Berliner Museumsdirektor: Anspruch auf "Beutekunst"-Schatz bleibt

Moderation: Eckhard Roelcke · 12.03.2007
Der Direktor des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte, Wilfried Menghin, hat den Anspruch Deutschlands auf Kunstschätze bekräftigt, die zu Kriegsende 1945 von der Sowjetunion erbeutet wurden. Menghin äußerte sich vor dem Beginn einer einmaligen deutsch-russische Ausstellung über die Zeit der Merowinger im Moskauer Puschkin-Museum.
Eckhard Roelcke: Zankapfel Beutekunst. Kann eine Kunstausstellung für politische Entspannung sorgen? Das wird man heute in Moskau im Puschkin-Museum beobachten können. In einer russisch-deutschen Ausstellung über die Merowinger sind auch zahlreiche Kunstwerke zu sehen, die von den Russen als Beutekunst nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland mitgenommen wurden.

Und über die Eigentumsverhältnisse sind Russen und Deutsche unterschiedlicher Auffassung. Die Beutekunst gehört Deutschland, ganz klar, das sagen die Deutschen, und sie haben damit auch das internationale Recht auf ihrer Seite. Die Russen jedoch haben ein Gesetz erlassen, das bestimmt, dass die Beutekunst russisch ist, internationales Recht hin oder her. Irina Antonowa, die Direktorin des Puschkinmuseums in Moskau, sie wird auch schon mal als Russlands eiserne Museumslady bezeichnet, sie betont deshalb nicht den politischen, sondern den wissenschaftlichen Charakter dieser Ausstellung.

Gleichwohl sieht sie eine neue Ära beginnen: "Das ist solch eine wissenschaftliche Zusammenarbeit der Gelehrten aus verschiedenen Museen von Deutschland und Russland, und ich glaube, das ist auch sehr wichtig, solch ein ein bisschen neuer Weg für die Beziehungen zwischen zwei Ländern. Die Ausstellungen haben wir gemacht, aber solche Projekte im wissenschaftlichen Teil, so haben wir niemals zusammengearbeitet, so eng wie dieses Mal."

Die Ausstellung ist also ein Politikum, und darüber möchte ich nun mit Professor Wilfried Menghin sprechen. Er ist Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin, und von dort stammen ursprünglich viele der Kunstwerke, die jetzt im Puschkin-Museum in Moskau zu sehen sind. Wilfried Menghin ist am heutigen Montag zur Ausstellungseröffnung natürlich nach Moskau gereist. Wir haben das Gespräch also in der vergangenen Woche voraufgezeichnet. Herr Menghin, wir sollten mit der einzigartigen Kunst, die jetzt in Moskau zu sehen ist, beginnen. Welche Gefühle hatten Sie denn, als Sie die Schätze aus der Beutekunst zum ersten Mal sahen?

Wilfried Menghin: Ja, es war schon irgendwo erhebend. Es war ein bisschen ärgerlich zu sehen, was alles noch da ist, was in den russischen Museen vorhanden ist an Beständen, die vormals in Berlin waren, als das Museum für Vor- und Frühgeschichte vor dem Zweiten Weltkrieg eines der größten seiner Art in Europa war, mit hervorragenden Beständen. Und nun sieht man also diese Bestände, die einstmals die Highlights des Museums waren, nun in Russland. Es ist aber trotz allem gut, dass man sie sehen kann, denn sie hätten genauso gut verloren sein können.

Roelcke: In welchem Zustand sind die Objekte?

Menghin: Sie sind in einem ordentlichen Zustand. Sie sind in dem Zustand, wie sie 1939 verpackt worden sind und 1945 dann abtransportiert wurden in die Sowjetunion.

Roelcke: Wenn Sie vielleicht ein, zwei Objekte mal besonders herausstellen wollen - ich weiß, das ist wahnsinnig schwierig bei der Vielzahl dieser Kunstwerke, dennoch die Frage: Welche Objekte fallen Ihnen da ganz spontan ein?

Menghin: Es sind Objekte dabei, die von hohem materiellen Wert sind, etwa der Goldfund von Cottbus, ein Fundkomplex aus dem frühen 5. Jahrhundert, aus der Völkerwanderungszeit, die Ausstattung, kann man sagen, eines germanischen Königs. Oder aber eben auch Funde aus Gräbern der Merowingerzeit, aus Frankreich, bestens erhalten geblieben, also nicht kaputt gemacht wurden.

Und allein das schon zeigt, dass einmal die Aufbewahrung sehr gut war in Russland, und vor allem aber auch, dass diese Stücke eben auch heute noch ihre Bedeutung haben. Denn die meisten Stücke, die jetzt in Russland sind, sind nur ganz nebenbei publiziert worden. Das sind alles Dinge, die schon eine sehr große Bedeutung haben. Es sind keine Peanuts, die abhanden gekommen sind, sondern wirklich ganz bedeutende Stücke zur Archäologie der Völkerwanderungszeit.

