Berlin

Wo geht's hier lang?

Von Thilo Schmidt · 30.01.2014
Die Straßennamen der Hauptstadt erzählen Geschichte. Aber welche? Über Jahrzehnte folgte dem Herrscherwechsel auch ein Straßennamenwechsel. Nicht immer, aber mehr als nur da und dort.
Die jeweils Regierenden wiesen so sichtbar auf ihr Geschichts- und Politikverständnis hin. Unbequeme oder blutbefleckte Persönlichkeiten verschwanden von den Straßenschildern (vor allem nach 1945 und 1990). So zeigen also Straßennamen heutzutage ein lückenhaftes Gedächtnis der Stadt auf. Müssen Straßenschilder a prori die Geschichte entkernen?
U-Bahnhof Samariterstraße, die Treppen hoch, an der Gedenktafel für den 1992 hier von Neonazis ermordeten Silvio Meier vorbei, zur gleichnamigen Straße. Silvio Meier, DDR-Dissident und nach der Wende Hausbesetzer, wurde postum zur Symbolfigur des linksalternativen Kiezes in Berlin-Friedrichshain. Die Umbenennung der Gabelsbergerstraße in Silvio-Meier-Straße ist eine der jüngsten in der Berliner Geschichte. Seit April letzten Jahres ist er nun, als ein Teil der Berliner Geschichte, im Straßenbild verewigt.
Wie aufgeschlagene Geschichtsbücher
"Also es hat mal jemanden gegeben, der hat gesagt: Stadtpläne mit den Straßennamen sind aufgeschlagene Geschichtsbücher."
… sagt Jürgen Karwelat. Und er sagt, dass ein Straßenname nicht nur eine Ordnungsfunktion hat. Karwelat ist Vorstandsmitglied der Berliner Geschichtswerkstatt, und dort beschäftigt er sich seit Jahrzehnten mit den Straßen Berlins und ihren Namen.
"Also man kann an Straßennamen natürlich ganz viel über die Geschichte einer Stadt erkennen. Also die Kaiserzeit, zum Beispiel, ist gut erkennbar an vielen Stadtteilen in Berlin, mit Namen von Kaisern und Königen und Prinzessinnen und sonst nur was, und zu späteren Zeitpunkten kann man natürlich auch immer sagen: Wenn neue Straßen gekommen sind, haben sich die Entscheider was dabei gedacht, und das hatte offensichtlich häufig Bezug zur Geschichte, die sich jeweils da ereignet hat oder auf was man Bezug nehmen wollte. Also Straßennamen vermitteln ganz viel Geschichte."
Berlin, Ecke Afrika. Müllerstraße Ecke Kameruner. Der Eingang zum afrikanischen Viertel im Wedding. Dutzende Straßen, und sie heißen Otawistraße, Togostraße, oder Usambarastraße. Und sie sind nicht etwa ein Bekenntnis zur Multikultur, sondern würdigen den deutschen Kolonialismus. Trotzdem leben hier viele Schwarze, und es soll einige geben, die gerade wegen der Straßennamen hier her gezogen sind.
"Im afrikanischen Viertel ist das natürlich ne große, historische Ironie, ja, dass nun gerade so ein Viertel, dass das deutsche Kolonialreich, das ehemalige, verherrlichen sollte .. das in diesem Viertel tatsächlich viele schwarze Menschen leben, ja? Und dass das so ne Art Rekolonisierung ist, des Raums …
Christian Kopp engagiert sich im Verein "Berlin postkolonial", 2007 gegründet von weißen und schwarzen Berlinern, die zumeist aus ehemaligen deutschen Kolonien kommen. Ziel des Vereins ist es, die deutsche und die Berliner Kolonialgeschichte aufzuarbeiten.
