Berlin soll leiser werden - Eberswalde ist es schon
In einem Ballungsraum wie Berlin sind Auswirkungen von Umweltproblemen am deutlichsten spürbar. Lärm und starker Verkehr in städtischen Gebieten führen zu niedriger Lebensqualität und ausbleibenden Investitionen. Berlin will nun gegensteuern. Auch in Eberswalde soll Ruhe einkehren. Doch hier sind die erforderlichen Maßnahmen überschaubarer.
Ein Freitagnachmittag im "Präbeleck" im Berliner Stadtteil Wedding. Wer die verrauchte Eckkneipe besucht, darf nicht lärmempfindlich sein. Denn während man sein Bier trinkt, dröhnt von draußen der Verkehr ins Lokal.
Kein Problem, meint ein Stammgast.
"Früher ist die 3 gefahren, und dann war Endstation, wer ist denn hier noch hingefahren, gar keiner! Na klar, da war nicht so viel Betrieb, da war traurig und öde, und jetzt ist wenigstens ein bisschen Stimmung hier drinnen!"
Anwohner Michael Woydowski erlebt das ganz anders.
"Wenn ich denn nachmittags nach Hause komm, bin ganz schön groggy, durch das frühe Aufstehen, und da ist man dann ganz schön alle, und da will man schlafen, aber das geht nicht, das ist unmöglich, das ist so laut!"
Fluglärm, Bahnlärm, Autolärm: Berlin dröhnt und rattert, kreischt und quietscht. Die meisten stört das. Einige hingegen mögen den Sound der Großstadt.
Schallforscherin Brigitte Schulte-Fortkamp.
"Lärm ist ja Schall, der stört – also kann es gute Störungen geben? – das kann ich so nicht sagen! Ich würde eher sagen, man sollte über Geräusche sprechen, über schöne Geräusche oder weniger schöne Geräusche.
Geräusche haben immer unterschiedliche Implikationen, dem einen gefallen sie, dem anderen gefallen sie nicht, und das macht es noch schwieriger, sich eigentlich mit dem auseinanderzusetzen, was denn Lärm ist."
Über Geräuschempfinden lässt sich offenbar streiten – über die gesundheitlichen Folgen von dauerhafter Lärmbelastung hingegen nicht.
"Lärmbelastungen sind gesundheitsschädlich, entstehen ganz erhebliche Gesundheitskosten, die hier verursacht werden, wenn man über 70, 60 dB belastet ist, dann ist es eine Gesundheitsgefährdung, das heißt also, die Leute werden krank davon, und es ist unsere ordinäre gesetzliche Aufgabe, die Leute auch vor solchen Gefährdungen zu schützen."
Als Chef des Referats für Immissionsschutz in der Senatsverwaltung ist Bernd Lehming auch für die Lärmminderungsplanung in Berlin zuständig.
Grundlage der Planung ist die sogenannte Umgebungslärmrichtlinie der Europäischen Union, die bereits 2002 in Kraft getreten ist und mittlerweile auch im deutschen Recht verankert wurde.
"Die Umgebungslärmrichtlinie schreibt einmal vor, dass Lärmkarten erstellt werden, um die Lärmbelastung zu verifizieren in den Städten, das heißt wo der Lärm herkommt."
Ballungsräume mit mehr als einer viertel Million Einwohner sind von dieser Verpflichtung ebenso betroffen wie Kommunen mit viel befahrenen Straßen und Bahnstrecken oder stark frequentierten Flughäfen. Nach der Lärmkartierung folgt nun die Planung konkreter Maßnahmen.
In Eberswalde, einer kleinen Stadt nordöstlich von Berlin, sind die Planungen schon weit fortgeschritten. Der brandenburgische Ort hat Modellcharakter, weil hier von Anfang an versucht wurde, das städtische Verkehrskonzept und die Luftreinhaltung im Ort mit den Maßnahmen zur Lärmreduzierung abzustimmen.
"Von daher ist eine integrierte Bearbeitung dieser drei Pläne sehr effektiv, denn Maßnahmen, die im Rahmen von Verkehrsentwicklung wichtig sind, sollten gleichzeitig aber auch für die Luftreinhaltung und die Lärmminderung dienen."
Verschiedene Pläne, die aufeinander abgestimmt sind – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Das weiß auch Silke Leuschner, die als Leiterin des Stadtentwicklungsamtes für die Lärmminderungsplanung im Ort zuständig ist.
"Ja, so eine integrierte Arbeitsweise ist eigentlich in aller Munde, alle denken und wissen, dass es richtig ist, das aber durchzusetzen ist oft das Schwierige."
