Berliner Bankrotterklärung
Die Dankbarkeit ist kein Gefühl von langer Dauer – schon gar nicht zwischen einer rot-roten Stadtregierung und dem Flughafen, der vor fast 60 Jahren der Rettungsring für Berlin war. Amerikanische und britische Transportmaschinen, umgebaute viermotorige Bomber, brachten ein Jahr lang, als Stalin den Westteil der Stadt blockierte, alles Lebensnotwendige in die Stadt.
Niemand beschwerte sich in solchen Zeiten über Fluglärm. Oberbürgermeister Ernst Reuter sagte damals vor der Ruine des Reichstags: "In Berlin ist es kalt. In Sibirien ist es kälter". Und die Berliner waren dankbar. Der wichtigste Flughafen der Luftbrücke war - neben Gatow im britischen Sektor - Tempelhof im amerikanischen Sektor, wo heute noch das Luftbrückendenkmal in den Himmel ragt und eine U-Bahn-Station an heroische Zeiten erinnert.
Aber Dankbarkeit, so bemerkte Stalin einmal, ist für Hunde. Wie auch immer es sich damit verhält: Für Stadtplaner ist sie auch nicht. Aber Stadtplaner müssten begreifen, dass, was für London und Paris gut ist, für Berlin so schlecht nicht sein kann. Beide Metropolen haben am Rande der Innenstadt, ähnlich wie Tempelhof, Flughäfen für kleinere und mittlere Maschinen. Berlin will Metropole von Weltrang sein. Aber mit "Love-Parade" und Schicki-Micki wird man das nicht schaffen.
Die Stadt braucht dringend Geld, doch der Bund wie die westlichen Bundesländer haben deutlich gesagt: genug ist genug. Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem in Berlin mit Achselzucken aufgenommenen Urteil bestätigt, dass nunmehr Berlin an der Reihe ist mit Verbesserung seiner Finanzen. In Berlin aber hat das niemanden, am wenigsten den Regierenden Bürgermeister beeindruckt. Man nennt ihn in der Stadt auch, nicht ohne grimmige Ironie, den regierenden Partymeister. Sollen doch die Wessis, die man dafür keineswegs mehr schätzt, für die Party bezahlen. Der einzige, der die Zahlen ernst nimmt, ist der Finanzsenator, aber er predigt vor einer leeren Kirche. Denn der Senat und zwölf Bezirke sehen das meistens anders. Es hat fast zehn Jahre gedauert, bis vor dem Luxushotel Adlon am Pariser Platz ein Baldachin zur Straße geht, wie anderswo, von Peking bis Paris, an jedem großen Hotel üblich. Die Begründung? Man könne doch den Ortsarmen nicht zumuten, im Regen zu stehen, während die Reichen und Schönen unberegnet bleiben. Das ist Berliner Stimmung.
Die Stadt lebt in den Tag hinein, und immer über die Verhältnisse. Sie kann es sich wahrhaftig nicht leisten, Chancen zu vertun. Aber sie tut es. Das fängt an mit dem Sozialismus in vielen öffentlichen Schulen, der die Bildungs- und Managerschichten in die Privatschulen treibt oder gleich vom Umzug nach Berlin abhält, und endet nicht mit der Preisgabe von Tempelhof.
Jetzt suchen viele hundert Hektar Land in guter Lage südlich der Berliner Mitte einen neuen Daseinszweck, und am besten wäre der alte, in Kombination mit neuen Aufgaben und Vernetzungen. Dafür haben potente deutsche und ausländische Investoren beachtliche Nutzungskonzepte vorgelegt, die Arbeitsplätze bringen und der Stadt eine besondere Attraktivität schenken. Die Bundesbahn will ein Gesamtkonzept für Schiene und Luft anbieten – wenn man sie nur lässt. Der Einwand aus den südlichen Kiezen wegen Lärm ist wenig überzeugend: Zur Stadt hin dämmt das Band der Flughafengebäude alles ab, und südlich der Start- und Landebahnen rauscht und donnert ohnehin Tag und Nacht die Autobahn nach Dresden und Schönefeld vorbei. Vieles, was der Senat an Auflagen macht, sieht nach Schikane aus.
