Berlinale-Gewinnerin Adina Pintilie

"Eine Einladung, sich selber auf die Suche zu machen"

Die rumänische Regisseurin Adina Pintilie hat mit ihrem Debütfilm "Touch Me Not" den Goldenen Bären der Berlinale 2018 gewonnen.
Die rumänische Regisseurin Adina Pintilie hat mit ihrem Debütfilm "Touch Me Not" den Goldenen Bären der Berlinale 2018 gewonnen. © Ekaterina Chesnokova / Sputnik / dpa
24.02.2018
Ihr Film habe als "sehr persönliches Projekt" begonnen, um "Intimität neu zu lernen", sagt die rumänische Regisseurin Adina Pintilie, die mit ihrem Debütfilm "Touch Me Not" überraschend den Goldenen Bären gewonnen hat. Mit Gleichgesinnten habe sie sich für die Doku-Fiktion auf die Suche begeben.
Susanne Burg: Haben Sie sich nach dem First Feature Award noch Hoffnungen gemacht, den Goldenen Bären zu gewinnen? Was dachten Sie?
Adina Pintilie: Wir waren so überrascht. Wir müssen das alles noch verarbeiten, aber ich glaube, es ergibt sehr viel Sinn, dass dieser Film einen solch wichtigen Preis bekommt. Es ist eine solche Ermutigung. Und der Film kommt zur rechten Zeit, denn er bietet eine Einladung zum Dialog und zur Diskussion.
Er richtet sich direkt an den Zuschauer, er will, dass Sie Ihre Vorstellungen von Intimität hinterfragen, von Schönheit und wie Sie sich anderen gegenüber verhalten. Und er will, dass Sie das andere und die Vielfalt umarmen, nicht, dass man etwas als falsch ablehnt, nur weil es anders ist.
Ich glaube deswegen, dass der Film zur richtigen Zeit kommt, weil die Angst vor dem anderen wächst. Und rechte und rechtsextremistische Kräfte werden stärker. Es gibt da überall diese Aggressionen auf der ganzen Welt. Ich bin so dankbar über meine Mitstreiter, die so große Risiken eingegangen sind, die so tief in ihre Seele eingetaucht sind für die Zuschauer und die Kamera.

"Das Projekt begann aus einer Art Neugier heraus"

Burg: Die Grenzen zwischen Dokumentarischem und Fiktivem sind fließend. Warum wollten Sie mit diesen Grenzen spielen?
Pintilie: Der Film hat als ein sehr persönliches Projekt begonnen. Mit 20 dachte ich, ich wüsste alles und jedes, wie Intimität funktioniert, was Schönheit ist, wie Beziehungen aussehen sollen. Und das reale Leben, die letzten 20 Jahre haben alle diese Vorstellungen ins Wanken gebracht.
Das heißt, ich habe das Projekt begann aus einer Art Neugier heraus, all das, was ich vorher gelernt hatte, zu überdenken und Intimität noch einmal neu zu lernen, all die unterschiedlichen Möglichkeiten, wie man Intimität erleben kann.

Eine Mischung der Genres

Ich habe dann eine Gruppe von Menschen getroffen, die ähnlich ticken und sich für die gleiche Suche interessierten. Und wir sind dann gemeinsam auf eine verrückte Reise gegangen. Das hat gedauert.
Das Projekt war die ganze Zeit eine Mischung der Genres. Die Fiktion diente als Sicherheitsnetz, das uns erlaubte, mit echtem Material zu arbeiten. Bei jeder Person im Film gibt es eine Mischung aus persönlichen Geschichten und fiktiven Elementen. Es gibt diese Aussage: Lügen um die Wahrheit zu erzählen. So ist es auch bei der Kunst. Wir arbeiten in einer fiktiven Struktur, um authentische Begegnungen zu ermöglichen.
"Touch Me Not"-Regisseurin Adina Pintilie (l-r) gemeinsam mit Schauspieler Christian Bayerlein und Schauspielerin Grit Uhlemann.
"Touch Me Not"-Regisseurin Adina Pintilie (l-r) gemeinsam mit Schauspieler Christian Bayerlein und Schauspielerin Grit Uhlemann.© Maurizio Gambarini / dpa
Burg: Ihre Protagonisten im Film reden sehr offen über ihre sexuellen Präferenzen, über ihre Wünsche und Ängste. Aber Sie zeigen sie dann auch in sehr intimen Situationen beim Sex. Wieviel wollten Sie zeigen und wo lagen da die Grenzen?
Pintilie: Die Grenzen entstanden in gegenseitigem Einverständnis. Im Film geht es sehr stark um Grenzen. Um den Raum, der entsteht, wenn sich Menschen treffen. Es geht darum, diese ersten Schritte des Kennenlernens miteinander auszuhandeln. Und auch der Film handelt dieses Zusammentreffen mit dem Zuschauer aus. Sie haben die Freiheit, nein zu sagen oder zu gehen. Und auch in einen Dialog einzutreten.

Den Körper erkunden und Spaß haben

Der Film ist eine Einladung, sich selber auf die Suche zu machen, wann etwas unbequem wird und wann sich eine Grenze auftut. Und warum es schwierig ist für Sie zu akzeptieren, dass Menschen ihre Sexualität erkunden. Warum Menschen mit Behinderung auch sexuelle Wesen sind.
Christian, der körperlich behindert, hat uns von Anfang an gesagt: Ich habe keine Angst vor dem Film, dass wir angegriffen werden. Die Leute, die uns angreifen werden, betrachten uns als schwache und asexuelle Wesen. Aber wir haben alle die gleichen Bedürfnisse. Und ich habe das Recht, ein sexuelles Wesen zu sein und meinen Körper zu erkunden und Spaß zu haben. Und für mich ist es wichtig, mit der Welt darüber in Kontakt zu treten und zu kommunizieren. Sie können diese Einladung also annehmen oder nicht. Es basiert genauso auf gegenseitigem Einverständnis.
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