Bernd Stegemann: „Die Moralfalle“

Missglückter Befreiungsschlag

Cover des Buchs "Die Moralfalle" von Bernd Stegemann. Im Hintergrund eine Kundgebung der linken Sammlungsbewegung "Aufstehen" in Berlin.
Mit "Der Moralfalle" hat Bernd Stegemann ein Buch vorgelegt, das den Kampf gegen Windmühlen energisch ausfechtet. © Cover: Matthes & Seitz/ Hintergrund: imago/Seeliger
Von Matthias Dell · 14.12.2018
Bernd Stegemann will linke Politik erneuern. Der Mitinitiator von „Aufstehen“ hat darum das Sachbuch „Die Moralfalle“ geschrieben. Doch der Dramaturg scheitert, auch weil er etwas Wesentliches übersieht.
Bernd Stegemann ist Professor an der Berliner Schauspielschule "Ernst Busch" und Dramaturg im Berliner Ensemble. Seit diesem Jahr "gilt", wie es im Klappentext heißt, Bernd Stegemann aber auch noch als "Stratege" der von ihm und Sahra Wagenknecht initiierten Sammlungsbewegung "Aufstehen".
Man ist also geneigt, Stegemanns neuestes Buch "Die Moralfalle" als programmatische Schrift zu lesen – im Untertitel heißt das Buch: "Für eine Befreiung linker Politik". Und auf dem Buchrücken lobt Sahra Wagenknecht: "In seiner klarsichtigen Analyse zeigt Bernd Stegemann, wie sich linke Politik durch den inflationären Gebrauch der Waffe abstrakter Moral von der Bevölkerungsmehrheit entfernt und sich in einer selbstgerechten Position isoliert."

Weder Klarsicht noch Analyse

Stegemann weist im Nachwort zwar darauf hin, dass das Buchprojekt begonnen wurde, bevor "Aufstehen" an den Start ging. Zugleich bearbeitet es aber redundant den Punkt, der bei "Aufstehen" aus linker Perspektive am problematischsten erscheint: dass der Versuch, sich bei armen Menschen anzuwanzen, auf Kosten von Migranten unternommen wird; dass Klassismus gegen Rassismus ausgespielt wird.
Um es kurz zu machen: "Die Moralfalle" ist ein ödes Buch, das weder "klarsichtig" noch "Analyse" genannt zu werden verdient. Stegemann arbeitet sich an einer angeblichen Dominanz der Moral im Diskurs ab, die bei ihm immer nur fieses Mittel im Streit der Meinungen ist. Es findet sich keine Stelle in der Schrift, an der in Zusammenhang mit dem Begriff nicht im Vorübergehen abgewertet würde: "moralisch aggressiv", "moralische Bevormundung", "moralisierende Beurteilung", "Belehrung" – so geht es in einer Tour.
Und das ist schon deshalb langweilig, weil an Texten dieses Tenors, die gegen "Political Correctness" und andere Windmühlen der eigenen Empfindlichkeit ins Feld ziehen, seit Anfang der 90er-Jahre kein Mangel herrscht; die werden in regelmäßiger Gleichförmigkeit veröffentlicht. Wem Stegemanns Buch etwas Neues sagt, der darf die letzten gut 30 Jahre keine Zeitung, kein Magazin, kein Buch aufgeschlagen haben.

Tausendfach Bekanntes

Entsprechend dürftig ist die Betrachtung, weil Stegemann lauter medial durchgekaute Phänomene noch einmal unoriginell mit seinen Worten bedenkt: "Wir schaffen das", Essener Tafel, #MeToo – das Buch als Medium eines Autors, der sich aktuell jeweils nicht äußern konnte.
Es ist erstaunlich, dass jemand sich die Mühe macht, 200 Buchseiten mit einem Text vollzuschreiben, der schon tausendfach erschienen ist. Und, dass eben gerade nicht analysiert wird: Immanuel Kant wird in einem Absatz abgefertigt, dessen kategorischer Imperativ ("Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde") erledigt mit der vagen Formulierung: "Warum das immer so sein soll und wie das im Einzelfall durchzusetzen ist, ist hingegen rätselhaft."
Das wäre es vielleicht weniger, wenn der selbsternannte linke Denker, wie im Backlash nach 1968 üblich, Moral nicht einzig als etwas sehen könnte, dass Karmapunkte verschafft. Sondern sich fragen würde, warum Moral eigentlich so diskreditiert ist, dass auch Stegemann sie aus allen Diskussionen raushalten will – wo doch Moral, siehe Kant, zuerst einmal der neutrale Begriff für die Organisation eines aufgeklärten menschlichen Miteinanders ist.

Beleidigung für den Leser

"Die Moralfalle" ist derart eine begriffsunscharfe, noch nicht einmal stilistisch unterhaltsame Suada. Dass Begriffe wie "links", "Stolz" oder "Nation" nicht einem geringsten definitorischen Bemühung unterzogen werden, dass weder der "Politische Korrektheitsdiskurs" noch #MeToo noch die Markierung "alter weißer Mann" von Stegemann verstanden wurden, macht aus der Schrift eine Beleidigung einer intellektuell interessierten Leserschaft.
Der größte Witz ist freilich, dass das Buch im Untertitel "Für eine Befreiung linker Politik" heißt, es die ganze Zeit aber nur "gegen" Moralismus geht und am Ende nicht einmal verraten wird, wie man den nun loswerden kann, wenn man schon so arg unter ihm leidet wie Bernd Stegemann.

Bernd Stegemann: Die Moralfalle. Für eine Befreiung linker Politik
Matthes & Seitz, Berlin 2018
205 Seiten, 18 Euro

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