"Bernd war perfekt im Schneideraum"

Nico Hofmann im Gespräch mit Ulrike Timm · 27.01.2011
Der verstorbene Produzent Bernd Eichinger habe Hunderte von Karrieren im deutschen Film befördert, sagte der Produzent Nico Hofmann. Er sei eine "Lichtgestalt" gewesen - und das vor allem wegen seiner vielen Talente. Die Lücke, die er in der deutschen Filmwirtschaft hinterlasse, könne man nicht schließen.
Ulrike Timm: Der plötzlich verstorbene Bernd Eichinger war ein Kraftzentrum inmitten des deutschen Films, jemand der anzog oder abstieß – je nachdem, wie man zu ihm stand. Eichingers Gespür für Kinostoffe, die Erfolg versprechen, das war legendär, ebenso auch seine Beharrlichkeit. Um an die Filmrechte etwa für den Roman "Das Parfum" zu kommen, fragte er 20 Jahre lang immer wieder nach. Er hatte unglaublich viel Energie, und wenn er tatsächlich mal auf einer Luftmatratze im Meer läge, würde er nicht in den Himmel gucken, sondern an den "Weißen Hai" denken, sagte Eichinger mal von sich. So jemand reißt Lücken. Wo die genau liegen, das kann uns Nico Hofmann beschreiben. Er ist selbst erfolgreicher Film- und Fernsehproduzent und war zeitweilig Weggefährte von Bernd Eichinger bei Constantin-Film, der größten deutschen Filmfirma. Schönen guten Tag, Herr Hofmann, schön, dass Sie da sind!

Nico Hofmann: Hallo, ich grüße Sie!

Timm: Kann man denn diese Lücke, die da entsteht im deutschen Film und auch bei Constantin-Film, kann man die schon konkret beschreiben?

Hofmann: Also auch zwei Tage danach ist die Trauer wirklich groß. Und sie ist vor allen Dingen ehrlich, was ja in unserem Berufsstand nicht häufig ist. Es ist eine riesige Lücke, und ich glaube, sie ist nicht schließbar. Jemand wie Bernd, so jemand gibt es alle 20, 30 Jahre. Er war Lichtgestalt, Leuchtturm, er war in gewisser Weise auch Partner und Freund für wirklich viele, und das Vermissen ist sehr, sehr groß. Und wenn Sie mich fragen, ich würde sagen, so eine Lücke kann man in der Tat nicht schließen, das wird lange, lange nachwirken.

Timm: Denken wir trotzdem noch mal über seine Rolle nach, die jetzt ja auch fehlt im Filmgeschäft. Am bekanntesten war Bernd Eichinger als Produzent. Nun kann man sich als Laie gut vorstellen, was ein Regisseur, ein Drehbuchschreiber oder ein Geschäftsführer macht, aber was genau macht einen Produzenten eigentlich zu einem bedeutenden Produzenten?

Hofmann: Ich glaube, Bernd war deshalb ein bedeutender Produzent, weil er das Produzieren in einem viel, viel größeren Begriff aufgestellt hat. Er war ja wirklich Triebfeder all dieser Projekte – Sie haben beschrieben, wie lange er auf "Parfum" gewartet hat – also die Nase für die richtigen Stoffe zu haben, diese unendliche Beharrlichkeit, diese Genauigkeit bei der Besetzung, im Grunde genommen auch, sich in allen Metiers auszukennen. Bernd war perfekt im Schneideraum, er konnte einen Film alleine mischen und er war eigentlich dann auch Regisseur in seinem späteren Leben. Diese Mischung, wirklich als Partner jemand gegenüber zu haben, der dieses allumfassende Wissen hat und auch das Handwerk beherrscht, plus das untrügliche Gespür für Zeitgeist und für die Stoffe, die das Publikum will, das sind wirklich Ausnahmeerscheinungen, die Sie ganz, ganz selten antreffen. Und auch die große Internationalität, die Bernd in früheren Jahren schon in die Stoffe gebracht hat, das war für den deutschen Film damals etwas Außergewöhnliches.

