Berliner Antidiskriminierungsgesetz

Verunsicherte Polizisten fürchten Anzeigen

08:19 Minuten
Polizisten kontrollieren in einem Park einen Schwarzen Mann.
Umstrittenes Vorgehen: Die Polizei steht wegen Kontrollen von Schwarzen in der Kritik. © Picture Alliance / dpa / Paul Zinken
Von Claudia van Laak · 15.07.2020
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Für die einen war es überfällig, für die anderen ist es überflüssig: das Berliner Antidiskriminierungsgesetz. Denn nun können Menschen Anzeige erstatten, die durch Polizei oder andere Behörden diskriminiert wurden.
Der arabischstämmige Betreiber eines Spätkaufs in Neukölln wusste Bescheid. Als Polizisten seinen Laden kontrollierten, weil es Hinweise auf Clankriminalität gab, versuchte er die Beamten seinerseits einzuschüchtern. Er werde sie anzeigen, drohte der Mann den Polizisten. Seine Behauptung: Sie würden ihn nur kontrollieren, weil er Araber sei, das verstoße gegen das neue Antidiskriminierungsgesetz.
Diese Episode erzählt Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel. Der SPD-Politiker macht schnell klar, dass er nicht so furchtbar viel vom neuen Landesantidiskriminierungsgesetz hält. Es könnte den gemeinsamen Kampf von Polizei und Bezirk gegen die kriminellen Clans erschweren, meint Hikel.
"Also, das Gesetz ist nicht auf meinem Mist gewachsen", unterstreicht der Sozialdemokrat. "Was die Arbeit der Polizei hier betrifft, so sind die Vorwürfe, dass die Schwerpunktkontrollen nach rassistischen Mustern ausgesucht werden, faktisch falsch. Insofern sehe ich durchaus die Gefahr darin, dass man viele Bemühungen, die im Land Berlin laufen, um einem Phänomenbereich Herr zu werden, ad absurdum geführt werden könnten."

Polizisten müssen Arbeit dokumentieren

Ähnlich argumentieren Gegner des Gesetzes auch in puncto Drogenkriminalität. So stammen die meisten Drogenhändler im Görlitzer Park aus Schwarzafrika. Auch sie könnten nun ihrerseits Polizisten und Ordnungsamtsmitarbeiter mit Anzeigen drohen. Im schlimmsten Fall haben diese Anzeigen zur Folge, dass Polizeibeamte bestimmte Kontrollen nicht mehr durchführen, befürchtet Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei:
"Wenn sich so etwas rumspricht - und Kollegen sprechen untereinander - und an einem Kollegen wurde vielleicht mal so ein Exempel statuiert, dann kann es schon dazu führen, dass mehr und mehr Kolleginnen und Kollegen vielleicht wirklich nur noch einschreiten, wenn sie es müssen und nicht mehr präventiv agieren. Gerade wenn man sich Kontrolldelikte anguckt wie Drogenhandel oder auch ausländerrechtliche Verstöße, die kann ich nur herausfinden, wenn ich die kontrolliere. Da ist der präventive Charakter außen vor."
Jendro war auf einer Wache in Kreuzberg, erzählt von verunsicherten Polizistinnen und Polizisten. Jetzt müssen diejenigen, die sich von Berliner Beamten oder Angestellten diskriminiert fühlen, nicht mehr ihre Diskriminierung beweisen, sondern nur noch glaubhaft machen.