Im Juni wurden die drei Pläne von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen, und damit auch ein ganzes Bündel an möglichen Maßnahmen. Das Hauptziel: Durch die Verbesserung der Infrastruktur für öffentlichen Nahverkehr, für Radfahrer und Fußgänger überflüssige Autofahrten zu vermeiden. So sollen Autofahrer beispielsweise durch mehr Radwege zum Umsteigen bewegt werden. Besonders lauter LKW-Verkehr soll auf Strecken mit wenig betroffenen Anwohnern gebündelt werden. Ansonsten gilt eine einfache Faustregel:
"Je schneller, desto lauter, deshalb spielt die Entschleunigung des Verkehrs, sprich: einen langsameren, ruhigeren, harmonischeren Verkehrsablauf zu erzeugen, eine ganz wesentliche …, eigentlich die Kernmaßnahme im städtischen Verkehrsnetz."
Daher ist im Lärmaktionsplan der Stadt auch die Ausweitung der Tempo-30-Zonen vorgesehen. So soll der Verkehrsfluss gleichmäßiger werden, starkes Beschleunigen und Abbremsen wäre dann nicht mehr nötig. Doch das allein reiche nicht, um das Lärmproblem in den Griff zu kriegen, sagt der von der Stadt beauftragte Planer Ditmar Hunger.
"Wir müssen versuchen, die Menschen nicht nur in die Stadt zu holen, sondern vor allem in die zentralen Bereiche, vor allem in die Bereiche, die erschlossen sind, wo ÖPNV anliegt, wo Infrastruktur da ist, wo städtische Versorgung da ist, weil dort entstehen kurze Wege, und die kurzen Wege, die kann ich zu Fuß machen, oder mit dem Fahrrad, oder ich nutze den städtischen ÖPNV."
Um die Menschen zurück in die Stadt zu holen, muss auch das Zentrum von Eberswalde ein attraktiver und schöner Ort sein. Doch die Mitte der Stadt ist völlig verlärmt.
Rathaus und Marktplatz sind durch die stark befahrene Breite Straße voneinander getrennt – ein einladender Ortskern sieht anders aus.
Die Frage ist nur:
"Was ist den Eberswaldern die gute Stube, nämlich der zentrale Platz, also der Marktbereich wert, dort sozusagen richtig Ruhe, gute Luftqualität, Aufenthaltsqualität zu schaffen, damit Handel, Einzelhandel zu stärken, Kommunikation zu stärken und dafür im Randbereich an einigen Stellen – und das muss man zugeben, das ist so – für bestimmte Einwohner Verschlechterungen herbeizuführen."
Dass es neue Betroffene gibt, mag auch die Stadtverwaltung nicht bestreiten.
Doch mit der hohen Verkehrs- und Lärmbelastung mitten im Zentrum solle nun endlich Schluss sein, sagt Amtsleiterin Silke Leuschner.
"Da geht es darum, die großen Verkehrsmengen aus der Breiten Straße definitiv herauszubringen, und das sind auch Dinge, die einfach durch die Stadtverordneten letztendlich beschlossen sind, also wir machen eigentlich nichts anderes zum jetzigen Zeitpunkt, als die planerischen Konzepte auch der Vergangenheit weiter durchzukonzipieren und umzusetzen."
Lange schon ist eine teilweise Umleitung des Verkehrs über Nebenstraßen in Planung, die nun endlich Wirklichkeit werden könnte. Doch Yvonne Michalke, die mit ihrer Familie an der neuen Route wohnt, hält naturgemäß wenig von diesem Vorschlag.
"Der ist halt eine Belastung für die hier wohnenden, und alle betreffenden Bürger, die in der östlichen Altstadt wohnen, weil Lärm in dem Sinne sehr weit getragen wird durch diese lückenhafte Bebauung, und da kann ich einfach nicht verstehen, wie man das den Bürgern hier in der östlichen Altstadt zumuten möchte, nur um den Markt zu beruhigen."
Langfristig soll eine Ortsumgehung das Problem lösen. Doch vorerst kann es im Zentrum der Stadt nur leiser werden, wenn der Lärm in neue Straßen gedrängt wird. Viele Einheimische und Touristen profitieren von einer ruhigen Innenstadt – aber es gibt eben auch neue Betroffene.
An drei Terminen konnten die Menschen in Eberswalde selbst ihre Vorschläge und Ideen in den Lärmaktionsplan mit einbringen – doch einige Konflikte bleiben trotzdem ungelöst.
Zurück nach Berlin.
"Ich bitte Sie, sich doch bitte daran zu halten und ihre Einwände auch da vorzubringen."
Im Willy-Brandt-Saal vom Rathaus Schöneberg herrscht Unruhe.
"Wenn Sie das anders machen, stören Sie alle anderen, alle anderen Interessen werden beschädigt dadurch, wenn Sie quasi meinen, Sie müssten gewissermaßen vorverschieben. – Sie haben aber den Straßenlärm vorgezogen! – Das war ja eben der Wunsch! – Warum denn, von einer einzelnen Person!"