Timm: Das heißt, er hat die Rolle des Produzenten auch sozusagen neu erfunden, denn eigentlich ist das ja die klassische in der zweiten Reihe, der, bei dem die Fäden zusammenlaufen, ohne dass er aktiv den Film gestaltet. Wie konnte ein Eichinger gerade in dieser Rolle so viele Fäden in der Hand halten und zeitgleich mit so vielen Bällen jonglieren?

Hofmann: Ich glaube, es war sein Naturell, weil er war ein Energetiker, man sagt immer, er hat an beiden Enden einer Kerze gebrannt – das ist, finde ich, ein falsches Bild. Bernd war jemand, der einfach mit einer unendlichen Lust – und einer großen, großen spielerischen Lust übrigens auch – Projekte nach vorne bewegt hat. Und wir reden ja jetzt auch noch mal über eine ganz andere Zeit, weil Bernd hat ja unglaublich jung begonnen, er war auch sehr, sehr jung erfolgreich, und es gab damals eigentlich nur Persönlichkeiten wie Günter Rohrbach, der damals "Das Boot" produziert hat, als wirkliches Aushängeschild eines Produzenten im deutschen Film. Und Bernd hat einen Weg gemacht, der seinesgleichen sucht. Das hat zu tun mit Talent, das hat einfach zu tun mit Talent und einer nicht enden wollenden Energie bei ihm.

Timm: Schauen wir mit allem Respekt für die Trauer mal ein Stück weit nach vorne, vielleicht würde das Bernd Eichinger auch temperamentsmäßig entsprechen: Herr Hofmann, was bedeutet denn sein Tod für die Zukunft von Constantin-Film, für die größte deutsche Produktionsfirma, die man doch immer mit ihm verband?

Hofmann: Also wissen Sie, über eine andere Firma zu urteilen, kann ich nicht und will ich nicht, ich würde aber sagen, dass die Constantin-Film sich extrem gut in den letzten Jahren aufgestellt hat. Man muss ja auch wissen, dass Bernd seine Anteile verkauft hat. Es gibt ein tolles Führungsgremium wie Martin Moszkowicz, von dem ich sehr, sehr viel halte, Oliver Berben ist mit in der Geschäftsführung. Die wissen sehr genau, was sie tun. Aber Bernd war ja ein Solitär, er war auch innerhalb der Constantin Film mit seinen Produktionen ein Solitär als Produzent, immer noch, immer wieder, er hat Natascha Kampusch vorbereitet. Wir haben wegen der Kampusch vor drei Tagen noch telefoniert miteinander am Wochenende. Das wird fehlen. Und was vor allen Dingen fehlt, ist seine Breitenwirkung in den deutschen Film hinein. Er hat die Deutsche Filmakademie maßgeblich gegründet und er hat unzählige, um nicht zu sagen Hunderte von Karrieren im deutschen Film befördert und gestaltet. Ohne ihn gäbe es keine Nina Hoss im Film, keinen Til Schweiger, keinen Sönke Wortmann, keine Barbara Rudnik – also man könnte diese Liste beliebig fortsetzen. Das ist das große Loch, was jetzt bleibt.

Timm: Ich frage natürlich auch nach Constantin Film, weil Sie dort doch drei Jahre lang mit ihm gemeinsam gearbeitet haben. Haben Sie was mitgenommen, würden Sie sagen, dass Sie in gewisser Weise Eichingers Herangehensweise in einigen Dingen zu ihrer eigenen gemacht haben?

Hofmann: Ich glaube in der Tat ja. Ich habe nicht von der Constantin Film viel mitgenommen, sondern persönlich von ihm. Er war für mich der Mentor und auch die wichtige Bezugsgröße. Alles eigentlich, was ich in meinem Gewerbe jetzt auf der Fernsehseite gelernt habe, kommt von ihm. Das hat zu tun mit diesem ganzheitlichen Produzentenbild, über das wir vorhin gesprochen haben, und im Übrigen auch hat es zu tun mit der Verantwortlichkeit für die Projekte. Wirklich Verantwortlichkeit heißt bei Bernd bis zur Mischung, bis zum letzten Schnitt, bis hin zur Herausbringung immer wieder am Tisch zu sitzen und nachzufragen: Sind wir gut genug? Und ich verdanke ihm in der Tat meine ganze berufliche Laufbahn, das kann man so sagen.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit dem Filmproduzenten und Fernsehproduzenten Nico Hofmann. Herr Hofmann, für Bernd Eichinger war es selbstverständlich, dass er mit Filmen auch Geld verdienen wollte, viel Geld. Er war auch, glaube ich, der einzige deutsche echte Hollywood-Produzent, der mit großen Budgets jonglierte – man kann sich einen Christian Petzold schwerlich mit einem Riesenbudget vorstellen. Nun ist aber in Hollywood Film auch Industrie, ganz klar Industrie, und in Deutschland hängen fast alle Filme von Fördermitteln ab, in irgendeiner Form. Film ist kein echter, freier, unabhängiger Wirtschaftszweig, der auch sein Risiko alleine trägt. Kann man die Gegebenheiten USA - Deutschland, zwischen denen er ja balanciert ist, kann man die überhaupt in irgendeiner Weise vergleichen?