Roelcke: Sie haben den Katalog mitgebracht, ganz druckfrisch, 600 Seiten, sehr eindrucksvoll. Dieser dreisprachige Katalog, Russisch, Deutsch und Englisch, dieser Katalog sei ein wissenschaftlicher Erfolg, der zweischneidig ist, das hat die Zeitung "Die Welt" kürzlich geschrieben: Denn die Deutschen geben nicht nur ihre Kenntnisse Preis, sondern in gewisser Weise auch ihre ohnehin schwache Position, denn, so schreibt "Die Welt" weiter, "die Russen verfügen mit der Fertigstellung dieses Katalogs über eine tadellose Gesamtdokumentation ihrer Sammlung." Können Sie diese Folgerung nachvollziehen?

Menghin: Ja, die ist ganz richtig. Wir haben noch vor zehn Jahren gesagt, wir müssen also die Dokumentation zurückhalten, denn sonst geben wir wirklich die Position auf. Denn wenn die Objekte, die also als Originale in Russland liegen, auch noch die Dokumentation dazu bekommen, dann natürlich, kann man sagen, ist es ganz egal, wo die Dinge liegen, ob in Moskau oder Berlin, Hauptsache sie sind eben gut dokumentiert und für die Wissenschaft zugänglich.

Roelcke: Das war vor zehn Jahren. Warum dieser Wandel in der Auffassung?

Menghin: Man kann natürlich stur sein, und kann sich auf das Recht berufen, und kann sagen: Es gibt Verträge, es gibt Abmachungen, es gibt internationales Recht. Aber was hilft das Ganze, wenn es eben so ist, dass die Dinge als russisches Eigentum gesetzlich betrachtet werden?

Roelcke: Da gibt es ein einschlägiges Dumagesetz.

Menghin: Es gibt das Gesetz von 1998, und die russische Seite sagt natürlich, was geht uns das an, was die da wollen, wir sind die Eigentümer. Und mir kommt vor allem darauf an, dass diese Dinge ans Licht des Tages kommen. Denn wenn die in den Depots schlummern oder einfach im Dunkeln vergammeln allmählich, werden sie vergessen, und das wäre natürlich genau das Gegenteil, was wir wollen.

Ich denke aber auch, dass trotz allem, wenn wir auch, ja, zugeben, diese Dinge auszustellen, dass wir so auch ein Katalog machen, ist es doch so, dass der Anspruch aufrechterhalten wird, dass diese Dinge eigentlich nach Deutschland gehören. Aber der Status quo ist eben so, dass die Dinge in Russland liegen, und wir wollen damit gemeinsam arbeiten, und das ist, glaube ich, der einzige Weg, um überhaupt weiterzukommen.

Roelcke: Der Kulturstaatsminister Bernd Neumann und der russische Kulturminister Alexander Sokolow, die haben jeweils im Katalog ein Vorwort geschrieben. Was wird denn da außer staatstragende Rhetorik formuliert?

Menghin: Ja, es ist auf jeden Fall beim deutschen Minister schon so, dass klargemacht wird, dass die Dinge eigentlich nach Deutschland gehören, dass die Rechtsansprüche nicht aufgegeben werden. Das Ganze ist aber so gehalten, dass keiner beleidigt sein muss oder angegriffen wird. Und auf der anderen Seite, Sokolow hat also ein sehr sanftes Vorwort geschrieben, wo eigentlich auf die Problematik der Beutekunst überhaupt nicht eingegangen wird, sondern nur so im Nebensatz mehr oder weniger darauf hingewiesen wird, dass die Dinge früher in Deutschland waren.

Aber es zeigt eben auch, dass die Auffassung besteht, die Dinge sind russisches Eigentum. Und das ist der Punkt, der nicht nur in der Politik zu spüren ist, sondern auch bei den Fachkollegen, die natürlich sagen, okay, das gehört jetzt uns, das ist gesetzlich verankert. Und wenn ihr mit uns arbeiten wollt, dann bitte, kommt zu uns, dann machen wir weiter.

Roelcke: Lassen Sie uns über den wissenschaftlichen Aspekt dieser Ausstellung sprechen, Herr Menghin. Die Ausstellung heißt "Merowingerzeit – Europa ohne Grenzen". Das klingt sehr modern, Europa ohne Grenzen. In welchem Ausmaß war denn Europa ein einheitlicher Kulturraum?

Menghin: Der Titel ist natürlich ziemlich vielschichtig. Man kann den hin und her interpretieren. Natürlich, Europa ohne Grenzen, das gab es eigentlich nie. Echte Grenzen gab es dann seit der Römerzeit, kann man sagen, wo eben der Limes ganz Nordeuropa eigentlich abgeschirmt hat, Osteuropa abgeschirmt hat. Und auch innerhalb des römischen Reiches waren Grenzen da, die also auch bewacht wurden, wo es Zoll und alles Mögliche gab.

Und dieses Ganze wurde aufgelöst in der Völkerwanderungszeit, sowohl im Westen wie auch im Osten, wo dann die Germanen und sonstige Völkerschaften diesen Limes überrannt haben und allmählich sich im römischen Reich festgesetzt haben. Das erstmal darzustellen ist, glaube ich, ganz wichtig, zu sagen, es gab diese Grenzen, die sind aufgeweicht worden. Und dann in der Merowingerzeit, also im 6. Jahrhundert, sind dann wieder neue Grenzen entstanden.