Kopp: "Wir vertreten hier seit Vereinsgründung die Meinung, dass die Straßen, die die ehemaligen deutschen Kolonien, oder Orte in den ehemaligen Kolonien vergegenwärtigen sollen, dass die durchaus bleiben sollen, dass hier aber ne kritische Kommentierung stattfinden soll, das ist ne Steilvorlage, weil man im Viertel wunderbar diese Geschichte erzählen kann, die halt ne sehr düstere ist, und dann ist die Frage, aus welcher Perspektive man die erzählt …"
Die Kameruner Straße entlang, Berliner Mietskasernen, Hundedreck, wie überall in Berlin. Noch donnern alle paar Minuten Flugzeuge vom nahegelegenen Flughafen Tegel über das Viertel.
Kameruner Ecke Lüderitzstraße. Drei Straßen im afrikanischen Viertel sind nicht nach Orten benannt, sondern nach Personen. Lüderitz, Nachtigal, Peters.
Kopp: "… und über 50 Jahre fast sind die Straßen benannt worden, sukzessive, und interessanter Weise sind eben nicht nur in der tatsächlichen deutschen Kolonialzeit bis 1918, sondern auch danach dann, in der Weimarer Zeit, in den 20er-Jahren, und dann noch mal in den 30er Jahren, die Benennung der Petersallee, die früher mal ein Teil war der Londoner Straße, die es heute noch gibt, die Nazis wollten, das kann man auch sich ausrechnen, nicht gerne eine Londoner Straße in ihrem Kolonialviertel haben, und deshalb die Petersallee, und Peters war ja nun so ein besonderer, von den Nazis besonders idealisierte Figur der Kolonialgeschichte."
Carl Peters, 1856 bis 1918. Begründer der Kolonie Deutsch-Ostafrika. Stark ausgeprägte rassistische Grundhaltung. Wegen seiner Massaker, unter anderem im heutigen Tansania, "Hänge-Peters" genannt. Unter Afrikanern hieß er "mkono wa damu", "Hand mit Blut".
Kopp: "Nicht umsonst wurde die Straße erst in der Nazi-Zeit benannt, denn vorher, also selbst in der deutschen Kolonialzeit, und dann in der Weimarer Republik, war Peters schon so umstritten, dass man relativ wenige Straßen nach ihm benannt hat, und die Nazis haben die Person Peters extrem idealisiert und glorifiziert. Es gibt sogar Berichte der Verantwortlichen für die Literatur in der NS-Zeit, die sagten, dass Peters eine Art Vorläufer war, oder so viel vorweggenommen hat der Ideen der Nazis, dass er auch deshalb schon geehrt werden sollte und sein Werk publiziert werden sollte und sein Name bekannt gemacht werden sollte."
Umbenennung als Etikettenschwindel
Die Petersallee, vielleicht 200 Meter lang. Eine Hälfte hektische Großstadtstraße, die andere gemächliche Wohnstraße. Die Diskussion um eine Umbenennung endete mit einem Etikettenschwindel.
Kopp: "Und als Anfang der 90er dann Vorschläge kamen, diese Straße umzubenennen, ich glaube, damals stand auch zur Debatte schon 'Nelson-Mandela-Straße'; das wurde abgelehnt, man wollte halt nicht ändern diesen Namen, und dann hat man diesen bauernschlauen Etikettenschwindel vorgenommen und hat jemanden gesucht, der eben auch Peters hieß, und natürlich fand sich da jemand, Professor Doktor Hans Peters - da steht jetzt seitdem ein kleines Schild über der Petersallee, und da steht eben drauf: Benannt nach Professor Doktor Hans Peters, Stadtverordneter, war wohl auch im Widerstand gegen die Nationalsozialisten, und das ist - und das ist bezeichnend - die einzige Straße bisher, die im ganzen Viertel kommentiert ist. Ja? Also mit diesem Schwindel, im Grunde."
Ein kleines Fähnchen unter den Straßenschildern der Petersallee.
