitragen, dass die nächste Generation vergleichbare Freiheitsmöglichkeiten in Anspruch nehmen kann, wie sie für uns so selbstverständlich gelten.
Welty: Inwieweit fühlen Sie sich als Großvater da Ihren Enkeln gegenüber in der Verpflichtung? Die Sache mit dem Kuchen haben wir ja schon besprochen.
Diskussion um "Rente mit 67" ist ein Rückschritt
Huber: Ja, das ist natürlich eine wichtige Erfahrung, dass für mich Generationengerechtigkeit kein abstraktes Thema ist, sondern ich die Generation unserer Kinder und die Generation unserer Enkel wirklich vor Augen habe und mir die Frage "Welche Auswirkungen hat das, was ich tue für die nächsten Generationen?" sehr lebendig vor Augen steht.
Welty: Finden Sie, dass diese Debatte derzeit ausreichend geführt wird?
Huber: Nein, ich empfinde die Diskussion als einen Rückschritt. Es ist ja im Augenblick auch nicht erkennbar, dass der Grundsatz, dass wir das Rentenalter herausschieben, Rente mit 67, dass das der dominierende Gesichtspunkt ist, und wir in diesem Rahmen uns fragen, ob eigentlich denjenigen ausreichend Gerechtigkeit widerfährt, die lange gearbeitet haben und nach langer Arbeit am Ende ihrer Kräfte sind. Stattdessen wird die Beitragsdauer als solche zum Ausgangspunkt genommen und es wird gesagt, jeder, der 45 Jahre eingezahlt hat, hat einen Anspruch darauf, ohne Abschläge mit 63 in die Rente zu gehen. Das steht in Spannung zu der vorhergehenden, demografisch dringend notwendigen Entscheidung, die Rente mit 67 zum Maßstab zu machen.
Welty: Der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm hat sich dafür ausgesprochen, ein gesetzliches Renteneintrittsalter generell abzuschaffen. Ist das ein Weg, ein Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit?
Huber: Nein, einen Maßstab für das Rentenalter muss man schon haben, um von da aus dann Flexibilität nach oben, also über 67 hinaus, und gegebenenfalls auch nach unten einzuführen. Aber eine Richtgröße braucht man. Und dass wir jetzt erst einmal in einem ersten Schritt die Richtgröße 67 eingeführt haben, das sollte nicht ins Wanken gebracht werden – und das passiert im Augenblick.
Welty: Das heißt, ein Rentensystem, das Sie für gerecht halten, sieht wie aus, in drei Worten?
Huber: Klares Renteneintrittsalter, individuelle Abweichungsmöglichkeit nach oben und nach unten.
Welty: Wolfgang Huber, ehemals Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche, schaltet sich in die Gerechtigkeitsdebatte ein anlässlich der Bundestagsentscheidung über das Rentenpaket, und das tut er unter anderem hier im Deutschlandradio Kultur, wofür ich recht herzlich danke!
Huber: Ich bedanke mich auch, Frau Welty!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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