Angst vor Diskriminierungsvorwurf

Die Folge sei, so Gewerkschaftsfunktionär Jendro: Die Polizisten müssten jede Kleinigkeit dokumentieren, um sich bei einer möglichen Anzeige vor ihren Vorgesetzten oder vor Gericht verteidigen zu können. Nehmen wir mal ein Beispiel, sagt Jendro, ein Anruf auf der Polizeiwache.
"Jetzt haben Sie jemanden in der Leitung, der sich nicht klar ausdrücken kann. Sie verstehen den nicht, der ist vielleicht nicht der deutschen Sprache mächtig. Sie diskutieren mit ihm und irgendwann haben Sie das Gefühl, der blockiert nur die Leitung. Sie haben andere Sachen zu tun. Und drei Monate später kommt eine Anzeige wegen Diskriminierung, der Kollege wird sich nicht mehr an dieses Telefonat erinnern können. Dann kommt ein Diskriminierungsvorwurf und dann ist ganz klar die Frage, wie soll der Kollege, wie soll das Land Berlin sich dafür rechtfertigen, dass da nicht diskriminiert wurde."
All das sind Spekulationen. Bislang hat niemand Anzeige erstattet. Deshalb ärgert sich Kriminalhauptkommissar Oliver von Dobrowolski über die Gewerkschaft der Polizei. Panikmache und Falschinformationen wirft er ihr vor.
"Dann wird da immer ganz laut lamentiert und geklagt. Es sind alles Maßnahmen, die unsere Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit stärken sollen und die halt auch für die Bürgerinnen und Bürger, die mit der Polizei im Besonderen und mit dem Staat im Allgemeinen zu tun haben, die einfach mehr Rechtsschutz erfahren. Das ist eine tragende Säule unserer Demokratie."
Von Dobrowolski sitzt bei einem Minztee in einem Café in Berlin-Lichterfelde, reibt sich die Müdigkeit aus den Augen, er hat zwei Nachtschichten hinter sich. Der Kriminalhauptkommissar arbeitet in einer neuen Brennpunkteinheit, die am Alexanderplatz, dem Görlitzer Park und der Warschauer Straße unterwegs ist – überall dort, wo die Kriminalität besonders hoch ist.
Außerdem liefert sich der Vorsitzende des Vereins "Polizei Grün" gerne auf Twitter einen Schlagabtausch mit Gegnern des Antidiskriminierungsgesetzes. Als Nestbeschmutzer wird er da gerne beschimpft.
"Gerade gestern war wieder ein Vorfall, wo mich jemand als jemand bezeichnet hat, der den Kolleginnen und Kollegen ein Messer in den Rücken stößt. Backstabber war da der Hashtag. Das ist inzwischen zur Normalität geworden, ich find's aber nach wie vor nicht wirklich schön."

Betroffen trauen sich nicht, gegen Behörden vorzugehen

Von Dobrowolski gehört zu den wenigen Polizeibeamten, die sich öffentlich hinter das vom rot-rot-grünen Senat verabschiedete Antidiskriminierungsgesetz stellen. Es führt hoffentlich dazu, dass wir uns unsere Vorurteile stärker bewusst machen, sagt der 44-Jährige, der sich über die teils diskriminierende Sprache seiner Kollegen ärgert, beispielsweise wenn Personen Polizeieinsätze filmten.
"Dann fallen häufig Bezeichnungen wie, na ja, das sind Gutmenschen oder Zecken. Das ist ein deutlich rechtes Narrativ, das ist deutlich mit Bewertungen verbunden. Da muss man auch ran, dass sich das schleunigst ändert."
In der gesamten aufgeregten Debatte über das Antidiskriminierungsgesetz ist eine Gruppe kaum zu Wort gekommen: die Menschen, die davon profitieren sollen, weil sie zum Beispiel aufgrund ihrer Hautfarbe von Polizisten oder Verwaltungsbeamten schlecht behandelt wurden.
Biplab Basu vertritt sie. Beim Verein "Reach out" kümmert er sich speziell um – so nennt er sie - Opfer rassistischer Polizeigewalt. Bislang hätten sich die Betroffenen oft nicht getraut, gegen eine schlechte Behandlung durch die Behörden vorzugehen.
"Die Menschen mit Migrationshintergrund, die schwarzen Menschen, die sichtbaren Minderheiten, die haben weniger Macht, weniger Beschwerdemacht. Dass sie nicht wissen, wie sie dagegen vorgehen können, dass sie sich nicht beschweren werden, weil sie Angst haben, weitere Repressalien zu erfahren."

Überfälliges Gesetz

Basu, ein freundlicher älterer Herr mit weißen Haaren in türkisfarbenem Hemd und grauer Weste, kommt gerade aus dem Gerichtssaal. Er begleitet, wenn möglich, seine Klienten, sieht dort eine Kumpanei von Polizei und Justiz. Richter und Staatsanwälte würden immer den Aussagen der Polizisten Glauben schenken, nie denen der nicht-weißen Angeklagten.
Nun hofft Biplap Basu auf positive Auswirkungen des Gesetzes. Zum einen müssten sich Berlins Behördenmitarbeiter jetzt stärker vorsehen, denn sie wüssten, dass sie verklagt werden könnten.
"Und zweitens: Die Menschen werden empowert. Das ist ein Riesengewinn, dass die potenziell diskriminierten Menschen wissen, sie können den Staat anrufen und sagen, Deine Bediensteten haben mich diskriminierend behandelt."
Dass Kriminelle eine Diskriminierung nur vortäuschen, um sich vor Verfolgung zu schützen, daran glaubt Basu nicht. Sein Feindbild ist klar: Für ihn sind die Polizisten immer die Bösen. Deshalb hält er das Antidiskriminierungsgesetz für überfällig.
Bei Jendro von der Gewerkschaft der Polizei ist es umgekehrt: Für ihn sind die Polizisten immer die Guten. Das neue Gesetz deshalb überflüssig, wenn nicht sogar schädlich.
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