Bernhard Schlink: "Abschiedsfarben"

Von Fehltritten und Einschnitten

13:26 Minuten
Portrait von Bernhard Schlink vor einem blauem Hintergrund
Bernhard Schlink, geboren 1944, ist Jurist und Schriftsteller. Zu seinen Veröffentlichungen zählt der in 50 Sprachen übersetzte Roman "Der Vorleser". © laif / Francesca Mantovani
Moderation: Hans Dieter Heimendahl · 15.10.2020
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Neun Geschichten legt Bernhard Schlink mit "Abschiedsfarben" vor. Es geht um Rückblicke, Befreiung und dramatische Wendepunkte. "Wenn das Leben seinen ruhigen Fluss nimmt – darüber muss man nicht schreiben", sagt der Bestseller-Autor.
Seine ersten Werke waren Kriminalromane, mit dem "Vorleser" gelang ihm 1995 ein großer internationaler Erfolg. Seitdem hat Bernhard Schlink eine Reihe weiterer Romane und Erzählungsbände vorgelegt. Nun gibt es einen neuen Band, der den Titel "Abschiedsfarben" trägt. In vielen der neun Geschichten geht es um einen Rückblick auf das Leben.
"Wenn man alt wird, spielt die Erinnerung eine große Rolle", sagt der 76-jährige Schriftsteller. "Im Rückblick stellt sich die Wahrnehmung auch von Abschiedssituationen ein, von Abschieden, die man selber nimmt oder die von einem genommen werden. Befreiende Abschiede, schmerzliche Abschiede – Abschiede, mit denen etwas Neues beginnt oder mit denen etwas zu Ende geht. Abschiede haben eben viele Geschichten oder auch viele Farben."
Viele seiner Werke handeln von einem Fehltritt, einem Einschnitt, einem besonderen schicksalhaften Ereignis und den Folgen, die dies für die Beteiligten hat. Es geht oft um Schuld, Gerechtigkeit, Recht. "Wenn das Leben seinen ruhigen Fluss nimmt, dann ist es okay, aber darüber muss man nicht schreiben", sagt Bernhard Schlink. "Ich habe das Gefühl, die Geschichten kommen zu mir als kleine Plots, die Personen sind auch schon da. Natürlich muss es weiter ausgearbeitet werden, aber es sind eben diese Geschichten, die zu mir kommen."

Gewissensfragen, Moral und Schuld

Woher kommt seine Aufmerksamkeit für bestimmte Konstellationen, für eine Handlung, die ein Leben prägt? Liegt das an seinem Beruf als Jurist?
"Das hat gewiss mit dem Elternhaus oder besonders mit meiner Mutter zu tun", sagt Bernhard Schlink. Seine Eltern waren beide Theologen: Der Vater war Lutheraner, das seien die Katholiken unter den Protestanten, "die sündigen und dann beichten sie und dann ist es vorbei". Die Mutter war hingegen eine Reformierte: "Sie haben Gewissensfragen, Fragen der Moral, Fragen der Verantwortung und Fragen der Schuld sehr beschäftigt. Und das hat sie auch in die Erziehung von uns Kindern hineingebracht."
Das habe sein Interesse an solchen Themen wahrscheinlich sehr viel mehr geweckt als das spätere Jurastudium. Er habe Jura studiert, weil ihn in der Tat Gerechtigkeit beschäftigt habe. Um dies herauszufinden, dafür sei das Jurastudium zwar nicht gebaut, aber es biete immerhin Raum genug, sich mit den Fragen der Gerechtigkeit zu beschäftigen.

"Ich bin in allen Geschichten drin"

Er habe schon als Kind geschrieben, sagt Schlink, zunächst Tiergeschichten und dann "schlechte Gedichte" oder kleine Stücke. Er dachte später, dass die Freude am Schreiben sich nun im wissenschaftlichen Schreiben erfüllen würde, aber er habe gemerkt, dass ihm etwas fehle, und so sei er zum literarischen Schreiben zurückgekehrt.
In seine Texte gehe immer Persönliches ein: "Mal Erlebtes, mal auch nur, was ich gern erlebt hätte oder was ich um alles in der Welt lieber nicht erleben wollte. Ich bin in allen meinen Geschichten drin. Dazu kommt natürlich, was ich um mich herum wahrnehme, was mir in anderen Menschen begegnet, was ich irgendwo in einer Zeitungsnotiz aufschnappe."
(cre)

Bernhard Schlink: "Abschiedsfarben"
Diogenes, Zürich 2020
240 Seiten 24,00 Euro

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