Mehr als 400 Bürger haben sich in den vergangenen Monaten mit Hinweisen, Vorschlägen und eigenen Ideen an der Lärmminderungsplanung der Stadt beteiligt. Kein Wunder – schließlich sorgt allein der Straßenverkehr tagsüber bei mehr als 130.000 Berlinern für gesundheitsgefährdende Schallpegel, in der Nacht steigt die Zahl wegen der geringeren Lärmtoleranz gar auf knapp 200.000.
Nun hat die Berliner Senatsverwaltung eingeladen, um über den aktuellen Planungsstand zu informieren. Und viele Bürger sind gekommen, um zu hören, was aus ihren Ideen geworden ist. Erstmal aber streiten sie um die Reihenfolge der Tagesordnung.
"Also, wenn Sie der Meinung sind, das wir es so machen, wie es war, - Wir stimmen ab, Verkehrslärm oder Fluglärm zuerst - Also, ich mache jetzt einfach eine Abstimmung: Wer ist dafür, dass die Tagesordnung so bleibt, wie sie war? Und wer ist dagegen?"
Am Ende aber bekommen alle Gelegenheit, ihre Einwände und Beschwerden noch einmal vorzutragen.
"Ich träume zum Beispiel davon, dass auf der Stadtautobahn von 22 bis 6 Uhr 50 gefahren werden muss, det wär doch möglich, det ist doch nicht so schlimm, wat soll denn das, warum soll das nicht gehen?"
"Ich wohne in der Innenstadt, zwischen Adenauerplatz und Leber-Platz, zweite Querstraße vom Kurfürstendamm, die letzten acht Wochen war es wirklich schlimm."
"Ich kann ihnen nur eins sagen: Sie machen eine wunderbare Oase kaputt, die sie nie wieder ganz machen können!"
In der Umgebungslärmrichtlinie der EU ist die aktive Beteiligung der Öffentlichkeit ausdrücklich vorgesehen. Die direkte Auseinandersetzung mit den Bürgern ist auch für Bernd Lehming von der Berliner Senatsverwaltung eine neue Erfahrung.
"Diese Art der Planung ist ein völlig neuer Ansatz, die europäische Union hat ja den so genannten anglizistischen Ansatz genommen, das heißt was so in England gegenwärtig in der Planung bewegt wird. Wir halten schon diesen Dialog für eine ganz wichtige Sache, weil ja zum Einen der Bürger Mitverursacher des Lärms ist, und zum Anderen will er vor dem Lärm geschützt werden."
Zugleich muss Lehming davor warnen, in die Lärmaktionsplanung in Berlin überhöhte Hoffnungen zu setzen.
"Es gibt in einer Stadt wie Berlin nicht allzu viele Maßnahmen, weil wir einfach einen existierenden Verkehr haben, den man ja nicht in irgendeiner Form aufheben kann, und wir haben so eine Art Handbuch entwickelt im Rahmen des Lärmminderungsplanes, nach dem jede Bezirksverwaltung, aber auch die Hauptverwaltung bei ihren Planungen Lärm mindernde Maßnahmen berücksichtigen kann, und anhand dieses Handbuches versuchen wir auch weiterhin federführend Lärmminderungsmaßnahmen für die verschiedenen Stadtteile zu entwickeln."
Die Vorschläge im Handbuch unterscheiden sich nur wenig von den geplanten Veränderungen in Eberswalde: Auch in Berlin sollen umweltverträgliche Verkehrsformen gefördert, LKW-Fahrverbote erlassen, Lärmbelastungen möglichst gebündelt und Tempo-30-Zonen ausgeweitet werden.
Trotzdem wird es in Berlin auch weiterhin einige Verkehrsachsen geben, an denen die kurzfristig angestrebten Schwellenwerte von 70 Dezibel am Tag und 60 in der Nacht nicht erreicht werden können.
"Hier gibt es nur noch die Möglichkeit des Passivlärmschutzes, das heißt Schallschutzfenster, und wir haben auch im Lärmplan jetzt ausgewiesen, wie hoch denn solche Schallschutzfensterprogramme wären. Wenn man das für alle belasteten Straßen machen würde, würde für Berlin ein dreistelliger Millionenbetrag rauskommen, also man sieht, dass das eine Maßnahme ist, die irre teuer ist, aber die auch nicht Sinn der Lärmminderungsplanung ist, sondern es gilt den Aufenthaltsraum Straße zu verbessern."