Der Flughafen Tempelhof ist wie kein anderer architektonisches Gesamtkunstwerk. Der britische Stararchitekt Sir Norman Foster nennt ihn "die Mutter aller Flughäfen". Längst wurden die Hakenkreuze den ubiquitären Adlern aus den Klauen geschlagen, die hier einst Hermann Görings Bauwerk bewachten. Die Dämonen der NS-Zeit sind noch einmal vertrieben worden durch die demokratische Blutübertragung anno 1948/49, als die Westsektoren der Stadt via Tempelhof gerettet wurden. Und ohnehin sollte man Bauwerke nicht für ihre Erbauer haftbar machen. Dem Olympiastadion, 1936 Schauplatz eines faschistischen Großereignisses der Marke Kraft durch Freude, trägt man sein Entstehungsjahr auch nicht nach.
Irgendwann müssen auch in Berlin die Bilanzen wieder stimmen. Aber Tempelhof zu erhalten, ist nicht nur eine Sache der Bilanzen. Es ist auch eine Sache dessen, was Berlin sein will: Ewig missmutiger Subventionsempfänger, der es sich auf Kosten anderer gut gehen lässt – oder die selbstbewusste deutsche Hauptstadt inmitten einer Geschichte, der es an Glanz und Elend nun wahrhaftig nicht gefehlt hat. Tempelhof als Industrieruine, und ein paar Siedlerhäuschen über das ehemalige Flugfeld verstreut, das wäre der moralische und planerische Bankrott. Tempelhof als architektonisches Weltwunder, als Drehscheibe des Verkehrs, als Dienstleistungsmaschine von hoher Intensität – das wäre für Berlin und die Republik das Signal, dass die an sich selbst, ihrer Regierung und an ihrer unternehmerischen Unlust leidende Stadt wieder Sinn und Richtung findet. Tempelhof - das ist ein Name vom Besten. Tempelhof darf nicht sterben.
Der 1938 in Kassel geborene Michael Stürmer studierte in London, Berlin und Marburg, wo er 1965 promovierte. Nach seiner Habilitation wurde er 1973 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Sozial- und Verfassungsgeschichte; außerdem lehrte er u.a. an der Harvard University, in Princeton und der Pariser Sorbonne. 1984 wurde Stürmer in den Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung berufen und zwei Jahre später zum Vorsitzenden des Forschungsbeirates des Center for European Studies in Brüssel. Zehn Jahre lang war er überdies Direktor der StiftungWissenschaft und Politik. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: "Das ruhelose Reich", "Dissonanzen des Fortschritts", "Bismarck - die Grenzen der Politik" und zuletzt "Die Kunst des Gleichgewichts. Europa in einer Welt ohne Mitte". Im so genannten Historikerstreit entwickelte Stürmer die von Habermas und Broszat bestrittene These von der Identität stiftenden Funktion der Geschichte. Stürmer, lange Kolumnist für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", schreibt jetzt für die "Welt" und die "Welt am Sonntag".
Aber Dankbarkeit, so bemerkte Stalin einmal, ist für Hunde. Wie auch immer es sich damit verhält: Für Stadtplaner ist sie auch nicht. Aber Stadtplaner müssten begreifen, dass, was für London und Paris gut ist, für Berlin so schlecht nicht sein kann. Beide Metropolen haben am Rande der Innenstadt, ähnlich wie Tempelhof, Flughäfen für kleinere und mittlere Maschinen. Berlin will Metropole von Weltrang sein. Aber mit "Love-Parade" und Schicki-Micki wird man das nicht schaffen.
Die Stadt braucht dringend Geld, doch der Bund wie die westlichen Bundesländer haben deutlich gesagt: genug ist genug. Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem in Berlin mit Achselzucken aufgenommenen Urteil bestätigt, dass nunmehr Berlin an der Reihe ist mit Verbesserung seiner Finanzen. In Berlin aber hat das niemanden, am wenigsten den Regierenden Bürgermeister beeindruckt. Man nennt ihn in der Stadt auch, nicht ohne grimmige Ironie, den regierenden Partymeister. Sollen doch die Wessis, die man dafür keineswegs mehr schätzt, für die Party bezahlen. Der einzige, der die Zahlen ernst nimmt, ist der Finanzsenator, aber er predigt vor einer leeren Kirche. Denn der Senat und zwölf Bezirke sehen das meistens anders. Es hat fast zehn Jahre gedauert, bis vor dem Luxushotel Adlon am Pariser Platz ein Baldachin zur Straße geht, wie anderswo, von Peking bis Paris, an jedem großen Hotel üblich. Die Begründung? Man könne doch den Ortsarmen nicht zumuten, im Regen zu stehen, während die Reichen und Schönen unberegnet bleiben. Das ist Berliner Stimmung.
