Berliner Bildungssenator widerspricht Kritikern der Bildungsreformen

Jürgen Zöllner im Gespräch mit Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler |
Der Berliner Bildungssenator Jürgen Zöllner, hat Kritik an den Bildungsreformen der letzten Jahre zurückgewiesen. Die Bildungspolitik habe in den letzten Jahren insgesamt große Fortschritte gemacht, sagte der SPD-Politiker.
Deutschlandradio Kultur: Machen die deutschen Bildungspolitiker derzeit alles falsch?

Jürgen Zöllner: Ich hoffe, sie machen einiges richtig. Ich hoffe, sie machen mehr richtig, als sie falsch machen. Aber selbst Bildungspolitiker können möglicherweise manchmal auch etwas falsch machen.

Deutschlandradio Kultur: Aber der Unmut ist doch riesig. Es gab Streiks. Es gab Proteste von Kindergärtnerinnen, von Schülern, von Professoren, von Studenten. Irgendwas läuft doch in die falsche Richtung.

Jürgen Zöllner: Ich würde es nicht als Unmut bezeichnen, sondern als Zeichen dafür, dass die Sensibilität für dieses Thema viel größer geworden ist. Die Akzeptanz, dass es ein zentrales politisches Feld ist, ist in dieser Gesellschaft jetzt vorhanden. Übrigens ist das auch ein Grund, wieso ich glaube, dass die Bildungspolitik insgesamt in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat, ohne dass ich sage, dass die Probleme alle gelöst sind. Aber das führt natürlich auch dazu, dass man sich in der Bevölkerung und von Seiten der Betroffenen bewusster mit Themen und Problemen, die noch bestehen, auseinandersetzt.

Deutschlandradio Kultur: Aber wir haben den Eindruck, nimmt man die großen Reformen "Turbo-Abitur" oder "Bachelor-Studienreform", sie führen uns geradewegs in die Bildungskrise.

Jürgen Zöllner: Ich verweise Sie auf das andere. Wer hätte denn vor zehn Jahren geglaubt, dass der vorschulische Bereich zu einer Bildungseinrichtung ausgebaut wird? Wer hätte vor zehn Jahren geglaubt, dass es keine Diskussion mehr darüber gibt, dass wir - schrittweise zumindest, in Berlin übrigens sicher an führender Stelle - das Schulsystem zu einem Ganztagsschulsystem ausbauen müssen, damit es seinen Aufgaben gerecht werden kann, eine möglichst optimale individuelle Förderung zu erreichen? Wer hätte vor zehn Jahren geglaubt, dass wir eine echte Chance haben, dass der fundamentalistische Grabenkampf zwischen denjenigen, die das Glück der Welt der Schule in einem gegliederten Schulsystem sehen, versus denjenigen, die es in einem integrierten Schulsystem sehen, eine realistische Chance hat beigelegt zu werden und vernünftige pragmatische Lösungen zu finden?

Also, ich glaube, auf der Positivseite steht mehr, als ohne Zweifel noch an bestehenden Problemen da ist.

Deutschlandradio Kultur: Aber warum gibt es denn so viele Menschen, die im Bildungssystem sind und mit diesem System nicht richtig klarkommen, wenn Sie sagen, das läuft alles in die richtige Richtung?

Jürgen Zöllner: Ich will überhaupt nichts schönreden. Natürlich kann ich auch Punkte ansprechen, die in der Diskussion sind und wo wir sicher noch etwas vor uns haben. Die Umstellung im Bereich der Hochschulen auf Bachelor/ Master ist sicher nicht so, dass jedes Detailproblem gelöst ist. Natürlich gibt es Umstellungsprobleme. Aber trotzdem glaube ich, dass es der richtige Weg war. Weil, wir müssen ein anderes Angebot an Hochschule machen, wenn wir es ernst meinen, dass wir nicht, wie noch vor 20, 30 Jahren 5 bis 10 Prozent eines Jahrgangs hochqualifiziert an Universitäten und Fachhochschulen ausbilden, sondern eben 50 oder mehr Prozent. Und sie wollen nicht primär zu Wissenschaftlern ausgebildet werden, sondern eben möglichst schnell hochqualifiziert ausgebildet in ein Berufsleben in der Wirtschaft, in der Verwaltung oder so übertreten. Sie brauchen andere Angebote.

