Berliner Wundermaschine aus dem Orchestergraben

Von Jörn Florian Fuchs |
Seit nunmehr vierzig Jahren bieten die Salzburger Osterfestspiele ein hohes musikalisches Niveau. Dass Publikum legt dabei nicht nur Wert auf Etikette, sondern auch auf nicht allzu schräge Töne. In den letzten Jahren geriet das Festival in finanzielle Not, da Brittens "Peter Grimes" und Debussys "Pelleas et Melisande" einige Hundert Besucher im Vorfeld verschreckten. Die nächsten Jahre setzt man daher auf Publikumsmagnet Richard Wagner.
Das "Rheingold" ist der Vorabend zu Wagners vierteiligem Weltendrama. Hier beginnen Handlungsfäden, werden Figuren vorgestellt und der Grundkonflikt umrissen: wie Machtwahn und Goldgier zur Zerstörung des individuellen Gefühlslebens einerseits und zur Zerstörung der gesamten Welt andererseits führen.

Dabei ist der Vorabend zum "Ring des Nibelungen" eine zu Teilen durchaus heitere Oper, fast ein Märchenspiel. Bezaubernde Rheintöchter, ein garstiger Giftzwerg, der immer etwas schlecht gelaunte Göttervater Wotan, zwei dumpfbackige Riesen und der Feuerhalbgott Loge gehören zum Inventar dieses vielschichtig schimmernden Bilderbogens. Musikalisch geht es dabei – für Wagnersche Verhältnisse – erstaunlich locker und luftig zu.

Im österlichen Salzburg brachte Simon Rattle seine Berliner Philharmoniker ordentlich in Schwung – das Ergebnis: ein wahrer Farbenrausch, das sinnliche Auskosten von Details und ein klangkluges Gestalten von Tempi und Dynamiken.

So erfreulich die Berliner Wundermaschine aus dem Orchestergraben des Großen Festspielhauses ratterte, so enttäuschend war die szenische Umsetzung durch Regisseur Stéphane Braunschweig. Der nämlich verzichtete auf eine konkrete Deutung des Stücks und stellte stattdessen die Figuren sehr hilflos und rampenorientiert auf die Bühne.

Mann trägt vorwiegend Businesskleidung, die holde Weiblichkeit hüllt sich in weißen Stoff oder schwarze Roben. Nur der böse Zwerg Alberich trägt kurzzeitig eine Art Hitler-Uniform. Das aber kennt man zu Genüge aus den deutschen Stadttheatern von Flensburg bis Oberbayern. Sieht man Wotan zu Beginn noch auf drei Theaterstühlen liegen, wo er schläft und das Vorspiel im Rhein zu träumen scheint, so verflüchtigt sich dieser nicht uninteressante Einfall rasch und wird nicht weiter ausgearbeitet.

Der Rest ist ohnehin Dekoration aus dem Beamer: belanglose Projektionen von Wellen, Wind und Wolken oder auch mal Feuer flimmern da über die Wände des sonst konsequent leeren Spielraums, der sich durch den Einsatz diverser Hubpodien rasch von der Erde rauem Rücken zu Alberichs Reich wandelt – und umgekehrt. Am Schluss stehen die Götter – nebst dem als Diva im Glitzerkleid auftauchenden Loge – vor der großen Rückwand ratlos herum, anstatt über die Regenbogenbrücke nach Walhall zu lustwandeln.

Nach Simon Rattles furiosem Rheingold-Dirigat war man auf die weiteren Festspielkonzerte gespannt, in diesem Jahr standen vor allem russische Altmeister auf dem Programm. Und auch hier waren Rattle und seine Berliner voll in ihrem Element: bei Schostakowitschs meisterhafter Ballettsuite "Das goldene Zeitalter" ebenso wie bei Rachmaninoffs drittem Klavierkonzert, mit Yefim Bronfman als solistischem Dialogpartner am Flügel.

Bronfman interessierte sich bei aller Virtuosität in den einzelnen Phrasen auch für die Übergänge und verzichtete auf Show und Pomp. Dafür war eher Lang Lang zuständig, der Prokofiews drittes Klavierkonzert rasend-flitzfingrig spielte und dabei – fast – seine Kollegen im Orchester abhängte.

Auch Leos Janaceks blechlastige "Sinfonietta" und Antonin Dvoraks turbulente Tondichtung "Das goldene Spinnrad" überzeugten, einzig die vierte Symphonie von Brahms geriet unter Rattles zackigem Dirigat erstaunlich trocken und spannungsarm.

Um auch das nicht so zahlungskräftige Publikum einzubinden, gibt es seit Jahren ein kleines Off-Festival im Osterfestival, die "Kontrapunkte". Diesmal stand Wagner als Inspirationsquelle und als Gegner im Mittelpunkt. In drei Kammerkonzerten stellten Mitglieder der Berliner Philharmoniker allerlei "Wagner-Material" vor. Da hörte man den Wagner-Fan Franz Schreker oder auch den frühen Arnold Schönberg, der im Dunstkreis des verehrten Vorbilds bekanntlich einen sehr eigenen Weg ging. Aber auch explizite Wagner-Feinde kamen lautstark zu Wort, so Paul Hindemith, der sich nicht recht zwischen Parodie und bissiger Ablehnung entscheiden konnte. Ein Beispiel gefällig? Voilà – hier kommt die "Ouvertüre zum ‚Fliegenden Holländer’, wie sie eine schlechte Kurkapelle morgens um 7 am Brunnen vom Blatt spielt".

Dass sich Wagner problemlos auch vertanzen lässt, das bewies der heute fast vergessene Komponist Vittorio Monti, sein bevorzugtes Genre: der Czardas!

Seit nunmehr vierzig Jahren bieten die Osterfestspiele ein hohes musikalisches Niveau, allerdings zu sehr hohen Preisen. Dass Publikum legt dabei nicht nur Wert auf Etikette und gehobene Kleidung, sondern auch auf nicht allzu schräge Töne. In den letzten Jahren geriet das Festival in finanzielle Not, da sowohl Brittens "Peter Grimes" wie Debussys "Pelleas et Melisande" einige Hundert Besucher im Vorfeld verschreckten. Die nächsten Jahre setzt man daher auf Publikumsmagnet Richard Wagner. Dass das Rheingold szenisch ein Reinfall war, war dem Publikum übrigens hörbar egal – kein einziges Buh mischte sich unters Applausgewitter.

Zum Vierzigsten also herzlichen Glückwunsch und vielleicht doch zwei Wünsche: ein bisschen mehr Wagemut, wenigstens bei der Auswahl der Regisseure. Und bitte ruhig auch mal einen Kontrapunkt im offiziellen Konzertprogramm. Die folgende Bearbeitung des "Walkürenritts" hätte sicher auch ganz gut zwischen Rachmaninoff und Brahms gepasst …