Roelcke: Also eine Überschrift, "Europa ohne Grenzen", die, ja, auch eine These ist, aber auch ein bisschen ein Wunsch?

Menghin: Ein Wunsch eigentlich, ja. Natürlich ist das Ganze auch bezogen auf die Ausstellung selbst, also "Europa ohne Grenzen". Es sind die Funde von uns aus Berlin, die jetzt als Leihgaben dort sind, es sind die Funde, die 1945 eben abtransportiert worden sind aus unserem Museum. Und jetzt haben wir sozusagen also keine Grenzen mehr, wir können diese Grenze überschreiten, zusammenarbeiten.

Roelcke: Die deutsche Seite hat viel Hilfe, konkrete Hilfe geleistet. Sie haben unendlich viel Arbeit in diese Ausstellung auch hineingesteckt. Was haben Sie gemacht, und was ist noch künftig geplant?

Menghin: Also wir haben vor allem diesen Katalog erarbeitet, mit Karten mit allem drum und dran, wo also erklärt werden soll, auch für die russische Bevölkerung, was überhaupt diese Zeit bedeutet, wie die Zusammenhänge sind zwischen Ost- und Westeuropa. Und haben dann natürlich auch uns darum gekümmert, dass die Funde zusammengekommen sind. Vor allem haben wir auch sehr stark vermittelt zwischen den Museen in Russland.

Roelcke: Da gab es Animositäten?

Menghin: Da gab es Animositäten. Die Idee zur Ausstellung hatte eigentlich Michail Piotrowski schon vor sechs, sieben Jahren, und dann habe ich gesagt, es ist einfach zu wenig, was in Sankt Petersburg ist, von der Eremitage, es sind nur Bronzen und Keramik und Eisen.

Wir brauchen die Spitzenstücke aus dem Puschkin-Museum, und das haben wir auch gekriegt, und dann hat sich rausgestellt, dass auch im Historischen Museum in Moskau sehr viele Objekte liegen aus unserem Museum. Dann haben wir alles zusammengefasst und wir haben unser Zeug dazu gegeben, und jetzt haben wir eine sehr schöne Ausstellung.

Roelcke: Die Ausstellung und die Themen, die in der Ausstellung behandelt werden: Gibt es irgendwelche Folgen für die Wissenschaft, sind Fragen jetzt aufgetaucht, die künftig untersucht werden, gemeinsam vielleicht auch?

Menghin: Ich glaube schon, dass eine ganze Menge von Fragen aufgetaucht sind, die in Zukunft untersucht werden müssten. Wo es nun wirklich ein Defizit gibt, ist einfach über die Archäologie in den Waldzonengebieten, und die Zusammenhänge über das Waldzonengebiet, über das Baltikum nach Mittel- und Westeuropa. Und da gibt es eine ganze Reihe von Beziehungen, die man jetzt gesehen hat, die bislang nicht beachtet worden sind.

Das wäre ein ganz wichtiger Punkt, dieses zu verfolgen, und vor allem ist ganz wichtig meines Erachtens, dass man wegkommt von dieser ethnischen Deutung, also Slawen, ist klar, es müssen Slawen sein, es müssen Urslawen sein, wenn irgendwelche archäologischen Erscheinungen da sind, die man eigentlich nicht nachweisen kann, dass es slawisch ist. Und dann aber tauchen Sachen auf, die doch eben sehr starke Verbindungen nach Westen haben.

Man fragt sich dann, kann es nicht sein, dass auch West-Ost-Wanderung stattgefunden hat, denn wir haben nur sehr wenige schriftliche Nachrichten, eigentlich gar keine schriftlichen Nachrichten, und all diese Fragen können aufgeworfen werden. Wenn man das wirklich bis zum Ende verfolgt, wird man ein neues Bild der osteuropäisch-westeuropäischen Beziehungen im frühen Mittelalter darstellen können - über das hinausgehend, was man bis heute weiß.

Roelcke: Die Ausstellung also auch gewissermaßen als Auftakt?

Menghin: Es ist ein Auftakt. Es ist so ein echtes Pilotprojekt.

Roelcke: Die Ausstellung wird in Deutschland nicht gezeigt werden, weil die russische Kunst ja Beutekunst ist und dann in Deutschland auch beschlagnahmt werden würde, muss man im Konjunktiv sprechen. Freies Geleit für die Kunst von Moskau nach Berlin und wieder zurück kann es nicht geben. Ist das so was wie Wehrmutstropfen?

Menghin: Es ist eigentlich schon schade, wenn man es nicht machen kann, denn sicher wäre es sehr schön gewesen, auch hier in Deutschland oder auch in Frankreich, in Westeuropa es zu zeigen. Aber wie Sie sagten, es braucht bloß ein Bürger kommen und erwirkt eine einstweilige Verfügung, und schon ist die Katastrophe da. Dieses Risiko kann man gar nicht eingehen.