Wenn solche Systemwechsel stattfinden, okay, dann gibt es Probleme. Dann werden in Teilbereichen die Probleme besser gelöst als in anderen. Und wenn die Betroffen es wichtig nehmen, wenn sie das Gefühl haben, dass sie gehört werden, dann werden sie sich auch melden. So ist dieses, trotz auch Sorgen, die ich habe, ein positives Bild.
Deutschlandradio Kultur: Spielen Sie den Streit um die Studienreform, um die Bachelor- und Masterstudiengänge nicht ein bisschen runter? Sie sind selbst Medizinprofessor. Ihre eigenen Kollegen in dieser Disziplin nennen Sie einen "Sektierer", also, all diejenigen, die für die Bolognareform sind. Das ist doch ein heftiger Streit.

Jürgen Zöllner: Also, die Hörer können jetzt nicht sehen, dass ich etwas schmunzele. Medizin und Jura sind in diesem Bereich ja Sonderfälle. Übrigens vergisst man, dass die Initiative nicht von der Politik, sondern damals von den Hochschulen, von den Wissenschaftlern gekommen ist, die eben eine Organisationsstruktur der Studiengänge an Hochschulen wollten, die international besser kompatibel sind. Ich meine, dass die Vorteile bei weitem überwiegen gegenüber den Problemen, die wir sicher jetzt noch haben in der Umstellung, weil von den Möglichkeiten nicht in jedem Falle Gebrauch gemacht worden ist, die Studiengänge zu entschlacken, sie vernünftig zu modularisieren. Da gibt es sehr viele gute Beispiele, ich glaube sogar überwiegend. Und es gibt einige in der Verantwortung der Hochschulen, die sicher nicht optimal sind. Aber das ist etwas, wo wir uns anstrengen müssen.

Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir mal bei diesem Bolognaprozess und dem Versuch, europaweit Abschlüsse vergleichen zu können. Wenn das in den letzten zehn Jahren stattgefunden hätte, wären wir eigentlich heute weiter. Dann könnten Studenten locker von Deutschland aus in andere europäische Länder gehen und studieren. Das tun sie, wenn man sich die Statistik anschaut, aber überhaupt nicht. Wie erklären Sie sich das? Sind die Studenten zu faul? Haben sie zu viel zu tun? Oder ist das nicht kommuniziert worden?

Jürgen Zöllner: Gut, wir müssen uns natürlich die Statistiken erstmal genauer angucken. Ich verweise darauf, dass die ersten relativ umfassenden Studien ein positives Bild sowohl bei den Absolventen wiedergeben als auch bei denjenigen, bei denen die Betroffenen nachher beschäftigt sind. Der Wechsel wird sicher hauptsächlich an der Schnittstelle, also z. B. ins Ausland, zwischen Bachelor und Master stattfinden oder auch dann während des Masterstudiums. Die Vorstellung, dass man über diese modularisierten Angebote während des Bachelor-Studiums dann so ohne weiteres ins Ausland gehen kann, hat sich offensichtlich in dem Maße nicht erfüllt. Das liegt aber aus meiner Sicht unter anderem daran, dass natürlich die Stringenz der Organisation der Studiengänge in vielen Fächern viel stärker geworden ist als früher, wo eine gewisse Form der Beliebigkeit während des Studiums, was man gehört hat oder hören musste, bestanden hat. So dass es dann natürlich leichter war zu sagen, okay, da es soundso nicht so genau vorgeschrieben ist, ob ich das oder das höre, dann kann ich im Ausland dieses auch noch mitnehmen. Der Preis für eine bessere Organisation für diejenigen, die relativ zügig, zielgerichtet studieren wollen, die wir sicher durch Bachelor/ Master erreichen, ist, dass das etwas weniger Flexibilität für Auslandsaufenthalte während des Bachelor-Studiums nach sich zieht - ein Preis, glaube ich, den man bereit sein muss zu zahlen.