Den Aufenthaltsraum Straße verbessern, zum Beispiel durch eine Verstetigung des Verkehrs – und eine Verringerung der Durchschnittsgeschwindigkeit. So soll der Lärm bereits am Ort seiner Entstehung reduziert werden, statt schallgeschützte Wohnräume in einer verlärmten Umwelt zu schaffen. Auch aus finanzieller Sicht ist dieses Vorgehen sinnvoll. Denn viel Geld steht nicht zur Verfügung. Gerade einmal 850.000 Euro sind für die kurzfristige Umsetzung des Lärmaktionsplans zusätzlich vorgesehen.
Wie die Veränderung des Straßenraumes konkret aussehen könnte, soll nun in Berlin anhand von vier Beispielstrecken geprüft werden.
"Diese Strecken wurden ausgewählt, weil man mit relativ einfachen Maßnahmen, zum Beispiel mit dem Abmarkieren von Fahrbahnen, das heißt, dass man die Autos weiter entfernt von den Hauswänden fahren lässt oder durch Kreuzungsoptimierung, das heißt, dass weniger Abbrems- oder Beschleunigungsvorgänge entstehen, dass man mit solchen einfachen Maßnahmen ne Lärmminderung erzielen kann."
Eine der vier Beispielstrecken ist ein Teilstück der Prinzenallee im Berliner Stadtteil Wedding. Die bisher zweispurige Fahrbahn wird in eine überbreite Spur umgewandelt, für den Radverkehr werden zwei Angebotsstreifen angelegt.
Das Abrücken von den Häuserwänden und das gleichmäßige und langsame Rollen des Verkehrs sollen insgesamt 2,5 bis 3 Dezibel bringen. Kein Quantensprung – aber immerhin ein hörbarer Unterschied.
Auch Martin Schlegel vom Bund für Umwelt und Naturschutz weiß, dass Lärmminderungsplanung immer eine Politik der kleinen Schritte ist.
"Wir haben bei der langen Lärmminderungsplanung ja gelernt, dass im Grunde jede Maßnahme notwendig ist, das ist bei der Luftreinhalteplanung genauso. Man muss alles, was irgendwie wirkt, muss man auch machen, damit man von den verdammt hohen Niveaus die wir hier in Berlin bei Luftverschmutzung und bei Lärmbelastung auch haben auch runter kommt."
Doch wie soll die neue, einspurige Beispielstrecke den Verkehr aufnehmen, der sich bisher auf zwei Spuren verteilt hat – zumal die Autos auch noch langsamer rollen sollen? Ist eine Straße mit geringer Durchschnittsgeschwindigkeit nicht prinzipiell wenig leistungsfähig, so dass es zu Dauerstaus, höheren Schadstoffbelastungen und Hupkonzerten kommen könnte? Nicht unbedingt, meint Stadtplaner Ditmar Hunger.
"Da gibt es eine ganz einfache Gesetzmäßigkeit: Je schneller die Geschwindigkeit, je größer die Abstände, das heißt desto weniger Fahrzeuge passen auf die gleiche Strecke. Fahren sie alle langsam, passen viel mehr drauf, es kommen also in der gleichen Zeiteinheit wesentlich mehr Fahrzeuge, die niedrige Geschwindigkeit fahren, durch."
Einige Zeit nach der Umgestaltung soll dann geklärt werden, ob die Maßnahmen tatsächlich zu den gewünschten Erfolgen geführt haben. Sollte das der Fall sein, könnten weitere schon geplante Konzeptstrecken folgen.
Wichtig ist die rasche Umsetzung des Lärmaktionsplans auch aus Gründen der nachhaltigen Stadtteilentwicklung: Denn wenn es an den großen Straßen nicht schon bald ruhiger wird, so drohen diese Orte zu sozialen Brennpunkten zu werden.
"Wir haben das Problem der sozialen Entmischung an Hauptverkehrsstraßen, das heißt, wer da wohnt und sich leisten kann, in die Nebenstraße zu ziehen oder ganz in den Außenbereich zu ziehen, wird diese Option wahrnehmen und es werden halt die sozial Schwachen dort wohnen und das ist ja nicht Ziel der Stadtplanung, sondern Ziel der Stadtentwicklungsplanung ist ja eine gute Durchmischung aller Bevölkerungs-, sozialen Gruppen auch, und eine Verdichtung in der Innenstadt, um gerade diese Wege zu vermeiden. Und Ziel unserer Lärmminderungsplanung ist es deshalb, gerade im Innenstadtbereich den Lärm so zu dämpfen, damit die Leute auf diesem engen Raum wohnen bleiben."
Für Anwohner Michael Woydowski dürfte das Pilotprojekt Prinzenallee wahrscheinlich ein bisschen zu spät kommen. Dass es probehalber direkt vor seiner Haustür ein bisschen ruhiger werden soll, hört er zum ersten Mal. Woydowski hegt längst andere Pläne, damit er endlich wieder zur Ruhe kommt.
