Berliner Religionswissenschaftler warnt vor iPods
Der Berliner Religionswissenschaftler Hartmut Zinser hat am Morgen vor der "Stillen Nacht" vor einem Dauerkonsum von Musik gewarnt. Es sei eine große Gefahr, wenn sich Menschen beispielsweise mit iPods ständig "volldröhnen" würden, sagte der Wissenschaftler der Freien Universität Berlin.
Gabi Wuttke: Die stille Nacht, sie naht. Die Stille vor dem Sturm oder danach? Warum ist Schweigen Gold und Reden nur Silber? Warum fürchten wir die Stille manchmal genauso, wie wir sie suchen? Professor Hartmut Zinser kann das erklären. Er ist Religionswissenschaftler und forscht an der Freien Universität Berlin. Guten Morgen!
Hartmut Zinser: Guten Morgen!
Wuttke: Wie definieren Sie als Religionswissenschaftler die Stille?
Zinser: Die Stille wird vor allen Dingen dadurch bestimmt, dass bestimmte Leute, nämlich die Gemeinde, still zu sein hat, und zwar körperlich sich ruhig zu verhalten hat als auch den Mund zu halten hat. So war in römischen Kulten vorgeschrieben, während des Opfers, (…) (Anm. d. Red.: Schwer verständlich im Hörprotokoll) zu gut Deutsch: Halt die Klappe. Und auch im christlichen Kult ist es so, da redet der Priester oder der Pfarrer, und die Gemeinde darf vielleicht ein Gebet mitsprechen, mitsingen, aber ansonsten hat sie zu schweigen.
Wuttke: Ich dachte immer nur, die Frauen hätten in der Gemeinde zu schweigen.
Zinser: Nein, das ist nicht richtig. Gehen Sie in die nächste Kirche und Sie werden es erleben.
Wuttke: Das heißt, das Schweigen ist eine Form der Machtausübung?
Zinser: Das Schweigen markiert einen besonderen Raum. Wenn Sie in eine Kirche oder auch in einen Tempel gehen – das ist weltweit so, in allen Religionen, in einen buddhistischen Tempel in Japan genauso wie bei uns –, haben Sie den Mund zu halten. Und damit wird eine besondere Sphäre markiert, nämlich die Sphäre des Heiligen. Dort, vor dem Heiligen, hat man zu schweigen, was haben wir da auch zu sagen? Nun ist es natürlich so: Durch die Stille und das Schweigen wird differenziert zwischen Alltag und einer besonderen Situation, und das muss man durchsetzen können, und dafür braucht man Macht.
Wuttke: Das heißt also, das Bedürfnis des Menschen nach Stille ist dem Menschen eigentlich gar nicht gegeben?
Zinser: Kleine Kinder können nicht still sitzen und Erwachsene auch nicht. Wenn ein Muskel absolut still ist, ist er tot. Natürlich haben wir auch das Bedürfnis, mal zu schweigen und nur in uns selber zu kehren, und vielleicht die Gedanken in uns vorüberziehen zu lassen oder auch keine Gedanken dabei zu haben, sondern nur Musik zu hören. Dann schweigen wir. Das ist ganz bestimmt der Fall, dass es auch von Natur gegeben ist, schon, weil man gar nicht immer zuhören kann und das Recht hat, nicht zuzuhören. Aber wenn die Situation bestimmt ist und nicht selber ausgesucht ist, dann ist das verbunden mit einer Machtausübung. Das können Sie auch in Klöstern beobachten, es gibt ja die Kartäuser und andere Kongregationen, vor allen Dingen Frauenklöster, in denen Sie ein Gelübde ablegen, zu schweigen und zu gehorchen. Wer schweigt, gehorcht.
Wuttke: Das heißt also, das Schweigen, um zu gehorchen, ist die eine Seite, und wenn ich gelesen habe, dass Schweigen auch ein Ausdruck der Askese ist, ist das so gesehen ein Euphemismus?