Deutschlandradio Kultur: Sie sprechen von Stringenz. Die Studenten sagen, sie hätten keine Zeit mehr, keine Zeit mehr für Engagement neben dem Studium und auch keine Zeit mehr dafür, im Studium vielleicht auch Dinge zu hören und sich anzuschauen, die nicht so zwingend notwendig sind.

Jürgen Zöllner: Ich kenne auch andere Aussagen von Studierenden. Ich glaube nicht, dass die Belastung durch die Vorgaben so ist, dass zeitlich kein Raum sowohl zur Persönlichkeitsbildung als auch zu demokratischem oder sonstigem Engagement bleibt.

Deutschlandradio Kultur: Also, der Vorwurf gilt nicht, dass man sagt, was früher in acht Semestern gelehrt wurde, wird heute in sechs Semestern gelehrt und in sofern so verdichtet, dass kaum mehr Spielraum für irgendetwas da ist?

Jürgen Zöllner: Wenn die Hochschule die Umstellung so gemacht hat, dann wäre der Vorwurf gerechtfertigt. Ich will auch nicht ausschließen, dass es dieses in Einzelfällen gibt. Aber wenn die Umstellung vernünftig gemacht worden ist, ist sicher das Volumen leistbar.

Deutschlandradio Kultur: Aber schmerzt es nicht noch mehr, dass die Bachelor und Master, soweit es sie schon gibt, gar nicht so anerkannt sind, nicht einmal in Deutschland, geschweige denn von Amerikanern und Briten übernommen würden?

Jürgen Zöllner: Das sagen Sie? Ich höre dieses nicht. Ich habe die Rückmeldung, dass z. B. Wirtschaftsbetriebe ausgesprochen zufrieden sind mit der Qualität der Ausbildung. Da gibt es übrigens sogar Untersuchungen darüber. Ein gewisses Problem - das sage ich in Anführungsstrichen - ist, dass dann die Arbeitgeber in diesem Falle sagen, ja gut, sie sind viel jünger. Dadurch fehlt ihnen auch etwas an Reife. Aber das war ja etwas, was wir erreichen wollten. Dieses negative Urteil sehe ich nicht.

Und ich sehe weiterhin, dass die ausländischen Universitäten, vor allen Dingen auch in den angelsächsischen Ländern, unheimlich interessiert sind, deutsche Absolventen, egal ob Bachelor oder Master, bei sich aufzunehmen.

Deutschlandradio Kultur: Sie sind seit 1991 Minister, zuständig für Bildungsfragen, erst in Rheinland-Pfalz, dann in Berlin. Ein Markenzeichen ist - vielleicht kann man es so umschreiben: Leistung soll sich wieder lohnen, auch an den Universitäten. Sie wollen dort Leistungskriterien einführen. Die Qualität der Lehre an den Hochschulen soll verbessert werden. Wie lässt sich das überhaupt messen?

Jürgen Zöllner: Ich glaube, dass wir ein anderes Hochschulfinanzierungssystem brauchen. Wir brauchen eine Finanzierung der Hochschulen, die es den Hochschulen ermöglicht längerfristig zu planen. Sie müssen wissen, dass sie, wenn sie eine Leistung A, B oder C erbringen, dann - wenn diese Leistung gewünscht ist - die entsprechende Refinanzierung bekommen. Das heißt im Klartext: Wenn sie mehr Studenten im Bereich der naturwissenschaftlichen Fächer ausbilden sollen, weil die Gesellschaft das will, dann müssen sie die Sicherheit haben, wenn sie sich so organisieren, dass sie entsprechend zusätzliche Mitteln in dem konkreten benötigten Umfang erhalten.