"Dass wir woanders hinziehen wollen, ja ja, das planen wir schon. Wenn die Kinder raus sind, dann wollen wir irgendwo in einen Bezirk ziehen, wo’s ruhiger ist, aber hier im Wedding auf keinen Fall mehr, das wird ja immer schlimmer hier."
Kein Problem, meint ein Stammgast.
"Früher ist die 3 gefahren, und dann war Endstation, wer ist denn hier noch hingefahren, gar keiner! Na klar, da war nicht so viel Betrieb, da war traurig und öde, und jetzt ist wenigstens ein bisschen Stimmung hier drinnen!"
Anwohner Michael Woydowski erlebt das ganz anders.
"Wenn ich denn nachmittags nach Hause komm, bin ganz schön groggy, durch das frühe Aufstehen, und da ist man dann ganz schön alle, und da will man schlafen, aber das geht nicht, das ist unmöglich, das ist so laut!"
Fluglärm, Bahnlärm, Autolärm: Berlin dröhnt und rattert, kreischt und quietscht. Die meisten stört das. Einige hingegen mögen den Sound der Großstadt.
Schallforscherin Brigitte Schulte-Fortkamp.
"Lärm ist ja Schall, der stört – also kann es gute Störungen geben? – das kann ich so nicht sagen! Ich würde eher sagen, man sollte über Geräusche sprechen, über schöne Geräusche oder weniger schöne Geräusche.
Geräusche haben immer unterschiedliche Implikationen, dem einen gefallen sie, dem anderen gefallen sie nicht, und das macht es noch schwieriger, sich eigentlich mit dem auseinanderzusetzen, was denn Lärm ist."
Über Geräuschempfinden lässt sich offenbar streiten – über die gesundheitlichen Folgen von dauerhafter Lärmbelastung hingegen nicht.
"Lärmbelastungen sind gesundheitsschädlich, entstehen ganz erhebliche Gesundheitskosten, die hier verursacht werden, wenn man über 70, 60 dB belastet ist, dann ist es eine Gesundheitsgefährdung, das heißt also, die Leute werden krank davon, und es ist unsere ordinäre gesetzliche Aufgabe, die Leute auch vor solchen Gefährdungen zu schützen."
Als Chef des Referats für Immissionsschutz in der Senatsverwaltung ist Bernd Lehming auch für die Lärmminderungsplanung in Berlin zuständig.
Grundlage der Planung ist die sogenannte Umgebungslärmrichtlinie der Europäischen Union, die bereits 2002 in Kraft getreten ist und mittlerweile auch im deutschen Recht verankert wurde.
"Die Umgebungslärmrichtlinie schreibt einmal vor, dass Lärmkarten erstellt werden, um die Lärmbelastung zu verifizieren in den Städten, das heißt wo der Lärm herkommt."
Ballungsräume mit mehr als einer viertel Million Einwohner sind von dieser Verpflichtung ebenso betroffen wie Kommunen mit viel befahrenen Straßen und Bahnstrecken oder stark frequentierten Flughäfen. Nach der Lärmkartierung folgt nun die Planung konkreter Maßnahmen.
In Eberswalde, einer kleinen Stadt nordöstlich von Berlin, sind die Planungen schon weit fortgeschritten. Der brandenburgische Ort hat Modellcharakter, weil hier von Anfang an versucht wurde, das städtische Verkehrskonzept und die Luftreinhaltung im Ort mit den Maßnahmen zur Lärmreduzierung abzustimmen.
"Von daher ist eine integrierte Bearbeitung dieser drei Pläne sehr effektiv, denn Maßnahmen, die im Rahmen von Verkehrsentwicklung wichtig sind, sollten gleichzeitig aber auch für die Luftreinhaltung und die Lärmminderung dienen."
Verschiedene Pläne, die aufeinander abgestimmt sind – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Das weiß auch Silke Leuschner, die als Leiterin des Stadtentwicklungsamtes für die Lärmminderungsplanung im Ort zuständig ist.
"Ja, so eine integrierte Arbeitsweise ist eigentlich in aller Munde, alle denken und wissen, dass es richtig ist, das aber durchzusetzen ist oft das Schwierige."
Im Juni wurden die drei Pläne von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen, und damit auch ein ganzes Bündel an möglichen Maßnahmen. Das Hauptziel: Durch die Verbesserung der Infrastruktur für öffentlichen Nahverkehr, für Radfahrer und Fußgänger überflüssige Autofahrten zu vermeiden. So sollen Autofahrer beispielsweise durch mehr Radwege zum Umsteigen bewegt werden. Besonders lauter LKW-Verkehr soll auf Strecken mit wenig betroffenen Anwohnern gebündelt werden. Ansonsten gilt eine einfache Faustregel:
"Je schneller, desto lauter, deshalb spielt die Entschleunigung des Verkehrs, sprich: einen langsameren, ruhigeren, harmonischeren Verkehrsablauf zu erzeugen, eine ganz wesentliche …, eigentlich die Kernmaßnahme im städtischen Verkehrsnetz."