Zinser: Askese ist mehrdeutig und doppeldeutig. Erstens ist es natürlich richtig: Schweigen kann auch Askese sein, sich selbst zu beherrschen, dass man nicht den ganzen Tag plappert. Und insofern ist Askese ein Selbstbeherrschungsinstrument. Aber wenn sie von außen aufgedrückt wird und festgelegt wird, dann wird es ein Herrschaftsinstrument. Und natürlich ist Askese positiv, wir müssen uns beherrschen lernen, wir müssen an der roten Ampel warten, bis ... Aber es kann auch immer leicht zu einem Herrschaftsinstrument werden.
Wuttke: Was mich interessiert, weil es etwas ist, was wir allenthalben beobachten und teilweise natürlich auch selber tun, ist, dass sich Menschen in die Stille von Wellnesstempeln – und das sage ich jetzt ganz explizit –, Wellnesstempeln flüchten. Als was werten Sie das?
Zinser: Das gehört zu dieser Klasse von Freizeitreligion, die sich selber nicht ganz entscheiden will, ob sie nun wirklich Religion ist, und das ist vor allen Dingen individuell. Das macht man selber. Man schweigt selber in diesen Wellnesstempeln, so wie in der Sauna, und das bestimmt man selber. Und wenn man es selber bestimmen kann, wann man den Mund hält, dann ist man frei.
Wuttke: Also, das heißt, Sie würden tatsächlich so einen Wellnesstempel als eine Ersatzreligion betrachten?
Zinser: Ich würde das davon abhängig machen, ob diejenigen, die da reingehen, um sich well zu fühlen, das als Religion interpretieren und selber als Religion ansehen.
Wuttke: Und was ist mit den Menschen, die Stille eigentlich gar nicht mehr aushalten können und keinen Schritt aus dem Haus wagen, ohne Kopfhörer in den Ohren zu haben?
Zinser: Die können sich nicht beherrschen, sie sind sozusagen ihren Trieben ständig ausgesetzt, denn sie müssen immer etwas zuschütten, wo sie also immer Musik brauchen. Das ist ein großes, gefährliches Ding – diese iPods, und was es da alles gibt, mit denen ich nicht umgehen kann, aber das sei ja dahingestellt –, dass man jederzeit immer sich volldröhnt. Das ist eine andere Form von Droge.
Wuttke: Eine andere Form von Droge, aber keine Ersatzreligion.
Zinser: Nein, nein. Ich glaube nicht, dass das jemand als religiös interpretiert. Nein, ich würde nicht sagen, dass es eine Ersatzreligion ist.
Wuttke: Wenn die Welt sich verändert, wenn die Macht der Kirchen, zumindest für unseren Kulturkreis hier, nicht mehr die Macht ist, die es früher einmal gab, warum verabschieden wir uns sprachlich nicht von dieser stillen Nacht, warum halten wir daran fest?
Zinser: Also, zunächst – wir haben das in der Jugend und Kindheit gelernt, es verband sich häufig mit Freude, es gab Geschenke, manchmal auch Familienkrach, also, in manchen Familien zu Weihnachten immer, und es ist ein besonderer Tag, man hat danach frei, und es wird lange vorbereitet mit der Adventszeit, wo es ja auch kleine Geschenke gibt oder wenigstens (…) (Anm. d. Red.: Schwer verständlich im Hörprotokoll) und so weiter, und das hat eine Befriedigung und Erfüllung dargestellt und die will man nicht missen, und deswegen wiederholt man sie. Und sich davon so leicht zu verabschieden, ist schwierig. Außerdem: Das ganze Umfeld beeinflusst das. In Berlin gibt es keine türkische Familie ohne Weihnachtsbaum.
Wuttke: Sie würden aber nicht so weit gehen, zu sagen: Diese stille Nacht tragen wir als Banner, sozusagen als Beschwörung, lass es denn doch friedlich sein?
Zinser: Vielleicht ein bisschen, ja, doch, doch. Wir wollen, dass es friedlich ist.
Wuttke: Also auch die stille Nacht als eine Beschwörungsformel.
Zinser: Ja, könnte man so sehen, ja.