Nur das wird letzten Endes auch die Autonomie der Hochschulen ermöglichen.
Die zweite Ebene gehört dann auch dazu: Wenn wir eine gesamtstaatliche Verantwortung haben, dann brauchen wir ein System zwischen den Bundesländern, dass letzten Endes für diejenigen, die mehr Studierende ausbilden als andere, damit für die anderen ausbilden, ein finanzieller Ausgleich erfolgt. Das ist das berühmte Modell "Geld folgt Studierenden" oder "Vorteilsausgleich" oder ähnliches, was aus meiner Sicht den nötigen Schub in eine qualitative Weiterentwicklung einen quantitativen Ausbau der Hochschulen geben würde.

Deutschlandradio Kultur: Wie sieht genau Ihr Preismodell aus? Im Grunde nehmen Sie ja den einen weg und geben den anderen, denn der Kuchen bleibt ja gleich.

Jürgen Zöllner: Nein, das ist auch die Verpflichtung des Staates, die letzten Endes dahinter steht. Wenn der Staat mehr Leistung will, dann muss er dieses Mehr auch bezahlen. Es ist überhaupt nicht verständlich, wieso für Hochschulen etwas nicht gelten soll, was für alle anderen Bereiche gilt. Selbstverständlich ist es unbestritten, dass - wenn mehr Schülerinnen und Schüler in der Schule ausgebildet werden - ich dann von staatlicher Seite auch dem Schulsystem mehr Lehrerstellen zur Verfügung stelle.

Dasselbe gilt übrigens für den Kindergartenbereich. Wenn wir sagen, wir wollen, dass jetzt auch schon im zweiten und dritten und vierten Lebensjahr die jungen Menschen in den vorschulischen Bereichen in die Kitas gehen, dann stellen wir diesen Kitas - gesetzt den Fall, wir machen es beitragsfrei oder wir machen letzten Endes Beitragsermäßigung aus sozialen Gründen - entsprechend mehr Ressourcen zur Verfügung.

Wieso sollen wir das bei den Hochschulen nicht machen? Und dann erwarten wir, dass sie hochqualitative Lehre anbietet? Das wird nicht funktionieren. Und wenn ich will, dass Spitzenforschung gemacht wird, dann muss es sich für denjenigen an der Universität lohnen, der Spitzenforschung macht. Nur dann wird er letzten Endes entsprechende Leistungen erbringen.
Und für den dritten Bereich, für die Weiterbildung gilt das genauso. Wenn wir wollen, dass es eine dritte Säule an den Hochschulen gibt, dass sie wirklich Weiterbildungsanbieter sind auf diesem Markt, der genauso groß ist, wie der gesamte Hochschulmarkt - zehn Milliarden und mehr werden in der Bundesrepublik ausgegeben, die werden für Weiterbildung bezahlt, okay -, dann muss es sich auch für die Hochschulen lohnen. Nur dann werden sie Wettbewerber werden und quantitativ und qualitativ ausbauen.

Deutschlandradio Kultur: Also, dass man Leistung möglicherweise bei Sozialwissenschaftlern weniger messen kann als bei Naturwissenschaftlern, scheint ja Konsens zu sein. Nehmen wir das Beispiel der Philosophen. Wie wollen Sie da Leistung messen und denen dann entsprechend Geld geben?

Jürgen Zöllner: Ja, aber da müssen wir schon konkret darüber reden, um was es geht. Ich weiß, wie viel die Ausbildung eines Studierenden im Bereich der Sozialwissenschaften kostet. Und ich weiß, wie viel es im Bereich der Physik kostet. So. Dann gebe ich er Universität, wenn sie einen oder hundert mehr hat in den Sozialwissenschaften, hundertmal den Betrag, den es kostet, einen Sozialwissenschaftler auszubilden. Und dann hat sie diese Leistung erbracht, sie bildet ihn aus. Das kann ich sehr genau messen, 100 Prozent. Und im anderen Fall kriegen sie hundertmal den anderen Betrag für Physik, und zwar so, dass die Kosten gedeckt sind. Das wird bedeuten, dass es eben auch einen fairen Wettbewerb innerhalb der Hochschulen gibt - um ein Beispiel zu machen.