Die Stadt lebt in den Tag hinein, und immer über die Verhältnisse. Sie kann es sich wahrhaftig nicht leisten, Chancen zu vertun. Aber sie tut es. Das fängt an mit dem Sozialismus in vielen öffentlichen Schulen, der die Bildungs- und Managerschichten in die Privatschulen treibt oder gleich vom Umzug nach Berlin abhält, und endet nicht mit der Preisgabe von Tempelhof.
Jetzt suchen viele hundert Hektar Land in guter Lage südlich der Berliner Mitte einen neuen Daseinszweck, und am besten wäre der alte, in Kombination mit neuen Aufgaben und Vernetzungen. Dafür haben potente deutsche und ausländische Investoren beachtliche Nutzungskonzepte vorgelegt, die Arbeitsplätze bringen und der Stadt eine besondere Attraktivität schenken. Die Bundesbahn will ein Gesamtkonzept für Schiene und Luft anbieten – wenn man sie nur lässt. Der Einwand aus den südlichen Kiezen wegen Lärm ist wenig überzeugend: Zur Stadt hin dämmt das Band der Flughafengebäude alles ab, und südlich der Start- und Landebahnen rauscht und donnert ohnehin Tag und Nacht die Autobahn nach Dresden und Schönefeld vorbei. Vieles, was der Senat an Auflagen macht, sieht nach Schikane aus.
Der Flughafen Tempelhof ist wie kein anderer architektonisches Gesamtkunstwerk. Der britische Stararchitekt Sir Norman Foster nennt ihn "die Mutter aller Flughäfen". Längst wurden die Hakenkreuze den ubiquitären Adlern aus den Klauen geschlagen, die hier einst Hermann Görings Bauwerk bewachten. Die Dämonen der NS-Zeit sind noch einmal vertrieben worden durch die demokratische Blutübertragung anno 1948/49, als die Westsektoren der Stadt via Tempelhof gerettet wurden. Und ohnehin sollte man Bauwerke nicht für ihre Erbauer haftbar machen. Dem Olympiastadion, 1936 Schauplatz eines faschistischen Großereignisses der Marke Kraft durch Freude, trägt man sein Entstehungsjahr auch nicht nach.
Irgendwann müssen auch in Berlin die Bilanzen wieder stimmen. Aber Tempelhof zu erhalten, ist nicht nur eine Sache der Bilanzen. Es ist auch eine Sache dessen, was Berlin sein will: Ewig missmutiger Subventionsempfänger, der es sich auf Kosten anderer gut gehen lässt – oder die selbstbewusste deutsche Hauptstadt inmitten einer Geschichte, der es an Glanz und Elend nun wahrhaftig nicht gefehlt hat. Tempelhof als Industrieruine, und ein paar Siedlerhäuschen über das ehemalige Flugfeld verstreut, das wäre der moralische und planerische Bankrott. Tempelhof als architektonisches Weltwunder, als Drehscheibe des Verkehrs, als Dienstleistungsmaschine von hoher Intensität – das wäre für Berlin und die Republik das Signal, dass die an sich selbst, ihrer Regierung und an ihrer unternehmerischen Unlust leidende Stadt wieder Sinn und Richtung findet. Tempelhof - das ist ein Name vom Besten. Tempelhof darf nicht sterben.
Der 1938 in Kassel geborene Michael Stürmer studierte in London, Berlin und Marburg, wo er 1965 promovierte. Nach seiner Habilitation wurde er 1973 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte, Sozial- und Verfassungsgeschichte; außerdem lehrte er u.a. an der Harvard University, in Princeton und der Pariser Sorbonne. 1984 wurde Stürmer in den Vorstand der Konrad-Adenauer-Stiftung berufen und zwei Jahre später zum Vorsitzenden des Forschungsbeirates des Center for European Studies in Brüssel. Zehn Jahre lang war er überdies Direktor der StiftungWissenschaft und Politik. Zu seinen Veröffentlichungen zählen: "Das ruhelose Reich", "Dissonanzen des Fortschritts", "Bismarck - die Grenzen der Politik" und zuletzt "Die Kunst des Gleichgewichts. Europa in einer Welt ohne Mitte". Im so genannten Historikerstreit entwickelte Stürmer die von Habermas und Broszat bestrittene These von der Identität stiftenden Funktion der Geschichte. Stürmer, lange Kolumnist für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", schreibt jetzt für die "Welt" und die "Welt am Sonntag".