Wuttke: Über Stille und Schweigen an diesem 24. Dezember, erklärt von Professor Hartmut Zinser, Religionswissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Und was soll ich Ihnen an diesem Tag, für diese Nacht, jetzt wünschen? Stille Nacht, ruhige Nacht?
Zinser: Vielleicht, ja. Danke!
Wuttke: Gerne.
Hartmut Zinser: Guten Morgen!
Wuttke: Wie definieren Sie als Religionswissenschaftler die Stille?
Zinser: Die Stille wird vor allen Dingen dadurch bestimmt, dass bestimmte Leute, nämlich die Gemeinde, still zu sein hat, und zwar körperlich sich ruhig zu verhalten hat als auch den Mund zu halten hat. So war in römischen Kulten vorgeschrieben, während des Opfers, (…) (Anm. d. Red.: Schwer verständlich im Hörprotokoll) zu gut Deutsch: Halt die Klappe. Und auch im christlichen Kult ist es so, da redet der Priester oder der Pfarrer, und die Gemeinde darf vielleicht ein Gebet mitsprechen, mitsingen, aber ansonsten hat sie zu schweigen.
Wuttke: Ich dachte immer nur, die Frauen hätten in der Gemeinde zu schweigen.
Zinser: Nein, das ist nicht richtig. Gehen Sie in die nächste Kirche und Sie werden es erleben.
Wuttke: Das heißt, das Schweigen ist eine Form der Machtausübung?
Zinser: Das Schweigen markiert einen besonderen Raum. Wenn Sie in eine Kirche oder auch in einen Tempel gehen – das ist weltweit so, in allen Religionen, in einen buddhistischen Tempel in Japan genauso wie bei uns –, haben Sie den Mund zu halten. Und damit wird eine besondere Sphäre markiert, nämlich die Sphäre des Heiligen. Dort, vor dem Heiligen, hat man zu schweigen, was haben wir da auch zu sagen? Nun ist es natürlich so: Durch die Stille und das Schweigen wird differenziert zwischen Alltag und einer besonderen Situation, und das muss man durchsetzen können, und dafür braucht man Macht.
Wuttke: Das heißt also, das Bedürfnis des Menschen nach Stille ist dem Menschen eigentlich gar nicht gegeben?
Zinser: Kleine Kinder können nicht still sitzen und Erwachsene auch nicht. Wenn ein Muskel absolut still ist, ist er tot. Natürlich haben wir auch das Bedürfnis, mal zu schweigen und nur in uns selber zu kehren, und vielleicht die Gedanken in uns vorüberziehen zu lassen oder auch keine Gedanken dabei zu haben, sondern nur Musik zu hören. Dann schweigen wir. Das ist ganz bestimmt der Fall, dass es auch von Natur gegeben ist, schon, weil man gar nicht immer zuhören kann und das Recht hat, nicht zuzuhören. Aber wenn die Situation bestimmt ist und nicht selber ausgesucht ist, dann ist das verbunden mit einer Machtausübung. Das können Sie auch in Klöstern beobachten, es gibt ja die Kartäuser und andere Kongregationen, vor allen Dingen Frauenklöster, in denen Sie ein Gelübde ablegen, zu schweigen und zu gehorchen. Wer schweigt, gehorcht.
Wuttke: Das heißt also, das Schweigen, um zu gehorchen, ist die eine Seite, und wenn ich gelesen habe, dass Schweigen auch ein Ausdruck der Askese ist, ist das so gesehen ein Euphemismus?
Zinser: Askese ist mehrdeutig und doppeldeutig. Erstens ist es natürlich richtig: Schweigen kann auch Askese sein, sich selbst zu beherrschen, dass man nicht den ganzen Tag plappert. Und insofern ist Askese ein Selbstbeherrschungsinstrument. Aber wenn sie von außen aufgedrückt wird und festgelegt wird, dann wird es ein Herrschaftsinstrument. Und natürlich ist Askese positiv, wir müssen uns beherrschen lernen, wir müssen an der roten Ampel warten, bis ... Aber es kann auch immer leicht zu einem Herrschaftsinstrument werden.