Und Sie können auch im Bereich der Forschung sehr wohl Parameter finden, die das nicht hundertprozentig abdecken. Das heißt, ein erfolgreicher Sonderforschungsbereich erfordert eine Gegenfinanzierung von Seiten der Hochschule. Wenn ich will, dass meine Berliner Hochschulen konkurrenzfähig sind und möglichst viele Sonderforschungsbereiche haben, brauchen sie zusätzliche Finanzierung. Und diese braucht der sozialwissenschaftliche Sonderforschungsbereich und die braucht auch der biowissenschaftliche Sonderforschungsbereich. Und dann kann ich das sehr wohl messen - in Anführungsstrichen. Entweder es gibt einen oder es gibt keinen. So. Dann gibt es eine Zusatzfinanzierung für den Sonderforschungsbereich.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie machen ja die Drittmittel zur Voraussetzung. Da stöhnt natürlich der Philosoph und sagt: Wo in der Wirtschaft soll ich Drittmittel einfordern? Ich bin doch kein Naturwissenschaftler.

Jürgen Zöllner: Sehen Sie, auch das ist ein Trugschluss. Sie brauchen natürlich mehrere Parameter, zum Beispiel so etwas wie die Tatsache, Sonderforschungsbereich ja oder nein, Graduiertenkolleg ja oder nein? Und Sie können den zusätzlichen Parameter Drittmittel dazu nehmen. Nun ist es so, dass der große Philosoph möglicherweise in seiner speziellen Ausrichtung natürlich nicht in dem Maße Drittmittel von der Industrie einwirbt, aber er hat auch die Chance, ein Forschungsprojekt bei der DFG einzuwerben.

Und natürlich hat er nicht den Kostenaufwand, den ein Physiker hat, der letzten Endes die Infrastruktur eines Elektronenbeschleunigers mit unheimlich hohen Energiekosten braucht. Das heißt, ich brauche ihm eben auch nicht so viel zusätzliche Mittel zu geben, weil er möglicherweise neben Recherchen in irgendwelchen Bibliotheken und Zuarbeiten bei der Fertigung von Manuskripten gar keine Zusatzressourcen braucht. Das lässt sich in den meisten Fällen völlig konfliktfrei und im Einverständnis mit den Betroffenen regeln.

Deutschlandradio Kultur: Im Umkehrschluss heißt das dann auch, dass Sie sagen: Im Moment arbeiten die Hochschulen nicht effizient genug?

Jürgen Zöllner: Das will ich so nicht sagen, sondern umgekehrt: Ich glaube, die Hochschulen - wenn Sie sehen, wie sich die Ausstattungszahlen entwickelt haben und wie viel mehr Studierende sie z. B. ausbilden - haben offensichtlich sehr viele Effizienzsteigerungen schon absolviert. Das kann man immer noch verbessern. Gerade wenn ich meine, dass wir an der Kante von Effizienzsteigerungen angekommen sind, muss ich sagen: Okay, wenn ich noch mehr von euch will, muss ich euch auch mehr Geld geben. Aber das kriegt ihr nicht pauschal, sondern das kriegt ihr letzten Endes in Relation zu dem, was ihr für diese Gesellschaft leistet, weil ihr dieses braucht.

Und ich bekomme auch einen Wettbewerb zwischen den Hochschulen. Wenn Sie z. B. ein geschlossenes System haben und jeder nur in Relation deswegen mehr Geld kriegen kann, wenn der andere weniger bekommt, dann haben Sie im Grunde genommen überhaupt kein Regulationssystem, weil dann könnten sie ein Kartell bilden, dass alle weniger machen. Und dann würden alle das Gleiche bekommen. Das kann nicht in unserem Interesse sein.
Dann gibt es natürlich auch eine Beurteilung in der Abstimmung mit den Füßen. Wenn eine Hochschule A ein gutes Angebot macht, ihre Kapazitäten voll ausgelastet werden, weil die Studenten sich dort gut aufgehoben und betreut fühlen, dann geht es ihr finanziell besser als einer Hochschule B, wo offensichtlich Kapazitäten leer stehen und die Studierenden nicht kommen. Okay, das ist doch gut.

