Bernd Greiner: "Made in Washington"

Die gestörte Weltmacht

06:20 Minuten
Zu sehen ist das Cover des Buches "Made in Washington" von Bernd Greiner.
Bernd Greiner führt vor, dass es für die USA keine Tabus gibt, wenn sie an ihrer Weltordnung basteln. © Deutschlandradio / Verlag C.H. Beck
Von Arno Orzessek |
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Bernd Greiners Abrechnung mit der globalen Supermacht USA lässt an der US-Außenpolitik der letzten Jahrzehnte kein gutes Haar. Der Kenner der Vereinigten Staaten zeigt detailliert auf, wo die Weltmacht versagte.
Die USA sind ein rabiater Hegemon, der zur Durchsetzung seiner weltweiten Vormacht in der Regel auf nichts und niemanden außer sich selbst Rücksicht nimmt und über Berge von Leichen geht: Das ist die Kernaussage von "Made in Washington".
Das klingt nicht wirklich neu. Und wer ein positiveres Bild von der US-Außenpolitik hat, dürfte schnöden Antiamerikanismus wittern. In der Tat befasst sich Bernd Greiner kaum mit Gegenargumenten und präsentiert nur Befunde, die die USA in ein finsteres Licht rücken. Doch eben das gelingt dem exzellenten Kenner der jüngeren US-Geschichte so überzeugend, dass eine Entlastung Washingtons inklusive der CIA kaum möglich erscheint.

Die auserwählte Nation

Präsident Harry Truman schwärmte nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima vom "größten Ding in der Geschichte"; Amtskollege Richard Nixon geiferte im Vietnam-Krieg: "Man muss diese Bastarde einfach – einfach pulverisieren"; die Gewaltgeilheit Henry Kissingers grenzte oft ans Absurde; George W. Bush ließ sich die Gründe für den Angriff auf den Irak zurecht lügen; Obama entsandte stillschweigend Drohnen auf Todesflüge mit zivilen Opfern.

Zeit für eine andere Weltordnung?
Spätestens als die USA ihre Truppen abzogen, war der internationale Afghanistaneinsatz gescheitert. Ein Versagen der Ordnungsmacht USA? Ja, sagt der Historiker und Amerikakenner Bernd Greiner in der Sendung "Tacheles. (AUDIO) Es war nicht das erste Mal, dass die Großmacht in den vergangenen Jahrzehnten versagte.

Auf einem Gebäude ist eine USA-Fahne, die im Wind weht.
© picture alliance / CHROMORANGE / Karl-Heinz Spremberg
Wer sich interessiert, weiß von diesen Dingen. Greiner legt auch gar keine neue Chronologie der Missetaten und Missetäter vor, so hart er mit ihnen ins Gericht geht. Stattdessen verdichtet er in den neun Essays des Buches das politische und militärische Agieren der USA zum Porträt einer gestörten Weltmacht.
Ursächlich für die notorische Aggressivität, die gigantische Hochrüstung und die Tendenz zur Einmischung sind laut Greiner "überzüchteter Nationalismus, ausufernde Verlustängste und das Phantasma totaler Sicherheit". Das Treiben der Politiker, Militärs und Geheimdienste stütze sich dabei stets auf die in den USA "mehrheitsfähige Behauptung, als auserwählte Nation das Recht zu haben, sich über die Rechte anderer hinwegsetzen zu können".

Kriegslüsterne US-Präsidenten

Der im Buch enthaltene Essay "Casino Royal. Zocken mit Nuklearwaffen" führt nicht umsonst den Namen eines Bond-Films im Titel. Wie oft US-Regierungen atomare Erstschläge durchgespielt haben, wie oft sie sich im Kalten Krieg möglichst unberechenbar gaben, wie andererseits sowjetische Militärs die Nerven verloren und 1983 den verirrten KAL-Flug 007 abschossen – das alles wirkt filmreif, ist jedoch Realgeschichte.
Genauso wie die Unterstützung von Putschisten und Despoten in Mittel- und Südamerika, siehe Guatemala, Chile, Argentinien usw. Greiner zeigt, dass und warum der US-Kongress kriegsfreudigen Präsidenten wenig entgegenzusetzen hat. Ein Manko, das sich nicht zuletzt in George W. Bushs "Krieg gegen den Terror" offenbarte, durch den die USA erneut Vertrauen verspielt und Abscheu erregt haben.
Dass Greiner als Gegenentwurf zum bellizistischen Washington Willy Brandts, Olof Palmes und Bruno Kreiskys 50 Jahre alten Vorstellungen von internationaler Zusammenarbeit aufrufen muss, wirkt eher hilflos als hilfreich. Doch weiß jemand besseren Rat?
Greiner führt vor, dass es für die USA keine Tabus gibt, wenn sie an ihrer "Weltordnung" basteln. Und er legt die Gründe dar. Den wichtigsten kennt jeder: America first! – damals wie heute. Unausgesprochen bleibt, dass andere weltpolitische Akteure nicht unbedingt besser sind. Aber darin liegt auch kein Trost.

Bernd Greiner: "Made in Washington. Was die USA seit 1945 in der Welt angerichtet haben"
C. H. Beck Verlag, München 2021
288 Seiten, 16,95 Euro

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