Professor Doktor Hans Peters … Stadtverordneter. Achtzehnhundertsechsundneunzig bis Neunzehnhundertsechsundsechzig…
Kopp: "Ja, das ist in mehrfacher Hinsicht ungeeignet, finden wir. Einerseits, und das ist vielleicht noch das wenigste, tut uns jetzt fast schon der Professor Dr. Hans Peters leid, der jetzt immer wieder in Verbindung gebracht wird mit so einem Kolonialviertel, der hat mit Kolonialismus nun nichts zu tun, und viele wissen, dass diese Straße ja eigentlich nach Carl Peters benannt wurde, und jetzt steht er da in Verbindung mit dem. Aber ne zweite Sache ist, und das ist ein Argument, was uns oft ja entgegengebracht wird, dass man uns unterstellt, wir würden Kolonialgeschichte auslöschen wollen, verschwinden lassen wollen - das geschieht ja genau hier. Das so getan wird, als wär das gar keine kolonial-bezogene Straßenbenennung jemals war, das ist tatsächlich, das an den Rand zu drängen und so zu tun, als hätte es diese deutsche Kolonialgeschichte, auch -schuld, niemals gegeben, ja?"
Nur Buchstaben auf Blechtafeln?
Wie geht man um mit dem politischen Erbe, das mehr ist als nur Buchstaben auf Blechtafeln, und das schnell zu einem ideologischen Streitfall werden kann? Auslöschen? Stehenlassen, als Mahnmal? Unkommentiert oder aufklärerisch? Gestritten wurde schon immer über Straßennamen in Berlin. Zumindest, seit es Groß-Berlin gibt und die Stadt 1920 durch den Anschluss von fast 100 andern Städten, Gemeinden und Gütern in etwa ihre heutige Gestalt erhielt. Und plötzlich drei Wilhelmstraßen, sieben Bergstraßen, acht Berliner Straßen und elf Waldstraßen hatte.
Karwelat: "Da ging es schon mal gleich los in der ersten Welle, weil es eine Order gab: Eigentlich sollten die Doppelbenennungen weg, und dann wurde also wohl diskutiert, ob bestimmte Doppelbenennungen, die vielen Hauptstraßen, die vielen Berliner Straßen, ob die wegkommen sollen, und die sind aber erst mal alle geblieben, also da war ne gewisse Statik."
Die brachialste Welle von Umbenennungen erlebten Berlins Straßen durch die Nationalsozialisten. Jürgen Karwelat von der Berliner Geschichtswerkstatt:
"Die Nationalsozialisten haben 1933 die Macht ergriffen und haben dann auch der Stadt ihren ideologischen Stempel aufgedrückt, da wurde nicht groß diskutiert, das ist schlicht gemacht worden, die Diktatur war da ziemlich rigoros. Und die nächste Welle der Diskussion war dann eben nach Ende der Nazizeit, 1945, wir machen die Umbenennungen der Nazis rückgängig, und machen auch was Neues. Da wurde dann lange, lange diskutiert, im Gesamtparlament von Berlin, und es war ne unglaublich lange Liste erstellt worden, ich glaube über 1500 Straßennamen waren in die Diskussion gekommen, da gab es so ne Magistratsvorlage, die aber dann so nicht umgesetzt worden ist. Es blieb dann bei vielleicht 100, 120 Umbenennungen beziehungsweise Rückbenennungen."
Doch wann überhaupt umbenennen? Und warum? Wann ist ein Straßenname ein historisches Dokument und wann ein Relikt, das nicht mehr als Vorbild taugt? Im Focus dieser Debatte stehen notabene nicht nur Straßenbenennungen, die zwischen 1933 und 1945 erfolgt sind.
Karwelat: "Ja, da sieht man jetzt natürlich ne ganze Reihe von Personen, die bestimmt nicht demokratisch gewesen sind, auf den Straßennamen, die aber schon sehr, sehr lange tot sind, denen man wahrscheinlich kaum vorwerfen kann, du hast dich damals, als du gelebt hast, anders verhalten können, als du dich verhalten hast. Aber je näher wir an unsere jetzige Zeit herankommen, und die Personen etwas auch mit unserer heutigen Gesellschaft zu tun haben, desto schärfer, denke ich, muss man darüber nachdenken, und desto genauer muss man die Latte anlegen …"
Jürgen Karwelat hat viele Diskussionen um Straßennamen verfolgt, manche gefordert und angeregt. Die Toni-Lessler-Straße in Berlin-Grunewald. Benannt nach einer jüdischen Pädagogin. Einfamilienhäuser, Villen, eine ruhige Wohngegend. Bis 2003 hieß diese Straße Seebergsteig, benannt nach dem Theologen Reinhold Seeberg.