Deutschlandradio Kultur: Ihr zweites großes Projekt neben der Hochschulfinanzierung ist die Schulreform. In einem Jahr soll die Sekundarschule starten, eine Zusammenlegung aus Hauptschule und Realschule, auch mit Oberstufenzweig. Wie unterscheidet sich diese neue Sekundarschule von der alten Gesamtschule?

Jürgen Zöllner: Gut, die ist nicht so sehr viel anders, sondern die Möglichkeiten der Sekundarschule sind größer als die der klassischen Gesamtschule. Das heißt, es gibt hier vor allen Dingen - was mir wichtig ist - flächendeckend in Berlin nur noch ein Ganztagsangebot. Wobei wir vorhaben, es den Schulen zu überlassen, wie sie es organisieren - entweder als offener oder gebundener Ganztagsbetrieb. Das heißt, dass im gebundenen Ganztagsbetrieb die Unterrichtsstunden über den ganzen Tag verteilt sind, oder aber im offenen, dass der Unterricht um halb zwei ca. endet und nachher Betreuung - in Anführungsstrichen - angeboten wird. Das sollen die Schulen entscheiden.

Zweitens ist auch wichtig, im Gegensatz zu den Gesamtschulen, wie sie bisher organisiert waren, dass die Schule weitgehend alleine darüber entscheiden kann, inwieweit sie Fachleistungsdifferenzierung macht - ja oder nein, ab welcher Klasse und für welche Fächer. Weil ich meine, dieses ist abhängig von dem, was die Eltern für ihre Kinder wollen oder die Kinder möchten, aber auch, wo die Lehrerinnen und Lehrer meinen, am besten Kinder unterrichten zu können.

Drittens - eine Besonderheit, die in Berlin insbesondere eine Rolle spielt - werden wir eine Ausstattung für diese Schule haben, die in einem großen Teil in Bezug auf zusätzliche Stellen für Lehrerinnen und Lehrer abhängig ist von Schülerinnen und Schülern, die betreuungsintensiv sind. Die Schule muss heute - vor allen Dingen in einer Metropole wie Berlin - in viel stärkerem Maße Integrationsleistungen erbringen als früher - ich sage ausdrücklich, nicht nur Integrationsleistungen für Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache, sondern auch deutscher Herkunftssprache, das heißt, Integration in diese Gesellschaft -, so dass wir Zuweisungen in diese Richtung dann ausbauen werden, so dass in dem Gesamtpaket und der klar ausgesprochenen Möglichkeit, alle Schulabschlüsse über diese Schulform zu erhalten, ich tatsächlich meine, dass das ein attraktives Angebot ist.

Und der letzte Punkt ist, dass es über diese Schulart dann möglich sein wird, das Abitur - weil Sie das vorhin auch angesprochen haben - in 12 und 13 zu erlangen. Es geht nicht darum, dass das mit 13 Jahren nur für diejenigen da ist, die schlechter lernen. Wir wissen heute, dass es viele junge Menschen oder Eltern gibt, die wollen, dass neben der Schule eben auch noch andere Aktivitäten gemacht werden und dass man nicht so schnell durch die Schulzeit durchgejagt - in Anführungsstrichen - werden soll. Ich glaube, dass das insgesamt ein zukunftsweisendes Angebot sein wird.

Deutschlandradio Kultur: Welche Rolle spielen eigentlich die Gymnasien in diesem Zusammenhang? Werden die auch irgendwie in die Pflicht genommen?

