Berlinale

Zwischen Euphorie und Katerstimmung

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 10.02.2014
Krisen und ihre Opfer sind ein wichtiges Thema auf der Berlinale. Drei Filme aus den USA, aus Mexiko und dem Iran beleuchten die Bewegungen auf ihre eigene Weise.
Vor dem Finanzzentrum der USA wird getrommelt. Die Menschen,die hier protestieren, kommen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Alle folgten am 17. September 2011 einem Internetaufruf, besetzten den an die Wall Street grenzenden Zuccotti-Park und errichteten ein Protest Camp. Die Regisseure Fisher Stevens und Rebecca Chaiklin zeigen in ihrem Dokumentarfilm "Another World" (Eine andere Welt) die Chronik einer Protestbewegung und ihrer Protagonisten von der ersten Stunde an.
Fisher Stevens: "Wir fingen einfach an zu filmen. Wir wussten nicht, was am Ende dabei rauskommen würde, wir wussten nur, dass es nicht um ideologische Diskussionen gehen sollte, sondern um die Menschen. Um die Durchschnittsamerikaner, die alles stehen und liegen ließen, ihre Jobs, ihre Häuser, um hier den Platz zu besetzen um hier auf dem Boden zu schlafen. Wir waren einfach fasziniert von ihrer Motivation."
Die Protagonisten von „Occupy Wall Street“ sind verschuldete Farmer, junge Arbeitslose, Studenten, aber auch Veteranen früherer Protestbewegungen. Die meisten fühlen sich betrogen um den alten amerikanischen Traum, dass auf harte Arbeit verdienter Wohlstand folge. Die Filmemacher zeigen die Euphorie, aber auch die Selbstüberschätzung innerhalb der Bewegung.
Der Protest lebt weiter
"Ich liebe die Stelle wenn Patrick schreit: 'Wir sind der Tahrir Platz!' Aber wir sind natürlich nicht der Tahrir Platz. Ägypten ist doch noch einmal eine völlig andere Situation und ich glaube nicht, dass die ganzen Leute unter dem Regime dort überlebt hätten. Die Situation für den Protest ist doch in den USA um einiges besser, besonders für die weißen Mittelschichtkinder."
Auch als das Occupy-Wall-Street-Protest-Camp am 15. November 2011 geräumt wird, folgen die Filmemacher ihren Protagonisten und zeigen wie der Protest weiterlebt, auch wenn die Massenmedien längst das Interesse verloren haben.
Von einer Zeit nach der Niederschlagung der Proteste und der Ohnmacht einer verlorenen Generation erzählt der iranische Spielfilm "Asabani Nistam - I'm Not Angry". Ein junger Mann wird nach seiner Beteiligung an den Demonstrationen nach den iranischen Präsidentschaftswahlen 2009 von der Universität ausgeschlossen und nimmt seitdem Psychopharmaka gegen seine immer häufiger aufsteigenden Jähzornattacken. Seine Verlobte kann er nicht heiraten, weil er einfach das nötige Geld nicht zusammen bekommt.
Mit groteskem Sarkasmus, tragischen Momenten und subtil zwischen den Zeilen zeichnet der Film das Bild einer hektischen und egoistischen Gesellschaft, in der die Protagonisten der Protestbewegung von gestern schon allein wirtschaftlich keinen Platz mehr haben.
Die Studenten haben die Universität in Mexiko City besetzt. Jetzt bemalen sie ein großes Wandgemälde, das heroisch an die große mexikanische Revolution von 1910 erinnert. Der mexikanische Debütfilm "Güeros" führt zurück zum großen Studentenstreik 1999. Regisseur Alonso Ruizpalacios geht es aber nicht um die Rekonstruktion historischer Ereignisse:
Rebellen gegen die Rebellion
"Wenn Du den Film siehst, weißt du nicht in welchem Jahr er eigentlich spielt. Wir haben uns für eine bewusst neutrale Darstellung entschieden, deswegen haben wir auch in Schwarz-Weiß gedreht. Wir haben das Drehbuch in Madrid geschrieben und erlebten diese ganze riesige Protestbewegung der 'Indignados'. Wir haben an den Demonstrationen und Veranstaltungen teilgenommen und das hat uns wieder an die Proteste in Mexiko erinnert. Auch wenn die Themen unterschiedlich sind, das 'Happening' an sich, die Rituale des Protests, die gruppendynamischen Rituale sind sehr ähnlich. Einige radikalisieren sich, andere folgen wie die Schafe irgendwelchen Führern, das wiederholt sich immer wieder."
Seine Protagonisten sind Rebellen gegen die Rebellion, zwei Studenten, die den Studentenstreik bestreiken. Sie wollen nicht teilnehmen am großen kollektiven Aufbruch und beginnen stattdessen eine Irrfahrt um im großen Moloch der mexikanischen Hauptstadt einen vergessenen sterbenskranken Musiker zu finden.
"Ich habe immer die Leute bewundert, die sich für die kleinen aussichtslosen Dinge einsetzen. Natürlich bewundere ich auch die Kämpfer für die großen Fragen dieser Welt, vielleicht beneide ich sie, aber ich habe mich nie mit Ihnen identifiziert. Wirklich fasziniert haben mich immer die Kämpfer, für das Nebensächliche, scheinbar Unbedeutende."
Mit sehr unterschiedlicher künstlerischer Gestaltung erzählen die drei Filme vom Einzelnen innerhalb der Revolte oder danach. Sie erzählen vom Unbehagen innerhalb des kollektiven Aufbruchs, von der Katerstimmung nach der Euphorie. Das verbindet die drei Geschichten aus so unterschiedlichen Kulturkreisen und Gesellschaftssystemen.