Berlinale-Wettbewerb "Berlin Alexanderplatz" und "DAU. Natasha"

Große Liebe und großer Verrat

09:47 Minuten
Der Schauspieler Welket Bungué steht im Film "Berlin Alexanderplatz" vor einer Säule, im Hintergrund der Neon-Schriftzug Alexanderplatz.
Welket Bungué als Francis in "Berlin Alexanderplatz" © Frédéric Batier/2019 Sommerhaus/eOne Germany
Patrick Wellinski im Gespräch mit Vladimir Balzer · 26.02.2020
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Kein großes Berlin-Portrait: Berlin Alexanderplatz" überzeuge nicht auf ganzer Länge, meint unser Filmkritiker, füge aber dem Wettbewerb eine interessante Tonlage hinzu. Bei "DAU. Natasha" fehle ihm trotz literweise Wodka der filmische Mehrwert.
Der Franz Biberkopf aus Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" heißt in der filmischen Neuinterpretation Francis und ist ein Geflüchteter aus Guinea-Bissau. Der schlägt sich in Berlin mit Drogenhandel durch. Regisseur Burhan Qurbani zeichne weniger ein großes Berlin-Portrait der Moderne, sagt Filmkritiker Patrick Wellinski, sondern zeigt den Aufstieg eines Geflüchteten in Deutschland zum Drogenboss.
Das sei die Karikatur einer geglückte Integration, so Wellinski: "Die Geflüchteten integrieren sich, aber eben in düsteren, kriminellen Strukturen." Erzählt wird das nicht als sozialrealistischer Krimi, sondern sehr amerikanisch - mit Off Kommentar und einem wuchtigen Soundtrack: "Alles ist groß in diesem Film. Die Sehnsucht ist groß. Die Verzweiflung ist groß, die Liebe ist groß, der Verrat ist groß."

Die gesamte Bandbreite des deutschen Films

Der Film überzeuge nicht auf ganzer Länge, so Wellinski, aber es sei schön, dass es diese Tonlage im deutschen Kino gebe. Damit sei der deutsche Film im Wettbewerb in seiner ganzen Bandbreite vertreten - Christian Petzolds "Undine" als sanfte, spröde Seite und das wuchtige, opernhafte Werk "Berlin Alexanderplatz".
Als Skandalfilm der diesjährigen Berlinale wurde "DAU. Natasha" von Ilya Khrzhanovskiy gehandelt. Es gab Zeitungsberichte, dass dem Regisseur Machtmissbrauch und Manipulation vorgeworfen werden. Die Handlung sei allerdings schnell erzählt, so Wellinski. Die Kellnerin Natascha "verliebt sich in einen französischen Astrophysiker, hat Sex mit ihm und wird daraufhin vom KGB ganz brutal verhört."

Literweise Wodka und brutale Gewalt

Der Film besteht aus 23 Szenen und so richtig viel passiert nicht: "Die Menschen betrinken sich mit literweise Wodka. Sie schreien sich an, übergeben sich und haben pornografischen Sex", berichtet Wellinski. Außerdem gebe es das KGB-Verhör, das "in ganz brutale Gewalt umschlägt."
Der Film ist Teil eines riesigen Projekts über den sowjetischen Physiker Lew Landau, das inzwischen aus 13 Spielfilmen und diversen TV-Serien besteht. Insofern falle es ihm schwer, ein Urteil zu fällen, sagt Filmkritiker Wellinski: "Als eigenständiges Werk kann ich das nicht bewerten, weil da fehlen zwölf Stunden Film drumherum."
Im Prinzip seien filmische Provokationen im Wettbewerb der Berlinale richtig: "Nur nicht langweilen, das ist die wichtigste Regel im Kino." Die Filmgeschichte sei voll von solchen Arbeiten. Aber: "Was ist der Mehrwert, wenn ich den stalinistischen Terror im Maßstab eins zu eins wiedergebe? Wir wissen doch, dass die KGB-Verhörmethoden Folter waren", meint Patrick Wellinski.
(beb)
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