Jürgen Zöllner: Ja, ich gehe davon aus, dass diese Entwicklung nicht spurlos - auch im Sinne einer positiven Weiterentwicklung - an den Gymnasien vorbeigehen wird. Wir werden das so genannte - wieder in Anführungsstrichen - Abschulen dann nicht mehr ermöglichen. Das heißt, wenn einmal die Schülerinnen und Schüler in den Gymnasien sind, dann müssen sie dort gefördert werden. Wir werden gleichzeitig jedem Bezirk ermöglichen, auch die Gymnasien zu Ganztagsschulen auszubauen, um von dieser zusätzlichen pädagogischen Möglichkeit, die man hat, Gebrauch machen zu können. Und die Konkurrenzsituation wird sie auch dazu bringen, dann ihr Angebot sicher noch zu optimieren.

Deutschlandradio Kultur: Nun kommt die Frage stellen, die alle Eltern stellen: Ziehen künftig in diesen neuen Gesamtschulen, sage ich jetzt mal, die schlechten Schüler alle anderen Schüler mit runter? Oder gelingt es, dass man die Schüler aus bildungsfernen Familien wirklich fördert, hin zu einem Schulabschluss?

Jürgen Zöllner: Ja, ich glaube, dass das, was man von Seiten des Staates tun kann, an Voraussetzungen da ist. Es wird eine gute Personalausstattung, die ich schon erwähnt habe, geben. Es wird die Möglichkeit geben, über das Ganztagsangebot zusätzliche Erzieherinnen- oder Erzieherstellen, Sozialarbeiterstellen und ähnliches zu haben.

So, und dann müssen, das sage ich auch schon offensiv, dann müssen diejenigen, die für eine solche Ausbildung immer geworben haben, unter Beweis stellen, dass sie tatsächlich so die besonders Begabten, als auch möglicherweise die etwas Lernschwächeren unter solchen Voraussetzungen des gemeinsamen Unterrichtes besser fördern können. So. Und dann werden wir mal gucken. Ich bin optimistisch, dass es gelingen kann.

Deutschlandradio Kultur: Dann haben Sie sich ja noch was Besonderes einfallen lassen: das Losverfahren für Gymnasien. Nicht allein die Rektoren der Gymnasien sollen entscheiden, wer aufs Gymnasium kommt, sondern jeder darf sich bewerben und dann entscheidet das Los. Was wollen Sie denn damit erreichen?

Jürgen Zöllner: Sehen Sie, ich schmunzle wieder. Sie müssen die Frage schon präzise stellen. Also, ob man auf das Gymnasium kommt oder nicht, wird nicht durch Los, und zwar in keinem Fall, entschieden. Ich habe Wert darauf gelegt, dass es eine entsprechende Förderempfehlung der Grundschule gibt, dass aber letzten Endes der Elternwille zählt. Das heißt, jeder, der seinen Sohn oder seine Tochter auf ein Gymnasium schicken wird, wird einen Platz in einem Gymnasium bekommen. Da spielt Los überhaupt keine Rolle. Das ist wichtig, weil unterstellt wird, dass das Los an dieser Weichenstellung entscheiden könnte.

Das Los soll in Berlin in Zukunft nur dann eine Rolle spielen, wenn eine bestimmte Schule - übrigens gilt das auch für die unheimlich attraktiven, jetzt Gesamtschulen, später Sekundarschulen, die wir haben werden, dort wird es übrigens häufiger vorkommen als bei Gymnasien - übernachgefragt wird. Und da vergisst man in der öffentlichen Diskussion, dass bisher in Berlin der Fahrplan der öffentlichen Nahverkehrsbetriebe darüber entschieden hat, die Entfernung von der Schule, so dass es dazu gekommen ist, dass man Scheinwohnsitze und ähnliches eingenommen hat.

Damit wollte ich ein Ende machen. Wir werden in Zukunft die Sache so regeln, dass 60 Prozent durch die Schule ausgesucht werden, sprich den Schulleiter. Das heißt, die Profilbildung der Schule ist in einem ungeahnt besseren Maße möglich als bisher. Zehn Prozent soziale Härtefälle - in Anführungsstrichen -, das heißt z. B. auch Geschwisterkinder oder so, weil es aus meiner Sicht nicht zumutbar ist, dass das eine Kind auf die Schule geht und das andere auf die. Und die letzten dann verbliebenen 30 Prozent werden dann über Los entschieden. Und wenn die/ der entsprechende Schülerin oder Schüler keinen Platz bekommt, dann bekommt sie/ er an einem anderen Gymnasium oder, wenn sie/ er auf eine Sekundarschule will, an einer anderen Sekundarschule einen Platz.

