Berlin versus Bund - Showdown in Karlsruhe

Von Harald Prokosch |
Kluge Sätze über Geld gibt es viele. Zum Beispiel den des römischen Philosophen Seneca, der schon vor 2000 Jahren wusste: Gefolgschaft, mit Geld erkauft, wird vom Geld zerstört. Die höchste Form von loyalem Zusammenhalt genießt folglich, wer dafür weder Zuwendungen geben muss noch braucht. Eine Form der Unabhängigkeit, die sich das Land Berlin leider nicht leisten kann.
Kluge Sätze über Geld gibt es viele. Zum Beispiel den des römischen Philosophen Seneca, der schon vor 2000 Jahren wusste: Gefolgschaft, mit Geld erkauft, wird vom Geld zerstört.

Die höchste Form von loyalem Zusammenhalt genießt folglich, wer dafür weder Zuwendungen geben muss noch braucht. Eine Form der Unabhängigkeit, die sich das Land Berlin leider nicht leisten kann. Im Gegenteil: Die finanziell schwer gebeutelte Hauptstadt zerrt den Bund sogar vor das Verfassungsgericht, um die Loyalität einzuklagen, von der Berlin der Ansicht ist, sie stehe ihr auch zu. Berlin muss es in seiner Lage egal sein, ob man es mag oder nicht. Das Land ist mehr als Pleite, die Kassen leer. Und wenn die Situation nicht abgewendet wird – ja, was passiert dann eigentlich in drei, vier Jahren?

Der Vorsitzende Richter Winfried Hassemer hat sich zum Verhandlungsauftakt als Freund ausdrucksstarker Bilder geoutet. Mit Blick auf die Haushaltslage der verschiedenen Bundesländer meinte Hassemer, es gehe zu wie auf einem Hühnerhof. Zuerst gebe es ein paar arme Hühnchen, denen man helfen müsse. Inzwischen aber habe sich offenbar die Vogelgrippe ausgebreitet. Soll heißen: Alle sind mit der finanziellen Schwindsucht infiziert.

Streng genommen müsste das im Bild des Verfassungsrichters eigentlich mit einer dramatischen Keulung enden – also der vorbeugenden Tötung, um die Ausbreitung einer Seuche zu verhindern.
Soweit wird Hassemer natürlich nicht gehen wollen, denn dann gäbe es das eine oder andere Bundesland schlicht nicht mehr. Der Argumentation Berlins würden sich vermutlich alle Ost-Länder anschließen und eine vergleichbare Notlage für sich reklamieren.

Bereits 1992 haben Bremen und das Saarland ja in Karlsruhe schon einmal Milliardenhilfen des Bundes für sich erstritten. Beide stehen inzwischen wieder in den Startlöchern, um eventuell mit einer weiteren Klage nachzulegen.

Freilich – in Berlin sehen die Zahlen besonders dramatisch aus. Und wer die Finanzlage der deutschen Hauptstadt auch nur ein bisschen verfolgt, dem kann nicht entgehen, dass aus 50 Milliarden beim Schuldenstand in ziemlich kurzer Zeit 60 geworden sind. Die Verschuldung galoppiert also, und das trotz rigider Sparmaßnahmen, die Berlin in den vergangenen Jahren durchgezogen hat. Finanzsenator Thilo Sarazzin hat sich damit seit seinem Amtsantritt 2001 den Ruf des unerbittlichen Sanierers erworben.
Aus heutiger Sicht muss man Sarazzin fast dankbar sein: Hätte er durch seinen harten Kurs gegen alle Widerstände nicht bewiesen, dass es Berlin Ernst ist mit dem Sparen, wäre der Stand Berlins vor Gericht deutlich schlechter. So aber kann der Kläger immerhin nachweisen, dass er selbst eine Menge Anstrengungen unternommen hat, um das Defizit zu verringern. Insofern hat der Druck der Richter aus Karlsruhe durchaus etwas Positives gehabt.

Doch Berlin hat keinen Grund, sich schon zu freuen. Die Stimmungslage des Gerichts zum Verhandlungsauftakt lässt eine gewisse Kühle spüren. Eine unverschuldete Notlage durch die Folgen der deutschen Teilung und der zu schnelle Wegfall der Subventionen, diese Argumente scheint sich der Zweite Senat so nicht uneingeschränkt zu eigen zu machen. Im Gegenteil: Berlin wird abgewatscht, weil es seine schwierige Finanzsituation teilweise verschlafen hat. Und dem Rest der Republik scheint die Sache sowieso egal. Nationale Sympathiebekundung für Berlin ist vom Rest Deutschlands nicht zu "befürchten".

Interessant an diesem Prozessauftakt ist vor allem der Blick in die Zuhörerreihen des Karlsruher Sitzungssaals. Hochmögende Persönlichkeiten aus allen 16 Bundesländern waren zum Auftakt da, natürlich auch Vertreter des Bundes. Das zeigt: Was hier entschieden wird, geht alle an. Die einen, weil sie auf Unterstützung hoffen. Die anderen, weil sie das um jeden Preis verhindern wollen. Sachsens Ministerpräsident Milbradt fordert einmal mehr sogar den Staatskommissar, der Berlin beim Sparen beaufsichtigen soll.

Interessante Randnotiz: der Appell von Hans-Jürgen Papier, dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Er spielt im Prozess Berlin gegen den Bund als Richter selbst keine Rolle, appellierte aber an die Politik, sich mit der unverzichtbaren Reform der deutschen Finanzverfassung zu beschäftigen. Denn darum geht es wirklich in Karlsruhe: Der Kampf tobt um die knapper gewordenen Gelder in der Republik. Die Abwälzung finanzieller Lasten durch den Bund haben die Möglichkeiten von Ländern für eine selbstverantwortliche Politik erheblich verringert und zugleich auch den politischen Handlungsspielraum der Länder eingeengt. Abgesehen von der politischen Unsitte, wonach finanzschwache Länder sich ihre Zustimmung zu Maßnahmen des Bundes 'abkaufen' lassen und damit die Stellung der Länder insgesamt gegenüber dem Bund schwächen.

Der Ausgang des Verfahrens dürfte in jedem Fall spannend sein, und für Berlin von existenzieller Bedeutung. Unterliegt das Land vor Gericht, ist erstmal völlig unklar, wie sich Berlin aus eigener Kraft helfen soll. Erringt es aber einen Sieg – oder wenigstens einen Teilsieg – dann müssen die Karlsruher Richter entscheiden, wie viel der nackte Berliner dem nackten Bund aus der Tasche ziehen kann.


Harald Prokosch, Jg. 1959, Redakteur und Fernsehmoderator mit Stationen "Stuttgarter Zeitung", Süddeutscher Rundfunk, SAT.1, n-tv, Hauptabteilungsleiter Regionales SFB, jetzt Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Siemens Deutschland, Berlin.