Berlinale 2017

Filme reagieren auf das Scheitern von Utopien

Der Direktor der Internationalen Filmfestspiele Berlin, Dieter Kosslick, zeigt vor Beginn einer Pressekonferenz zum Programm der 67. Berlinale einen Teddy und einen Schuh aus dem Merchandising-Angebot.
Der Direktor der Internationalen Filmfestspiele Berlin, Dieter Kosslick, zeigt vor Beginn einer Pressekonferenz zum Programm der 67. Berlinale einen Teddy und einen Schuh aus dem Merchandising-Angebot. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Von Patrick Wellinski · 31.01.2017
Eine entschlossene Trotzhaltung verbindet die Wettbewerbsfilme der diesjährigen Berlinale. Und auch Festivalleiter Dieter Kosslick gibt sich bei der Präsentation des Programms gewohnt politisch. Nur über den Donald Trump will er nicht reden - noch nicht.
"Du, lass dich nicht verbittern in dieser bitteren Zeit /
Du, lass dich nicht erschrecken in dieser Schreckenszeit /
Du, lass dich nicht verbrauchen, gebrauche deine Zeit /
Und wir brauchen gerade deine Heiterkeit …"
Diese Zeilen aus dem Lied "Ermutigung" von Wolf Biermann wählte Festivalleiter Dieter Kosslick, um die Grundstimmung vieler Wettbewerbsfilme der 67. Berlinale zusammenzufassen. Heiterer Fatalismus beherrsche die Geschichten der 18 Filme, die dieses Jahr um den Goldenen Bären konkurrieren. Es sei eine Reaktion auf das Scheitern der großen Utopien und Heilsversprechen der letzten Jahrzehnte. Und diese Trotzhaltung präge das Programm, so Kosslick:
"Es ist trotz allen Unmuts, den es in der Welt gibt, ein versöhnliches Programm auch ein lebensbejahendes Programm, auch weil die Künstler die alltägliche Apokalypse beschreiben - aber sie beschreiben sie nicht ohne Ausweg."

Der Blick geht in die Vergangenheit

Der Blick vieler Filmemacher geht in die Vergangenheit, wo sie nach den Ursachen der heutigen Missstände suchen. Wie in dem britisch-englischen Film "Viceroy's House", der von der Kolonialherrschaft der Briten in Indien erzählt und den geopolitischen Folgen der Teilung des Subkontinents.
Die hässliche Seite des Kolonialismus auf das Individuum beschäftigt auch Filmemacher aus Portugal und Brasilien.
Ein weiterer Schwerpunkt seien Künstlerbiografien. So gibt es Filme über Joseph Beuys und Alberto Giacometti zu sehen. Und auch der Eröffnungsfilm "Django" über den Jazz-Gitarristen Django Reinhardt nehme dieses Thema auf.
"Das ist auch eine wunderbare Geschichte über einen Mann, der eine eigenen Welt hatte, Mission oder Utopie, in der Großartigkeit seiner Musik uns vielleicht auch das vergessen lässt, unter welchen Umständen sie dann ab 1942 entstanden ist."

"So wird aus einem Dokumentarfilm ein Horrorfilm"

75 deutsche Filme zeigt die Berlinale insgesamt. Drei davon im Wettbewerb: "Helle Nächte" von Thomas Arslan, "Beuys" von Andres Veiel und Volker Schlöndorffs Max-Frisch-Verfilmung "Return to Montauk".
Formal dominiert die Berlinale-Leinwände dieses Jahr das dokumentarische Kino mit all seinen Facetten. Vielleicht ja auch ein Grund, wieso die Berlinale erstmals einen mit 50.000 Euro dotierten Dokumentarfilmpreis verleiht. Aber dieser dokumentarische Blick kann noch mehr, er spürt unserer Realität hinterher und entwirft Bilder unserer Gegenwart, die sich nicht in Nachrichtenbilder pressen lassen, sagte Christoph Terhechte, Leiter der Sektion Forum:
"Ganz viele Dokumentarfilme lassen sich dieses Jahr nicht einordnen. Zum Beispiel "El Mar, La Mar", der in der Wüste zwischen Mexiko und der USA spielt, aber eben diese Mauer, die da geplant ist, diese Grenze, nicht mit Talking Heads journalistisch erzählt, sondern atmosphärisch. Und so wird aus einem Dokumentarfilm ein Horrorfilm."
Neben inhaltlichen Fragen musste sich die Berlinale-Leitung dieses Mal auch zum Sicherheitskonzept des Großereignisses äußern. Das Festival, dessen Gesamtkosten sich auf 24 bis 25 Millionen Euro belaufen, habe bereits letztes Jahr, nach den Anschlägen von Paris, sein Konzept verbessert, hieß es. Das gleiche sei nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember geschehen, so Kosslick:
"Wir wollen ein normales Filmfestival machen und wir sind uns dieser Verantwortung bewusst, wenn wir da an zehn Tagen an unterschiedlichen Plätzen sind. Aber wir haben das getan, was man in solchen Situationen tun kann."

Kosslick will nicht über Trump reden - bis zur Amtsenthebung

Womit man auch schon bei einem gewissen US-Präsidenten wäre, dessen Politik bei Festival-Direktor Dieter Kosslick hörbar für Unmut sorgte:
"Wir müssen über diesen Herren bis zum nächsten Impeachment wirklich nicht reden."
In solchen kleinen Aussagen spiegelt sich auch der Widerstandsgeist eines ganzen Festivals, das sich seit jeher als hoch politisch begreift. Ob die Spielfilme das alles auch auf der großen Leinwand einlösen werden, wird ab kommender Woche zu beweisen sein.
Die Haltung des Festivalleiters - und damit auch der ganzen Berlinale zum aktuellen Weltgeschehen und den darin herrschenden Ideologien - wurde aber heute bereits sehr deutlich formuliert:
"Sie haben die Reichen reicher gemacht, die Armen ärmer gemacht. Und wir machen die Berlinale für die zweite Zielgruppe und die erste kann dann, wenn sie ein Einreisevisum haben, einreisen."
(mcz)
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