Berühmt dafür gewesen, berühmt zu sein

Von Ulrike Gondorf · 27.04.2013
"Anna Nicole" ist eine Geschichte aus der Welt der Castingshows und Seifenopern. Eine Frau will den amerikanischen Traum erleben, der für sie im Albtraum endet. Von der Imbissbude über schäbige Nachtklubs macht sie ihren Weg bis zur prozessierenden Milliardärswitwe. Eine flüssige und elegante Inszenierung.
Sex, Drogen, Geldgier und Skandale. Und das alles auf der Opernbühne und komponiert im Auftrag des altehrwürdigen Royal Opera House von Covent Garden. Als der Komponist Mark Anthony Turnage 2011 in London seine dritte Oper "Anna Nicole" zur Premiere brachte, da war das Aufsehen riesig und das Theater steigerte es noch durch eine offensive Werbekampagne. Auf dem roten Bühnenvorhang war das königliche Initial "E" überblendet durch "AN".

Solch dramatische Kontrastwirkungen konnte das Opernhaus in Dortmund nicht aufbieten, als "Anna Nicole" dort zur deutschen (und damit gleichzeitig kontinentaleuropäischen) Erstaufführung kam. Aber das Stück schaffte es auch aus sich heraus, das Publikum zu überzeugen.

"Anna Nicole" ist die Geschichte einer Frau, die den amerikanischen Traum erleben will und im Albtraum endet. Von der Imbissbude über schäbige Nachtklubs macht sie ihren Weg. Für Model- oder Filmverträge in drittklassigen Produktionen lässt sie sich den Busen mit Silikon vergrößern, heiratet schließlich einen beinah 90-jährigen Milliardär und prozessiert jahrelang um dessen Erbe. Das Medieninteresse, das sie dadurch auf sich gezogen hat, hält sie wach, indem sie sich, betrunken und unter Drogeneinfluss, in Talkshows blamiert. Als sie mit 39 Jahren an einer Medikamentenvergiftung stirbt, heißt es über Anna Nicole, sie sei berühmt gewesen dafür, dass sie berühmt war.

Turnage erzählt diese Geschichte aus der Welt der Castingshows und Seifenopern mit den Mitteln der amerikanischen Popkultur. Wie vor ihm Kurt Weill oder Leonard Bernstein verbindet er gediegenes und manchmal raffiniertes kompositorisches Handwerk mit einer Klanggestalt, die Jazz, Folk und andere Formen populärer Musik einbezieht. Der Librettist Richard Thomas belichtet knapp und prägnant die Stationen auf dem Lebensweg der Anna Nicole. Eine wichtige Rolle kommt dem Chor zu, dessen Kommentare und Aktionen den gnadenlosen Voyeurismus einer Gesellschaft verdeutlichen, die Mediengeschöpfe wie Anna Nicole aufbaut und fallen lässt.

Der Dortmunder Intendant Jens Daniel Herzog hat den Abend flüssig und elegant inszeniert. In einem einfachen grauen Einheitsraum (Frank Hänig) lassen sich Wandelemente öffnen und verschieben, durch farbiges Licht entsteht die Atmosphäre der verschiedenen Schauplätze, Kostümwechsel finden oft auf offener Szene statt. Das große Ensemble ist engagiert und kompetent bei der Sache. Emily Newton in der Titelrolle dominiert den Abend von Anfang bis Ende – kaum eine Szene, in der sie nicht auf Bühne wäre. Sie spielt und tanzt ebenso professionell wie sie singt und trifft genau die Charakteristik dieser Partie, die vom leichten Songstil übergangslos in die große Oper wechselt. Eine beeindruckende Leistung.

Schwachpunkt der Dortmunder Aufführung ist eine Tonverstärkung, die den Abend auf einen Pegel hievt, der auf die Dauer nur noch eintönig laut wirkt und vor allem die Leistung des Orchesters unter der Leitung von Jac van Stehen nivelliert. Viele klangliche Reize und Feinheiten der Partitur von Turnage und die Klangfarbenpalette der Singstimmen bleiben auf der Strecke. Denn das technische Niveau, das das Haus hier aufbieten kann, entspricht den Anforderungen nicht.

Dennoch ist "Anna Nicole" eine interessante Entdeckung. Turnages Versuch, populäre und avancierte Musiksprache zu verbinden, knüpft an vitale Traditionen der Oper an. Er weist dem zeitgenössischen Musiktheater einen Weg zum großen Publikum und auf die große Bühne, den es allzu selten findet.

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Mark-Anthony Turnages Oper "Anna Nicole" am Royal Opera House in London