Berliner Sehenswürdigkeit

Von Tilman Krause |
In "Frau Jette Herz" von Klaas Huizing geht es um Sinnlichkeit, Verlangen und die Enttäuschung über eine unerfüllte Liebe. Der Autor entreißt mit seinem Porträt über Henriette Herz, die einen berühmten Salon führte und in einem Reiseführer als "Sehenswürdigkeit" empfohlen wurde, eine große Figur der Berliner Geistesgeschichte dem Vergessen.
Sie war die große Rivalin der Rahel Levy, verheiratete Varnhagen: Henriette Herz. Auch sie gehörte zu den emanzipierten jüdischen Frauen um 1800. Auch sie führte einen literarisch-philosophisch-politischen Salon. Auch sie war intelligent, schön und in jenem umfangreichen Sinne geistig interessiert und engagiert, wie es in der Epoche des bürgerlichen Humanismus für Deutschland typisch war.

Verheiratet mit dem Mediziner Herz, gehörte sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu den "Sehenswürdigkeiten" von Berlin. Anders als "die Rahel" hat aber die etwas ältere Herz sich dem Gedächtnis der Nachwelt ungerechterweise nicht sehr eingeprägt. Da kommt der Roman von Klaas Huizing gerade recht, um Abhilfe zu schaffen. Die Zeit scheint günstig für Bücher über das intellektuelle Preußen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Daniel Kehlmanns Roman "Die Vermessung der Welt" über den Herz-Freund Alexander von Humboldt, der seit zwei Wochen auf Platz 2 der "Spiegel"-Bestsellerliste steht, handelt auch davon.

Allerdings ist Kehlmanns Umgang mit seinen Helden sehr viel freier als der von Huizing. Letzterer bleibt dichter dran an seiner Figur. Zwar hat auch er die Berliner Salonnière und ihren Kreis fiktionalisiert, aber das Bemühen, eine historisch stimmige Sicht zu präsentieren, ist doch sehr stark, so dass das Buch nicht frei von Zügen eines kulturhistorischen Sachbuchs ist.

In seinen besten Partien entwickelt Huizing allerdings durchaus einen eigenen Schwerpunkt und eine eigene Sicht auf seine Hauptfigur. Dann erzählt er das Leben der Henriette Herz exemplarisch als das Leben einer intelligenten Frau, die ihre männlichen Zeitgenossen überforderte. Sie waren, auch in den freigeistigen Kreisen der Berliner Romantik, doch allesamt auf Weibchen und Heimchen am Herd fixiert.

Besonders in ihrer wechselhaften Beziehung mit dem Berliner Theologen Friedrich Schleiermacher musste die Herz leidvoll erleben, dass die Männer ihrer Epoche ihr zwar zuflogen und zu Füßen lagen. Aber sie wollten ihren Geist, nicht so sehr ihre Seele und noch weniger ihren Körper.

Das Drama der geistreichen Frau, die "als Frau" gerade deshalb nicht in Frage kommt, schildert Klaas Huizing in diesem Roman historisch kenntnisreich, psychologisch einfühlsam und stilistisch elegant. Eine große Figur der Berliner Geistesgeschichte wird auf zeitgemäße Weise dem Vergessen entrissen.

Klaas Huizing: Frau Jette Herz
Knaus-Verlag, München.
319 S., 19,90 Euro.