Karwelat: "Es war so ein, ich würde mal sagen, intellektueller Antisemit, der so ungefähr gesagt hat: Die Juden sind sehr intelligent, und sie schaden unserem Volk, und das ist deswegen nicht gut, und deswegen müssen wir sie beseitigen. Und die Diskussion um diesen Seeberg war unglaublich heftig. Ich habe noch nie in meinem Leben eine so aufgebrachte Anwohnerschaft von gutbürgerlichen Menschen gesehen, die sich richtig ereifert und gegeifert haben, und ich hatte so das Gefühl, wenn da irgendjemand ne Waffe gehabt hätte, der hätte sie sogar benutzt, um den Stadtrat mindestens zu erschrecken, wenn nicht sogar zu erschießen, bei der Diskussion, es wurden auch antisemitische Äußerungen getan, die von diesen wirklich gutbürgerlich gekleideten Damen und Herren dort vorgetragen wurden, was mich richtig erschreckt hat. Ich hatte richtig Angst: Was passiert mit unserer Gesellschaft, wenn wir mal in eine Krise geraten, wie extrem bürgerliche Menschen reagieren können."
Berlin-Tempelhof. Nahe dem S-Bahnhof zweigt die Manfred-von Richthofen-Straße vom Tempelhofer Damm ab. Rechts der ehemalige Flughafen Tempelhof, links ein Stadtviertel, das eigentlich "Gartenstadt Neutempelhof" heißt, das aber jeder nur als "Fliegerviertel" kennt.
Karwelat: "Ja, Mitte der dreißiger Jahre haben die Nationalsozialisten einen ganzen Stadtteil, direkt neben dem Flughafen Tempelhof nach sogenannten Fliegerhelden im Ersten Weltkrieg benannt, die Hauptstraße da ist die Manfred-von-Richthofen-Straße, aber auch diese Querstraßen dort sind alle nach Fliegern aus dem ersten Weltkrieg benannt, die in dem Geschwader von Manfred von Richthofen waren. Oder auch sonst irgendwie sich hervorgetan haben. Und das ist natürlich ne problematische Benennung, weil das ne ganz symbolhafte Benennung der Nationalsozialisten war, um diese Personen zu ehren …"
Ein Viertel von Einfamilienhäusern, teilweise in Reihe, und das mitten in Berlin, angrenzend an das Kreuzberger Kneipenviertel und den alten Flughafen, der jetzt "Tempelhofer Freiheit" genannt wird. Wer nicht weiß, dass er in Berlin ist, wähnt sich vielleicht in einer niedersächsischen Kleinstadt.
Christoph Götz ist Gartenstadt-Neutempelhofer. Er engagiert sich für sein Viertel. Und er hat sich mit der Geschichte der hier Geehrten beschäftigt:
"Also da sieht man jetzt hier, Manfred-von-Richthofen-Straße Ecke Schulenburgring, und da zeichnen sich auch schon so ein bisschen die Jahresringe ab, die es hier so im Viertel gibt, das Viertel wurde um 1910 angelegt, und in diesem ersten Mietskasernenviertel gibt’s eben die sogenannten Teltower für mich, da sind der Schulenburgring, die Achenbachpromenade, und das sind also Straßen, die aufgrund dessen benannt wurden, dass hier früher der Kreis Teltow war, unmittelbar an der Stadtgrenze zu Berlin, und die Teltower sich hier so ein bisschen ein Denkmal setzen wollten und ihre Leute hier an die Stadtgrenze zu Berlin gesetzt haben, namensmäßig, man merkte dann, das reicht alles nicht soweit, weil dann die Prominenz dort wohl begrenzt war, und hat dann auf die Größen des Deutschen Reiches, den Kaiser, den Kanzler, wir haben auch einen Kanzlerweg hier, man hat die Adelsgeschlechter, die Zähringer, die Hohenzollern, wir haben die Länder, den Badener Ring, den Bayernring, und solche Dinge."
