Bernd Böhlich über seinen neuen Film

DDR - warum eine gesellschaftliche Vision so jämmerlich scheiterte

10:48 Minuten
Bernd Böhlich bei der Premiere des Kinofilms "Und der Zukunft zugewandt" in Dresden.
Regisseur und Autor Bern Böhlich bei der Premiere des Kinofilms "Und der Zukunft zugewandt" in Dresden. © imago images/Future Image/M. Wehnert
Moderation: Susanne Burg · 31.08.2019
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Eine überzeugte Kommunistin landet unschuldig im Gulag und kehrt Anfang der 50er Jahre in die DDR zurück. Davon erzählt der Film "Und der Zukunft zugewandt". Regisseur Bernd Böhlich erzählt darin exemplarisch, warum die DDR trotz Idealismus versagte.
Susanne Burg: Der Jahrestag des Mauerfalls wirft seine Schatten voraus: Ein neuer Spielfilm beleuchtet ein weithin unbekanntes Kapitel deutsch-sowjetischer Geschichte. Nämlich die Frage, was in sowjetischen Straflagern mit deutschen Kommunisten geschah. Alexandra Maria Lara spielt die überzeugte Kommunistin Antonia Berger, die während der Stalinzeit unschuldig im Gulag landete und Anfang der 50er-Jahre zurück in die DDR kam. Dort mussten sie und zwei andere Heimkehrerinnen unterschreiben, dass sie nicht über ihr Schicksal sprechen. "Was hinter euch liegt, hat nichts mit Kommunismus zu tun", heißt es darin. "Wir gehen auf einem Weg, den keiner kennt. Es wird eine Zeit kommen, da werden wir über alles reden, aber nicht jetzt."
Bernd Böhlich hat das Drehbuch zum Film geschrieben und auch Regie geführt. Er hat mir erzählt, wie er auf die Idee zum Film kam, die nämlich auf einer wahren Geschichte beruht.
Bernd Böhlich: Ende der 80er-Jahre habe ich die Schauspielerin Svetlana Schönfeld bei Dreharbeiten kennengelernt und dann von ihr erfahren, dass sie 1951 in einem sowjetischen Straflager geboren wurde. Das hat mich zu diesem Zeitpunkt Ende der 80er-Jahre in der DDR fassungslos gemacht. Und dann habe ich versucht, darüber zu recherchieren, was nicht möglich war, weil das Thema in der DDR ein absolutes Tabu war. Es gab weder Literatur darüber, noch andere Informationen. Zwei Jahre später fiel die Mauer, und dann standen einem diese Bücher zur Verfügung, die einfach etwas über diese Zeit berichteten. Und dann habe ich gelesen, was ich erreichen konnte, habe mich mit Zeitzeugen getroffen. Mich hat das Thema einfach nicht losgelassen, weil es für mich sehr viel mit dem Ende der DDR zu tun hatte. Ich war kein gläubiger DDR-Bürger, ich habe auch keine Träne vergossen, als das Land in sich zusammenfiel. Aber mich hat schon beschäftigt, warum eine solche gesellschaftliche Vision so jämmerlich scheitert. Und das hatte dann für mich immer mehr mit der Geschichte, mit der Herkunft der DDR, zu tun.

"Gesellschaft voller Misstrauen"

Burg: Vielleicht sollten wir auch noch zur Erklärung sagen, Antonia Berger ist dann Ihre Figur im Film, sie ist ja bewusst in die Sowjetunion gegangen mit der Kolonne Links. Wofür stand sie damals, was wollte sie, als sie in die Sowjetunion gegangen ist?
Böhlich: Das hört sich heute wahrscheinlich merkwürdig an, aber in den 20er-, 30er-Jahren sind sehr viele Westeuropäer in die Sowjetunion gegangen, weil sie das wirklich eine Alternative zum Kapitalismus fanden. Sie fanden, dass dort in der Sowjetunion bei aller Armut eine Vision verwirklicht wird, für die es sich lohnt einzustehen – und sie wollten das Land einfach unterstützen. Leute aus Frankreich, Spanien und eben auch Deutschland sind nach Moskau gegangen. Moskau war ein Ziel, und so auch eben das unserer Hauptfigur.
Burg: Angeblich soll sie dann spioniert haben. Was ist passiert, dass dann die Menschen, die eigentlich ja den Kommunismus mit aufbauen wollten, im Gulag gelandet sind?
Böhlich: Die haben einfach alle nicht geahnt, dass sie in eine Gesellschaft kommen, die voller Misstrauen ist. Und zu diesem Zeitpunkt wusste keiner von ihnen, was es heißt, im realen Stalinismus zu leben. Alle Kampfgefährten von Lenin waren inzwischen erschossen, das sind ja alles ganz fürchterliche Dinge. Und die Leute kamen in eine Gesellschaft, die voller Hysterie war, voller Misstrauen untereinander, Denunziation. Und sie konnten damit erst mal schwer umgehen, nahmen das erst mal als notwendiges Übel auf dem Weg in eine bessere Zukunft, bis sie merkten, das ist sowjetischer Alltag.

