Berlinale-Jurypräsidentin Juliette Binoche

"Als junge Schauspielerin stellte ich zu wenig in Frage"

Juliette Binoche, Jurypräsidentin der 69. Berlinale.
Schauspielerin Juliette Binoche: "Ich fand zwei Nacktszenen zweifelhaft." © Getty Images / Pascal Le Segretain
Von Katja Nicodemus · 07.02.2019
Juliette Binoche war in "Der englische Patient" und "Chocolat" zu sehen − und sie ist Jury-Präsidentin der diesjährigen Berlinale. Wir haben mit der französischen Schauspielerin über fragwürdige Filmszenen und Rollenbilder gesprochen.
"Im allgemeinen sprechen Regisseure und Schauspieler gar nicht so viel miteinander. Jedenfalls ist das nicht maßgeblich für die Qualität des Films, der dabei herauskommt. Jeder arbeitet für sich, und man kommt zusammen. Ich würde es die Synergie zweier persönlicher Welten nennen."
Das wäre schon mal eine Mär, die Juliette Binoche an diesem Pariser Sonntagnachmittag verwirft. Das Reden, die Anleitung durch ihre Regisseure und Regisseurinnen sei gar nicht so wichtig für sie. Eher gehe es um gegenseitiges Vertrauen und gleiche Wellenlängen am Set. Bei ihrer ersten größeren Rolle, 1985, in Jean-Luc Godards moderner Mariengeschichte "Maria und Josef" habe es diese Wechselseitigkeit allerdings noch nicht gegeben. Mit einer Mischung aus Respekt und Angst habe sie als 20 Jahre alte Jungschauspielerin auf den "großen" Godard geblickt. Ihre roten Wangen lassen sie in dem Film noch jünger aussehen. Ein anrührendes Make-up – könnte man meinen.

"Ich hatte Angst, dass er mich anschreit"

"Aber nein! Godard wollte nicht, dass wir Make-up benutzen, um keinen Preis. Und ich habe ihn beim Wort genommen. Nichts hätte ich lieber getan, als meine Röte zu überschminken. Aber ich hatte Angst, dass er mich anschreit. Er war schon sehr ehrfurchtgebietend für eine junge Schauspielerin, wie ich es war. Und die roten Wangen waren schon immer mein Problem, auch in der Schule wollte ich mich deswegen verstecken."


Wir befinden uns in der hellen Wohnküche des Hinterhauses, das Binoche im 15. Pariser Arrondissement bewohnt. Drumherum ein kleiner Garten. Die vertraute Atmosphäre mag dazu beitragen, dass die Schauspielerin völlig entspannt wirkt und Fragen ohne zu zögern mit großer Offenheit beantwortet. Etwa die nach Übergriffen, Grenzsituationen, die sie im Laufe ihrer mehr als 30-jährigen Karriere erlebt hat.
"Als junge Schauspielerin stellte ich vielleicht zu wenig in Frage. Ich fand zwei Nacktszenen zweifelhaft, zwei Szenen, die mir bis heute sehr klar in Erinnerung sind. Aber ich war neu in diesem Beruf und kannte die Regeln nicht. Ich meuterte selbst dann nicht, wenn ich etwas dubios fand – oder demütigend. Vielleicht bezog ich das Gefühl der Demütigung auf meine eigene Schamhaftigkeit."
Juliette Binoche in "Drei Farben: Blau" von 1992
In dem Film "Drei Farben: Blau" aus dem Jahr 1992 spielt Juliette Binoche die Hauptrolle. © picture alliance/dpa/Foto: United Archives/IFTN

Schauspielerin, Tänzerin und Malerin

Juliette Binoche ist Schauspielerin, Tänzerin, Malerin. Von fast all ihren Regisseuren und Regisseurinnen hat sie Porträts gemalt. Michael Haneke mit durchdringenden Augen. Godard: introvertiert und unscharf. Nur einmal habe sich ein Filmemacher beschwert. Der israelische Regisseur Amos Gitai fand sich unvorteilhaft dargestellt und bat Binoche, ein neues Bild von ihm anzufertigen.
"Ich sagte zu Gitai, dass ich gerne ein neues Porträt von ihm malen würde, wenn er im Gegenzug eine Szene aus seinem Film herausschneiden würde. Eine Szene, in der ich einen Hügel hinaufgehe, und in der mein Hintern meines Erachtens unvorteilhaft groß aussieht. Er weigerte sich. Also habe ich mich auch geweigert, ein neues Bild zu malen."


Immer wieder hat Binoche auf der Leinwand Kämpferinnen gespielt, so wie die Heldin von Kieslowskis Film "Drei Farben: Blau", die Mann und Kind verliert und sich neu erfinden muss. Und immer wieder spielte sie Frauen, die bourgeoise Ordnungen sprengen: Etwa die rätselhafte Verführerin, der in Louis Malles "Verhängnis" ein Vater und sein Sohn verfallen. Frauen, die der Welt die Stirn bieten müssen – da setze sich wohl eine Familienlinie fort, sagt Binoche.
Juliette Binoche in dem Film "Chocolat" aus dem Jahr 2000.
Juliette Binoche in dem Film "Chocolat" aus dem Jahr 2000. © picture alliance/dpa/Foto: United Archives/IFTN

"Meine Großmutter verlor in den Kriegswirren ihre Heimat"

"Meine Großmutter verlor in den Kriegswirren ihre polnischen Heimat, sie floh nach Frankreich, wurde dort von ihrem Ehemann verlassen, zog alleine zwei Kinder groß, arbeitete als Näherin, Köchin. Das Überleben und das Überleben als Frau – das ist die Erbschaft, die mir meine Familie vermacht hat."
Auch in dem Welterfolg "Chocolat" von Lasse Hallström spielt Binoche eine Figur mit natürlicher Aufmüpfigkeit – Vianne Rocher, die ein kleines Städtchen mit wilden Schokoladenkreationen aus seiner spießigen Erstarrung löst. An sich selbst als Rebellin arbeite sie aber noch, sagt Binoche. Zumindest ist sie sich auch als Jury-Präsidentin der Berlinale bewusst, dass ihr öffentliches Auftreten Rollenbilder formt oder – noch – bestärkt.
"Wenn ich ein Korsett und hohe Schuhe auf dem roten Teppich anziehe, läuten bei mir zumindest die Alarmglocken. Ich weiß, dass dieser Kult der Schönheit auch eine Reduktion der Frau bedeutet. Aber ich muss in meiner Zeit leben, um akzeptiert zu werden. Könnte ich mich von alldem befreien? Vielleicht, aber ich habe den Schritt noch nicht vollzogen."
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