Zwischen Gedenken und Verehrung
Sein Verhältnis zu den Straßennamen hat er überdacht. Sein anfängliches Unverständnis wich einer Beschäftigung mit den Namenspatronen, die …
Götz: "… ja, einfach auch als Helden angesehen wurden in der Generation, und für diesen ganzen furchtbaren Krieg ein bisschen stellvertretend stehen … muss man vielleicht ein bisschen in diesem Zeitkontext Erster Weltkrieg und die Erinnerung auch danach, und die Verarbeitung dieses Traumas, Erster Weltkrieg, durch die Familien - in diesem Kontext denke ich mal, muss man das sehen, und das die natürlich auch im Nachgang ein bisschen stellvertretend stehen."
Die Umbenennung der nach den Fliegerhelden benannten Straßen war nach dem Zweiten Weltkrieg geplant, ging aber in den Wirren des Kalten Krieges unter. Christoph Götz wünscht sich eine Kommentierung der Straßennamen, die über die jetzigen - formalen - Zusätze unter den Straßenschildern hinausgeht. Und keine Umbenennung.
Götz: "Heute würde ich denken, der Zeitpunkt ist einfach nicht mehr der Richtige, wir haben ne große zeitliche Distanz dazu, man kann darüber aufklären und man kann darüber ein kritisches Geschichtsbewusstsein entwickeln, indem man sich einfach darüber Gedanken macht. Ich fänd’s ganz gut, wenn man das erläutern würde, weils ja auch eine zusätzliche Dimension ist, dieser ganzen Benennungsgeschichte, und eigentlich auch sehr hilfreich ist, um das richtig zu verstehen. Denn zunächst versteht man es eigentlich erst mal so ein bisschen falsch. Wichtig ist natürlich auch, dass die Idee eigentlich älter ist als der Nationalsozialismus, dass es eigentlich eine Idee aus den zwanziger Jahren ist, und dass es im Nationalsozialismus auch einen Missbrauch dieses Themas gab."
Eine Straße im Fliegerviertel wurde jedoch erst nach dem Krieg benannt: 1957. Zudem ehrt sie jemanden, der nicht nur Kampfflieger im Ersten Weltkrieg, sondern auch Generaloberst unter den Nationalsozialisten war: Die Udetzeile.
Götz: "Ja, und mit diesem Ernst Udet hat man sich ja über die Verfilmung von "Des Teufels General", mit Curd Jürgens, Mitte der 50er Jahre, stark auseinandergesetzt, und auch da war es ja wieder so, dass die Familien sich auch wiederum sehr stark mit dieser Figur identifizierten. Also die Verluste in den Familien, die ganzen jungen Männer, die im Krieg geblieben waren, und so weiter, und wenn man eben diesen Teufels General sich anschaut, dann versteht man eben auch ganz schnell, was gemeint ist …"
Ernst Udet beging 1941 Selbstmord, nachdem die Luftkriegsflotte in eine erhebliche Krise geraten war. Udet, ein Mythos des Deutschen, der im Dritten Reich doch nur tat, was er tun musste?
Götz: "Ich hatte da mal eine Initiative gestartet, wenigstens die Udetzeile umzubenennen, habe aber harsche Kritik bekommen, und dann auch gedacht: Ja, es ist tatsächlich schwierig heute, unsere heutige Sicht auf die damalige Zeit anzuwenden, und da so drüberzumähen, weltanschaulich drüber zu gehen. Das wird der Sache nicht gerecht. Also schwierig. Ich finde es tatsächlich auch schwierig, aber kann es irgendwie auch verstehen."