Hofmann: Man kann die schon vergleichen, weil sich die Bedingungen, muss ich Ihnen sagen, immer weiter annähern. Das ist auch der Grund, warum Amerikaner plötzlich auf deutschem Boden drehen. Wir erleben übrigens auch im deutschen Filmwesen in den letzten Jahren eine erhebliche andere Finanzierungsstruktur, und zwar nicht nur aus öffentlichen Mitteln. Übrigens auch Bernd hat beispielsweise im "Parfum" beispielsweise sehr, sehr viel privates Geld mit drin gehabt. Im Übrigen hat Bernd Eichinger die Werke von Christian Petzold sehr geschätzt, also da gab es auch eine große Begeisterung, selbst für die Berliner Schule. Aber in der Tat, im Unterschied zu Frankreich ist der deutsche Film in gewissen Bereichen nicht in der Lage, ohne Förderung auf den eigenen Beinen zu stehen, das ist nach wie vor für die Branche ein Problem. Und gerade das letzte Jahr mit einem bitteren Verlust im Marktanteil im deutschen Film ist für uns alle extrem betrüblich. Ich hoffe, dass es in diesem Jahr besser wird. Aber das Thema wird uns weiter verfolgen.

Timm: Sind diese Fördermöglichkeiten vielleicht auch nicht nur eine Chance, sondern auch ein Risiko, weil man ja immer relativ weit weich fällt, wenn man floppt? Schaden sie dem deutschen Film vielleicht sogar?

Hofmann: Wissen Sie, Sie fallen nicht wirklich weich, weil die Fördermittel sind ja an alle möglichen Bedingungen gekoppelt. Sie müssen ja beispielsweise bis zum Dreifachen dessen, was Sie an Förderung bekommen, auch in dem jeweiligen Bundesland ausgeben, und Sie dürfen auch nie vergessen, dass all diese Filme mit erheblichen Eigenmitteln der Produzenten auch gemacht werden. Es ist kein Geschenk des Staates. Es ist ein Finanzierungsbauteil von fünf, sechs anderen. Da kommen Bauteile auch dazu wie Weltvertriebsgarantien, Verleihgarantien – man fällt da nicht nur weich. Also wenn ein Film floppt, trifft es alle, die Förderer genauso wie die Produzenten.

Timm: Ich habe jetzt das Fallen verglichen von Deutschen und Amerikanern, die ohne Fördermöglichkeiten auskommen müssen.

Hofmann: Die Amerikaner betreiben ihr Geschäft mit ganz anderen Modulen. Die betreiben ihr Geschäft beispielsweise mit Fremdinvestoren, da werden regelrechte Fonds aufgelegt – wenn Sie eine Finanzierung nehmen wie bei Steven Spielbergs Firma DreamWorks, da sind richtige Geldgeber drin. Aber ich hatte ja vorhin gesagt, ein Teil dieser Finanzierungsmethodiken kommen im Moment auch in Deutschland an. Es gibt im Moment auch in Deutschland Fondsbetreiber, jetzt wieder neue, die bereit sind, auch in Filmfirmen, in ganze "slays", also in ganze Reihen von Filmen, die ein bestimmter Produzent herausbringt, zu investieren. Aber die betreiben das natürlich komplett kapitalistisch, die wollen das Geld wieder zurück und dann auch verzinst.