Deutschlandradio Kultur: Aber sind die Eltern so überzeugt von Ihrer Schulreform? Denn immer mehr gründen ja private Schulen. Selbst die türkischen Mittelständler fangen an, eine private Schule für ihre Kinder zu gründen. Macht Ihnen das Angst und Bange?

Jürgen Zöllner: Nein, macht mir keine Angst, wobei man sehen muss, dass in Berlin der Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler, die auf Privatschulen gehen, sich noch weit unter dem alten westdeutschen Durchschnitt bewegt. In Rheinland-Pfalz, in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, in Bayern gibt es sehr viel mehr Schülerinnen und Schüler, die auf Privatschulen gehen, als in Berlin.

Es gibt offensichtlich einen gewissen Prozentsatz an Eltern, die die speziellen Ausrichtungen, die natürlich eine Privatschule haben kann, für ihre eigenen Kinder besonders wertschätzen. Okay, ich sehe darin eine interessante Wettbewerbsalternative zum öffentlichen Schulsystem. Ich meine, es bekommt dem öffentlichen Schulsystem gut, wenn wir auch private Schulen haben. Und es soll ein Anreiz sein für das öffentliche Schulsystem, eben noch besser zu sein.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn türkische Eltern ein türkisches privates Gymnasium gründen, besteht nicht da die Gefahr, dass die sich abgrenzen, dass sie unter sich bleiben, dass Sie genau das nicht erreichen, was Sie gern wollen, nämlich die Integration und die Vermischung mit anderen Kreisen innerhalb der Gesellschaft?

Jürgen Zöllner: Ja, ich habe ein Interesse als Schulsenator in Berlin, die Berliner öffentlichen Schulen so attraktiv zu machen, dass sich letzten Endes auch türkische Eltern in den öffentlichen Schulen am besten aufgehoben fühlen. Nur wenn es die Möglichkeit gibt, Privatschulen zu machen, dann kann ich nicht sagen, okay, türkische Mitbürgerinnen und Bürger dürfen keine Privatschule gründen, wenn alle anderen es dürfen. Also, das geht dann nicht.

Deutschlandradio Kultur: Sie kommen ja aus Rheinland-Pfalz und sind erst in dieser Legislaturperiode nach Berlin gewechselt. Die Berliner Zeitung hat gesagt, im Abgeordnetenhaus würden Sie "auf der Senatsbank lümmeln und patzige Antworten geben". Haben Sie ein gespaltenes Verhältnis zu den Berliner Politikern?

Jürgen Zöllner: Subjektiv gesehen nicht. Dass ich manchmal möglicherweise nicht so gerade und aufrecht sitze, hängt damit zusammen, dass ich mal einen schweren Autounfall hatte und vier Wirbelkörper gebrochen habe, so dass ich sehen muss, dass ich mit dem Sitzen zurechtkomme. So, und dann müssten Sie sich mal die spontanen Fragestunden im Berliner Abgeordnetenhaus anhören. Dann muss man versuchen, manchmal etwas schlagfertige Antworten zu geben. Das wird dann unterschiedlich interpretiert.

Deutschlandradio Kultur: Aber amtsmüde sind sie keineswegs?

Jürgen Zöllner: Nein, ich finde diese Herausforderung faszinierend. Sie kostet viel Kraft, das ist richtig, aber ich bin nicht amtsmüde.

Deutschlandradio Kultur: Warten Sie solange bis Berlin eine Bildungsmetropole ist, wie Sie es angekündigt haben?

Jürgen Zöllner: Ich werde alles dafür tun, dass die gute Position in Berlin eben noch stärker wird.

Deutschlandradio Kultur: Herr Zöllner, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Jürgen Zöllner: Ich bedanke mich bei Ihnen.