Christoph Götz kann sich gut vorstellen, dass am Eingang zum Fliegerviertel, in das man meistens vom U-Bahnhof Platz der Luftbrücke oder vom Bahnhof Tempelhof kommt, kritisch über die Straßennamen informiert wird, damit man diskutiert. Als Kommunalpolitiker weiß er aber auch, dass man mit Namensdiskussionen nicht punkten kann bei der Bevölkerung.
Götz: "Das Fliegerviertel ist einfach nicht totzukriegen, als Bezeichnung, insbesondere im Immobilienbereich, wenn die Häuser verkauft werden, schreiben die Leute immer furchtbar gerne Fliegerviertel, ich kann’s eigentlich nicht so richtig verstehen, es scheint aber irgendwie ne Art Wertigkeit zu symbolisieren, und eigentlich heißt das hier Gartenstadt Neutempelhof, aber es wird furchtbar gerne Fliegerviertel gesagt, es ist in Berlin irgendwie so drin."
Spiegel der Stadtgeschichte
Berlins Straßen, Spiegel der Stadtgeschichte, der deutschen Geschichte, der Weltgeschichte. Deren Namen, mehr als nur Buchstaben auf Blechschildern.
Berlin debattiert aber nicht nur, wem Ehrungen entzogen werden sollen, sondern auch, wem sie zuteilwerden sollen. 2008 wurde ein Teil der Kochstraße im Zeitungsviertel in Kreuzberg in "Rudi-Dutschke-Straße" umbenannt. Die Initiative startete die Tageszeitung "taz", deren Redaktionssitz in dieser Straße liegt. Anwohner, darunter die Axel-Springer-AG, klagten dagegen und die örtliche CDU sammelte Unterschriften für einen Bürgerentscheid. In diesem sprach sich die Mehrheit der Einwohner des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg für Rudi-Dutschke aus.
Nun kreuzt die Axel-Springer-Straße die Rudi-Dutschke-Straße. Drastischer kann man Geschichte kaum erzählen. Und es ist etwas in Bewegung in den Straßen. Geschichte wird geschrieben, aber sie ist nicht statisch. Neue Geschichte sucht ihren Platz. Auch auf den Straßenschildern.
Karwelat: "Ich sag mal nach 1945 hat man besonders in Ostberlin darauf geachtet, dass auch Schauspieler und Schriftsteller sich im Stadtbild gefunden haben, was im Westen nicht so intensiv gemacht worden ist, und was so die letzten 20 Jahre betrifft, ist eben bemerkenswert, dass sehr viele Straßen nach Frauen benannt worden sind, weil in einzelnen Bezirksverordnetenversammlungen beschlossen worden ist, vorwiegend Frauennamen zu nehmen, wenn es um die Namensgebung einer Straße geht, und eine Person benannt ist."
Die letzte große Umbenennungswelle erfasste den Ostteil der Stadt. Nach der Wende wich Otto-Grotewohl Kaiser Wilhelm, Georgi Dimitroff der Stadt Danzig und Hans Beimler musste Otto Braun Platz machen.
Karwelat: "Was mich geschmerzt hat war ne Reihe von Umbenennungen, bei denen die Bezirke nicht wollten, und dann die Senatsverwaltung Mitte der 90er Jahre das Verfahren an sich gezogen hat, und selber entschieden hat, und so zum Beispiel die Clara Zetkin-Straße in Berlin-Mitte rückbenannt wurde in Dorotheenstraße, was ich für einen Fehler halte, also ich finde, es hätte dieser Stadt auch gut angestanden, dass auch diese Straße bis zum heutigen Tage Clara-Zetkin-Straße heißt."
Angeblich ging die Umbenennung der Clara-Zetkin-Straße auf eine Weisung des Bundeskanzleramtes zurück, weil Helmut Kohl um keinen Preis wollte, dass Ministerien und Abgeordnete den Namen der Frauenrechtlerin Clara Zetkin - erst Mitglied der SPD, später der KPD - in ihrer Adresse tragen.
Doch Berlin wäre nicht Berlin, wenn es das einfach so hinnähme: Längst gibt es Forderungen der Grünen, die Straße wieder nach Clara Zetkin rückzubenennen.