Timm: Sie haben vorhin sehr vornehm und sehr respektvoll beschrieben, dass Sie Eichinger möglicherweise einen Teil Ihrer Herangehensweise auch verdanken, Nico Hofmann. Sie haben ja selber viele Filme produziert, und zwar sehr verschiedenartige Filme, die gemeinsam hatten, dass sie alle oder ein großer Teil sehr erfolgreich waren. Da sind wirklich bedeutende, auch künstlerisch bedeutende "Tatort"-Verfilmungen, da sind aber auch große Ereignisse wie "Die Flucht" oder "Die Deutschen", die viele Menschen angesprochen haben. Fehlt es im deutschen Film ein bisschen an der Offenheit für beides, Kunst und Geschäft?

Hofmann: Also ich bilde mir ein, dass eine neue Generation im Moment kommt, und da ist Til Schweiger vielleicht jetzt gerade, weil er seinen Filmstart auch hat, das prominenteste Beispiel. Es gibt – ich unterrichte ja auch, wir telefonieren jetzt gerade hier von Ludwigsburg aus, ich stehe hier gerade in einem Unterrichtsraum in der Filmakademie. Wenn Sie jüngere Studenten sehen und Absolventen, da weht ein völlig anderer Wind. Die wollen das Publikum, die wollen auch eine Öffnung zum Markt, ohne sich zu korrumpieren. Ich nehme jetzt mal einen Film wie Facebook aus Amerika, das ist ja kein alberner Unterhaltungsfilm, sondern der Facebook-Film "Social Network" hat ja eine große eigene, innere Wahrhaftigkeit auch und findet trotzdem sein Publikum. Das ist ein Weg, der in Deutschland immer weiter beschritten wird. Also ich glaube, wir werden die nächsten Jahre eine extreme Öffnung der deutschen Filmemacher hin zum Publikum erleben. Anders ist auch nicht erklärbar, warum der Marktanteil deutscher Filme in den letzten Jahren doch so stark gestiegen ist. Wir hatten jetzt im letzten Jahr eine Delle, aber der Aufwärtstrend seit etwa fünf, sechs Jahren ist eindeutig spürbar.

Timm: Wie wichtig ist denn die zunehmende Selbstverständlichkeit, Filme in zwei Fassungen zu machen, eine fürs Kino und eine fürs Fernsehen? Sie sind diesen Weg, glaube ich, auch selber ein paar mal gegangen.

Hofmann: Ich bin es ungern gegangen, ich bin auch der Meinung, dass es wirklich komplett verschiedene Felder sind. Ich kann Ihnen ein aktuelles Beispiel nennen: Wir kommen jetzt in zwei Wochen mit "Dschungelkind" ins Kino, da gibt es zwei völlig verschiedene Varianten – im Drehbuch, im Schneideraum bis hin zur Auflösung. Die Felder sind ganz klar zu trennen. Und wo immer man es für Kino alleine produzieren kann, möchte ich es auch für Kino alleine produzieren. Ich bin nicht unbedingt ein Freund des sogenannten Zwitters und Zweiteilers.

Timm: Aber es wird ja zunehmend gemacht und ist Realität. Man spricht so von Amphibienfilm, habe ich gehört.

Hofmann: Es wird, wenn ich Ihnen jetzt mal den UFA-Cinema-Slot nehme, den wir in diesem Jahr produzieren, es sind acht Filme, davon ist ein einziger auf diese zweiteilige Weise produziert, nämlich "Dschungelkind". Alle anderen Filme – wir drehen gerade mit Dennis Gansel den neuen Film "Im Jahr der Schlange" mit Moritz Bleibtreu –, das sind alles Unikate, und die finden auch nur in der Kinofassung statt.

Timm: Die deutsche Filmlandschaft muss sich nach dem Tod von Bernd Eichinger auch einen neuen Weg suchen, denn es fehlt ein Monolith, an dem man sich reiben und an dem man wachsen konnte. Nico Hofmann sprach mit uns, und ich bedanke mich sehr für dieses Gespräch mit Nico Hofmann, selbst erfolgreicher Film- und Fernsehproduzent und Bernd Eichinger eng verbunden. Ich bedanke mich fürs Gespräch!

Hofmann: Ich danke Ihnen, wiederhören!