Daher ist im Lärmaktionsplan der Stadt auch die Ausweitung der Tempo-30-Zonen vorgesehen. So soll der Verkehrsfluss gleichmäßiger werden, starkes Beschleunigen und Abbremsen wäre dann nicht mehr nötig. Doch das allein reiche nicht, um das Lärmproblem in den Griff zu kriegen, sagt der von der Stadt beauftragte Planer Ditmar Hunger.
"Wir müssen versuchen, die Menschen nicht nur in die Stadt zu holen, sondern vor allem in die zentralen Bereiche, vor allem in die Bereiche, die erschlossen sind, wo ÖPNV anliegt, wo Infrastruktur da ist, wo städtische Versorgung da ist, weil dort entstehen kurze Wege, und die kurzen Wege, die kann ich zu Fuß machen, oder mit dem Fahrrad, oder ich nutze den städtischen ÖPNV."
Um die Menschen zurück in die Stadt zu holen, muss auch das Zentrum von Eberswalde ein attraktiver und schöner Ort sein. Doch die Mitte der Stadt ist völlig verlärmt.
Rathaus und Marktplatz sind durch die stark befahrene Breite Straße voneinander getrennt – ein einladender Ortskern sieht anders aus.
Die Frage ist nur:
"Was ist den Eberswaldern die gute Stube, nämlich der zentrale Platz, also der Marktbereich wert, dort sozusagen richtig Ruhe, gute Luftqualität, Aufenthaltsqualität zu schaffen, damit Handel, Einzelhandel zu stärken, Kommunikation zu stärken und dafür im Randbereich an einigen Stellen – und das muss man zugeben, das ist so – für bestimmte Einwohner Verschlechterungen herbeizuführen."
Dass es neue Betroffene gibt, mag auch die Stadtverwaltung nicht bestreiten.
Doch mit der hohen Verkehrs- und Lärmbelastung mitten im Zentrum solle nun endlich Schluss sein, sagt Amtsleiterin Silke Leuschner.
"Da geht es darum, die großen Verkehrsmengen aus der Breiten Straße definitiv herauszubringen, und das sind auch Dinge, die einfach durch die Stadtverordneten letztendlich beschlossen sind, also wir machen eigentlich nichts anderes zum jetzigen Zeitpunkt, als die planerischen Konzepte auch der Vergangenheit weiter durchzukonzipieren und umzusetzen."
Lange schon ist eine teilweise Umleitung des Verkehrs über Nebenstraßen in Planung, die nun endlich Wirklichkeit werden könnte. Doch Yvonne Michalke, die mit ihrer Familie an der neuen Route wohnt, hält naturgemäß wenig von diesem Vorschlag.
"Der ist halt eine Belastung für die hier wohnenden, und alle betreffenden Bürger, die in der östlichen Altstadt wohnen, weil Lärm in dem Sinne sehr weit getragen wird durch diese lückenhafte Bebauung, und da kann ich einfach nicht verstehen, wie man das den Bürgern hier in der östlichen Altstadt zumuten möchte, nur um den Markt zu beruhigen."
Langfristig soll eine Ortsumgehung das Problem lösen. Doch vorerst kann es im Zentrum der Stadt nur leiser werden, wenn der Lärm in neue Straßen gedrängt wird. Viele Einheimische und Touristen profitieren von einer ruhigen Innenstadt – aber es gibt eben auch neue Betroffene.
An drei Terminen konnten die Menschen in Eberswalde selbst ihre Vorschläge und Ideen in den Lärmaktionsplan mit einbringen – doch einige Konflikte bleiben trotzdem ungelöst.
Zurück nach Berlin.
"Ich bitte Sie, sich doch bitte daran zu halten und ihre Einwände auch da vorzubringen."
Im Willy-Brandt-Saal vom Rathaus Schöneberg herrscht Unruhe.
"Wenn Sie das anders machen, stören Sie alle anderen, alle anderen Interessen werden beschädigt dadurch, wenn Sie quasi meinen, Sie müssten gewissermaßen vorverschieben. – Sie haben aber den Straßenlärm vorgezogen! – Das war ja eben der Wunsch! – Warum denn, von einer einzelnen Person!"