Rückkehr in sozialistische Länder

Burg: Das Kuriose, was aus heutiger Sicht ein bisschen schwer nachvollziehbar scheint, ist, dass sie dann in die DDR überführt wurde. 1951 kommt sie dahin und sie muss eine Klausel unterschreiben, dass sie nicht über das redet, was sie erlebt hat. Und sie tut es und sie glaubt immer noch an den Aufbau des Sozialismus. Warum ist sie nicht gebrochen?
Böhlich: Das ist sicherlich die schwierigste Frage überhaupt, die da im Raume steht. Ich will darüber moralisch nicht richten. Es sind Leute aus dem Gulag gekommen, die sind sofort in den Westen gegangen, weil sie in einem Sozialismus sowjetischer Prägung überhaupt keine Zukunft gesehen haben. Der übergroße Teil aber ist eben wirklich, ob jetzt in die DDR oder nach Polen oder was weiß ich, aber in die vermeintlich sozialistischen Länder gegangen, weil sie der Meinung waren, alles andere wäre Verrat an der Sache. Sie wollten natürlich auch, dass ihr Opfer, das sie gebracht haben, diese vielen Jahre in Gefangenschaft, das musste alles irgendwie doch einen Sinn gehabt haben. Vor der Frage standen sie.

Eine Stadt als Vision für eine Gesellschaft

Burg: Das ist ja auch so ein bisschen verlockend: Sie kommt aus dieser schlimmen Situation, aus der Hölle, aus dem Gulag in die DDR, in eine relativ komfortable Situation, weil sie eine Arbeit bekommt, sie bekommt eine schöne Wohnung und sie denkt, das ist jetzt auch eine Chance. Im Film zeigen Sie keine Zerstörung. Da gibt es ja viele Filme, die noch das zerbombte Berlin zeigen. Sie haben in Eisenhüttenstadt gedreht. Warum war es Ihnen wichtig, gerade nicht die zerbombte DDR zu zeigen?
Böhlich: Weil Eisenhüttenstadt die Vision darstellt. So stellt sich die DDR-Führung die DDR insgesamt vor. Da wird eine Stadt gebaut, quasi wie eine Musterstadt – soll es ja auch sein, so wird sie auch bezeichnet –, und die DDR-Elite sagt: Wenn wir jetzt alle zusammenstehen und alle ganz fleißig sind, dann wird mal unser Land so aussehen. Und die Stadt funktioniert, sie hat schöne, helle Wohnungen, sie hat eine funktionierende Infrastruktur, es gibt ein großes Krankenhaus, es gibt ein Theater. Das ganze gesellschaftliche Gebilde funktioniert ja. Das mag heute naiv erscheinen, aber in der Zeit überzeugt das viele Menschen, auch mit dem Hintergrund dieses schrecklichen Zweiten Weltkriegs, dieses zerstörten Europas und dieses ganzen Leids und Schmerzes, sodass Leute sagen, es muss jetzt etwas anderes geschehen.
Die Frage ist, ob dieser Verdrängungsprozess, ob man ihn dann auch mal beendet und ob man den Mut und die Kraft findet, schmerzhafte Dinge aus der Vergangenheit dann doch zu veröffentlichen und das jetzt nicht immer nur ein Trost ist. Das passiert ja den Leuten, dass gesagt wird: Wir werden irgendwann darüber sprechen, aber nicht jetzt. Weil wenn wir jetzt noch erzählen, wo ihr deutsche Kommunisten herkommt und was ihr erlebt habt, wer soll uns denn dann jetzt hier noch glauben, dass wir wirklich eine Alternative sind? Das ist eine Begründung, auch die leuchtet einem ein in dieser Zeit. Aber sie löst natürlich kein Problem. Und dieses Vertrösten - wir werden irgendwann mal darüber sprechen - dieser Vorsatz wird solange vor sich hergeschoben, bis es das Land nicht mehr gibt.