Wuttke: Was mich interessiert, weil es etwas ist, was wir allenthalben beobachten und teilweise natürlich auch selber tun, ist, dass sich Menschen in die Stille von Wellnesstempeln – und das sage ich jetzt ganz explizit –, Wellnesstempeln flüchten. Als was werten Sie das?
Zinser: Das gehört zu dieser Klasse von Freizeitreligion, die sich selber nicht ganz entscheiden will, ob sie nun wirklich Religion ist, und das ist vor allen Dingen individuell. Das macht man selber. Man schweigt selber in diesen Wellnesstempeln, so wie in der Sauna, und das bestimmt man selber. Und wenn man es selber bestimmen kann, wann man den Mund hält, dann ist man frei.
Wuttke: Also, das heißt, Sie würden tatsächlich so einen Wellnesstempel als eine Ersatzreligion betrachten?
Zinser: Ich würde das davon abhängig machen, ob diejenigen, die da reingehen, um sich well zu fühlen, das als Religion interpretieren und selber als Religion ansehen.
Wuttke: Und was ist mit den Menschen, die Stille eigentlich gar nicht mehr aushalten können und keinen Schritt aus dem Haus wagen, ohne Kopfhörer in den Ohren zu haben?
Zinser: Die können sich nicht beherrschen, sie sind sozusagen ihren Trieben ständig ausgesetzt, denn sie müssen immer etwas zuschütten, wo sie also immer Musik brauchen. Das ist ein großes, gefährliches Ding – diese iPods, und was es da alles gibt, mit denen ich nicht umgehen kann, aber das sei ja dahingestellt –, dass man jederzeit immer sich volldröhnt. Das ist eine andere Form von Droge.
Wuttke: Eine andere Form von Droge, aber keine Ersatzreligion.
Zinser: Nein, nein. Ich glaube nicht, dass das jemand als religiös interpretiert. Nein, ich würde nicht sagen, dass es eine Ersatzreligion ist.
Wuttke: Wenn die Welt sich verändert, wenn die Macht der Kirchen, zumindest für unseren Kulturkreis hier, nicht mehr die Macht ist, die es früher einmal gab, warum verabschieden wir uns sprachlich nicht von dieser stillen Nacht, warum halten wir daran fest?
Zinser: Also, zunächst – wir haben das in der Jugend und Kindheit gelernt, es verband sich häufig mit Freude, es gab Geschenke, manchmal auch Familienkrach, also, in manchen Familien zu Weihnachten immer, und es ist ein besonderer Tag, man hat danach frei, und es wird lange vorbereitet mit der Adventszeit, wo es ja auch kleine Geschenke gibt oder wenigstens (…) (Anm. d. Red.: Schwer verständlich im Hörprotokoll) und so weiter, und das hat eine Befriedigung und Erfüllung dargestellt und die will man nicht missen, und deswegen wiederholt man sie. Und sich davon so leicht zu verabschieden, ist schwierig. Außerdem: Das ganze Umfeld beeinflusst das. In Berlin gibt es keine türkische Familie ohne Weihnachtsbaum.
Wuttke: Sie würden aber nicht so weit gehen, zu sagen: Diese stille Nacht tragen wir als Banner, sozusagen als Beschwörung, lass es denn doch friedlich sein?
Zinser: Vielleicht ein bisschen, ja, doch, doch. Wir wollen, dass es friedlich ist.
Wuttke: Also auch die stille Nacht als eine Beschwörungsformel.
Zinser: Ja, könnte man so sehen, ja.
Wuttke: Über Stille und Schweigen an diesem 24. Dezember, erklärt von Professor Hartmut Zinser, Religionswissenschaftler an der Freien Universität Berlin. Und was soll ich Ihnen an diesem Tag, für diese Nacht, jetzt wünschen? Stille Nacht, ruhige Nacht?
Zinser: Vielleicht, ja. Danke!
Wuttke: Gerne.