Mehr als 400 Bürger haben sich in den vergangenen Monaten mit Hinweisen, Vorschlägen und eigenen Ideen an der Lärmminderungsplanung der Stadt beteiligt. Kein Wunder – schließlich sorgt allein der Straßenverkehr tagsüber bei mehr als 130.000 Berlinern für gesundheitsgefährdende Schallpegel, in der Nacht steigt die Zahl wegen der geringeren Lärmtoleranz gar auf knapp 200.000.
Nun hat die Berliner Senatsverwaltung eingeladen, um über den aktuellen Planungsstand zu informieren. Und viele Bürger sind gekommen, um zu hören, was aus ihren Ideen geworden ist. Erstmal aber streiten sie um die Reihenfolge der Tagesordnung.
"Also, wenn Sie der Meinung sind, das wir es so machen, wie es war, - Wir stimmen ab, Verkehrslärm oder Fluglärm zuerst - Also, ich mache jetzt einfach eine Abstimmung: Wer ist dafür, dass die Tagesordnung so bleibt, wie sie war? Und wer ist dagegen?"
Am Ende aber bekommen alle Gelegenheit, ihre Einwände und Beschwerden noch einmal vorzutragen.
"Ich träume zum Beispiel davon, dass auf der Stadtautobahn von 22 bis 6 Uhr 50 gefahren werden muss, det wär doch möglich, det ist doch nicht so schlimm, wat soll denn das, warum soll das nicht gehen?"
"Ich wohne in der Innenstadt, zwischen Adenauerplatz und Leber-Platz, zweite Querstraße vom Kurfürstendamm, die letzten acht Wochen war es wirklich schlimm."
"Ich kann ihnen nur eins sagen: Sie machen eine wunderbare Oase kaputt, die sie nie wieder ganz machen können!"
In der Umgebungslärmrichtlinie der EU ist die aktive Beteiligung der Öffentlichkeit ausdrücklich vorgesehen. Die direkte Auseinandersetzung mit den Bürgern ist auch für Bernd Lehming von der Berliner Senatsverwaltung eine neue Erfahrung.
"Diese Art der Planung ist ein völlig neuer Ansatz, die europäische Union hat ja den so genannten anglizistischen Ansatz genommen, das heißt was so in England gegenwärtig in der Planung bewegt wird. Wir halten schon diesen Dialog für eine ganz wichtige Sache, weil ja zum Einen der Bürger Mitverursacher des Lärms ist, und zum Anderen will er vor dem Lärm geschützt werden."
Zugleich muss Lehming davor warnen, in die Lärmaktionsplanung in Berlin überhöhte Hoffnungen zu setzen.
"Es gibt in einer Stadt wie Berlin nicht allzu viele Maßnahmen, weil wir einfach einen existierenden Verkehr haben, den man ja nicht in irgendeiner Form aufheben kann, und wir haben so eine Art Handbuch entwickelt im Rahmen des Lärmminderungsplanes, nach dem jede Bezirksverwaltung, aber auch die Hauptverwaltung bei ihren Planungen Lärm mindernde Maßnahmen berücksichtigen kann, und anhand dieses Handbuches versuchen wir auch weiterhin federführend Lärmminderungsmaßnahmen für die verschiedenen Stadtteile zu entwickeln."
Die Vorschläge im Handbuch unterscheiden sich nur wenig von den geplanten Veränderungen in Eberswalde: Auch in Berlin sollen umweltverträgliche Verkehrsformen gefördert, LKW-Fahrverbote erlassen, Lärmbelastungen möglichst gebündelt und Tempo-30-Zonen ausgeweitet werden.
Trotzdem wird es in Berlin auch weiterhin einige Verkehrsachsen geben, an denen die kurzfristig angestrebten Schwellenwerte von 70 Dezibel am Tag und 60 in der Nacht nicht erreicht werden können.
"Hier gibt es nur noch die Möglichkeit des Passivlärmschutzes, das heißt Schallschutzfenster, und wir haben auch im Lärmplan jetzt ausgewiesen, wie hoch denn solche Schallschutzfensterprogramme wären. Wenn man das für alle belasteten Straßen machen würde, würde für Berlin ein dreistelliger Millionenbetrag rauskommen, also man sieht, dass das eine Maßnahme ist, die irre teuer ist, aber die auch nicht Sinn der Lärmminderungsplanung ist, sondern es gilt den Aufenthaltsraum Straße zu verbessern."
Den Aufenthaltsraum Straße verbessern, zum Beispiel durch eine Verstetigung des Verkehrs – und eine Verringerung der Durchschnittsgeschwindigkeit. So soll der Lärm bereits am Ort seiner Entstehung reduziert werden, statt schallgeschützte Wohnräume in einer verlärmten Umwelt zu schaffen. Auch aus finanzieller Sicht ist dieses Vorgehen sinnvoll. Denn viel Geld steht nicht zur Verfügung. Gerade einmal 850.000 Euro sind für die kurzfristige Umsetzung des Lärmaktionsplans zusätzlich vorgesehen.