Verschiedene Biografien flossen in den Film ein

Burg: Wie verhält sich eigentlich Antonia Berger dazu? Auf der einen Seite scheint sie diese Verdrängung auch ein bisschen zu erleichtern, gleichzeitig funktioniert es nicht so gut mit dieser Sprachlosigkeit, mit der sie auch konfrontiert ist.
Böhlich: Die Frauen und Männer, die in dieser Situation gelebt haben, waren ständig in einem Konflikt und haben diesen Konflikt in sich getragen, auf welche Weise auch immer. Ich habe, wie gesagt, eine ganze Reihe von Biographien dann genauer kennengelernt. Es gab beispielsweise eine Frau in Dresden, die dort in der Gaststätte gearbeitet hat, die keinen Menschen um sich herum hatte, die hat sich zu Tode getrunken, weil es keinerlei Ventil gab, damit umzugehen. Ich habe versucht, aus diesen vielen Biographien, die ich gelesen, gehört, recherchiert habe, drei Biographien zu formen für den Film.
Ich wollte unbedingt jemanden haben aus dem intellektuellen Milieu, aus einem sehr einfachen Arbeitermilieu und ich wollte jemanden aus dem künstlerischen Milieu haben. Das ist Antonia Berger. Die Frauen setzen sich aus ganz vielen anderen Biographien zusammen, und die Tatsache, dass eben es ganz unterschiedliche Formen des Umgangs miteinander gab. Es hat Leute gegeben, die sind mit einer solchen Biographie in der DDR in die höchsten Staatsämter gekommen in der DDR. Da haben sich alle ganz strikt an dieses Schweigegelübde gehalten, aber dieses Phänomen, dass man Unangenehmes, Schmerzhaftes am besten aus der Welt schafft, indem man es verdrängt, das ist etwas, das wird es immer geben. Die einen können damit gut leben – jedenfalls nach außen –, und die anderen zerbrechen an sowas.

"Geburtsfehler" der DDR

Burg: Nun kommt der Film im 30. Jahr nach dem Mauerfall ins Kino und beleuchtet eine Zeit, in der es eben nicht um das Ende der DDR ging, sondern eher um den Anfang. Wenn wir jetzt über die 30 Jahre Mauerfall reden, welche Facette kann dieser Film beleuchten?
Böhlich: Ich finde es erst mal grundsätzlich wichtig, dass man sich gegenseitig – Ost wie West, Nord wie Süd –, dass man sich gegenseitig erzählt, wo man herkommt. Mich interessieren Biographien, mich interessieren Herkünfte, weil ich finde, nur so versteht man Dinge in der Gegenwart, wenn man weiß, aus welchem kulturellen, politischen Umfeld Menschen kommen, was sie für einen Weg zurückgelegt haben. Und warum die DDR oder eben diese gesellschaftliche Vision so wirklich jämmerlich krachen gegangen ist. Wenn man sich dafür interessiert, dann, finde ich, gehört dieses Thema unbedingt dazu.
Es hat in der DDR natürlich in diesen 40 Jahren der Existenz einen Haufen Dummheiten gegeben, wirtschaftliche Fehlentscheidungen und so weiter. Und sicherlich ist natürlich die DDR wesentlich daran auch zugrunde gegangen. Aber je mehr ich mich damit beschäftigt habe, umsomehr bin ich davon überzeugt, dass dieser Zusammenbruch ganz viel damit zu tun hat mit diesem Geburtsfehler und mit diesem Kodex, dass der Staat sagt: Wir entscheiden, was öffentlich diskutiert wird und was nicht. Und wenn das einmal Staatsdoktrin ist und sich alle damit arrangieren, dann erstickt eine Gesellschaft, dann ist klar, sowas ist zum Scheitern verurteilt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Der Spielfilm "Und der Zukunft zugewandt" von Bernd Böhlich, mit Alexandra Maria Lara und Robert Stadlober, kommt am 5. September 2019 ins Kino.

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