Wie die Veränderung des Straßenraumes konkret aussehen könnte, soll nun in Berlin anhand von vier Beispielstrecken geprüft werden.
"Diese Strecken wurden ausgewählt, weil man mit relativ einfachen Maßnahmen, zum Beispiel mit dem Abmarkieren von Fahrbahnen, das heißt, dass man die Autos weiter entfernt von den Hauswänden fahren lässt oder durch Kreuzungsoptimierung, das heißt, dass weniger Abbrems- oder Beschleunigungsvorgänge entstehen, dass man mit solchen einfachen Maßnahmen ne Lärmminderung erzielen kann."
Eine der vier Beispielstrecken ist ein Teilstück der Prinzenallee im Berliner Stadtteil Wedding. Die bisher zweispurige Fahrbahn wird in eine überbreite Spur umgewandelt, für den Radverkehr werden zwei Angebotsstreifen angelegt.
Das Abrücken von den Häuserwänden und das gleichmäßige und langsame Rollen des Verkehrs sollen insgesamt 2,5 bis 3 Dezibel bringen. Kein Quantensprung – aber immerhin ein hörbarer Unterschied.
Auch Martin Schlegel vom Bund für Umwelt und Naturschutz weiß, dass Lärmminderungsplanung immer eine Politik der kleinen Schritte ist.
"Wir haben bei der langen Lärmminderungsplanung ja gelernt, dass im Grunde jede Maßnahme notwendig ist, das ist bei der Luftreinhalteplanung genauso. Man muss alles, was irgendwie wirkt, muss man auch machen, damit man von den verdammt hohen Niveaus die wir hier in Berlin bei Luftverschmutzung und bei Lärmbelastung auch haben auch runter kommt."
Doch wie soll die neue, einspurige Beispielstrecke den Verkehr aufnehmen, der sich bisher auf zwei Spuren verteilt hat – zumal die Autos auch noch langsamer rollen sollen? Ist eine Straße mit geringer Durchschnittsgeschwindigkeit nicht prinzipiell wenig leistungsfähig, so dass es zu Dauerstaus, höheren Schadstoffbelastungen und Hupkonzerten kommen könnte? Nicht unbedingt, meint Stadtplaner Ditmar Hunger.
"Da gibt es eine ganz einfache Gesetzmäßigkeit: Je schneller die Geschwindigkeit, je größer die Abstände, das heißt desto weniger Fahrzeuge passen auf die gleiche Strecke. Fahren sie alle langsam, passen viel mehr drauf, es kommen also in der gleichen Zeiteinheit wesentlich mehr Fahrzeuge, die niedrige Geschwindigkeit fahren, durch."
Einige Zeit nach der Umgestaltung soll dann geklärt werden, ob die Maßnahmen tatsächlich zu den gewünschten Erfolgen geführt haben. Sollte das der Fall sein, könnten weitere schon geplante Konzeptstrecken folgen.
Wichtig ist die rasche Umsetzung des Lärmaktionsplans auch aus Gründen der nachhaltigen Stadtteilentwicklung: Denn wenn es an den großen Straßen nicht schon bald ruhiger wird, so drohen diese Orte zu sozialen Brennpunkten zu werden.
"Wir haben das Problem der sozialen Entmischung an Hauptverkehrsstraßen, das heißt, wer da wohnt und sich leisten kann, in die Nebenstraße zu ziehen oder ganz in den Außenbereich zu ziehen, wird diese Option wahrnehmen und es werden halt die sozial Schwachen dort wohnen und das ist ja nicht Ziel der Stadtplanung, sondern Ziel der Stadtentwicklungsplanung ist ja eine gute Durchmischung aller Bevölkerungs-, sozialen Gruppen auch, und eine Verdichtung in der Innenstadt, um gerade diese Wege zu vermeiden. Und Ziel unserer Lärmminderungsplanung ist es deshalb, gerade im Innenstadtbereich den Lärm so zu dämpfen, damit die Leute auf diesem engen Raum wohnen bleiben."
Für Anwohner Michael Woydowski dürfte das Pilotprojekt Prinzenallee wahrscheinlich ein bisschen zu spät kommen. Dass es probehalber direkt vor seiner Haustür ein bisschen ruhiger werden soll, hört er zum ersten Mal. Woydowski hegt längst andere Pläne, damit er endlich wieder zur Ruhe kommt.
"Dass wir woanders hinziehen wollen, ja ja, das planen wir schon. Wenn die Kinder raus sind, dann wollen wir irgendwo in einen Bezirk ziehen, wo’s ruhiger ist, aber hier im Wedding auf keinen Fall mehr, das wird ja immer schlimmer hier."