Berlin plant eigenes Antidiskriminierungsgesetz

Besser geschützt gegen Rassismus

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Dr. Dirk Behrendt, Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung beim 41. CSD Berlin am Brandenburger Tor.
Dirk Behrendt, der grüne Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, auf dem 41. CSD in Berlin. © picture alliance / Photopress Mueller / Ralf Mueller
Von Peggy Fiebig · 13.08.2019
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Ein neues Antidiskriminierungsgesetz soll nach dem Willen des rot-rot-grünen Senats noch in diesem Jahr in Berlin in Kraft treten. Diskriminierung in Schulen oder auf Ämtern könnte dann umfassender angezeigt und geahndet werden.
Menschen, die anders aussehen, anders sprechen, anders glauben oder sich sonst von der Mehrheit unterscheiden, haben es oft nicht leicht. Im privaten Leben, im Beruf, aber auch im Umgang mit Behörden werden ihnen nicht selten Steine in den Weg gelegt. Selbst in einer Stadt wie Berlin, die von sich selbst behauptet, so offen und tolerant zu sein, haben die vielen Beratungsstellen, die sich um Diskriminierungen kümmern, genug zu tun.
Was den Umgang mit Behörden angeht, soll sich allerdings künftig die Situation grundsätzlich ändern: Geht es nach dem Willen des rot-rot-grünen Senats, soll Berlin noch in diesem Jahr als erstes Bundesland ein eigenes Antidiskriminierungsgesetz bekommen. Jeder, der sich dann durch behördliches Verhalten zu Unrecht benachteiligt fühlt, soll sich dagegen wehren können – notfalls vor Gericht.
Seit Langem wird über ein solches Gesetz diskutiert, Anfang Juni hat der Senat den Entwurf nun auf den parlamentarischen Weg gebracht. Der erste Aufschlag dazu kam bereits vor zwölf Jahren, seinerzeit noch unter Rot-Rot. Als dann Schwarz-Rot übernahm, landete der Entwurf erst einmal in der Schublade und wurde jetzt erst wieder hervorgeholt. In der Koalitionsvereinbarung von SPD, Grünen und Linken hatten vor allem die Grünen darauf gepocht.

Der Entwurf stammt vom grünen Senator

Ganz reibungslos lief es allerdings nicht, erklärt Dirk Behrendt, der grüne Justiz- und Antidiskriminierungssenator. Aus seinem Haus stammt der überarbeitete Gesetzentwurf.
"Bei den Detailabstimmungen mit den verschiedenen Verwaltungen, gab es – sagen wir mal – unterschiedliche Überzeugungen", erklärt Behrendt. "Aber, es war der politische Wille vorherrschend, dass wir das jetzt wollen und von daher haben wir ein Ergebnis erzielt. Ich hätte es mir vorher gewünscht, aber jetzt liegt es vor und deshalb bin ich jetzt ein zufriedener Antidiskriminierungssenator, der mit diesem Gesetz beim Parlament vorstellig wird."
Das Gesetz auf Landesebene soll das sogenannte Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, kurz AGG, ergänzen. Denn auf Grund der bundesdeutschen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern gibt es darin Lücken, erläutert Eren Ünsal, die Leiterin der Berliner Landesantidiskriminierungsstelle.
"Wir haben das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz auf Bundesebene, das Menschen schützt im Bereich des Zivilrechtsverkehrs, oder wenn es um den Arbeitskontext geht. Aber zum Beispiel nicht im Zusammenhang mit öffentlichem Handeln. Wenn es darum geht, dass jemand Diskriminierung erlebt, wenn er beim Bürgeramt ist, oder im Bildungsbereich. Es gibt also Lücken, die geschlossen werden müssen, und das versuchen wir in Berlin mit einem Antidiskriminierungsgesetz."

Diskriminierung beim Beantragen des Ausweises

Wer sich zum Beispiel bei der Beantragung seines Personalausweises oder bei der Genehmigung seines Bauantrags diskriminiert fühlt, der soll sich künftig dagegen wehren können. Auch bei Konflikten mit der Polizei oder in der Schule.
Gerade hier kommt es immer wieder zu Vorfällen, weiß Aliyeh Yegane von der Berliner Anlaufstelle Antidiskriminierungsschutz an Schulen: "Wir haben sehr unterschiedliche Fälle. Diskriminierung zeigt sich vielfältig an Schulen. Als direkte Diskriminierung: Mobbing zwischen den Schülern, bei dem Lehrkräfte nicht ausreichend eingreifen und tätig werden. Wir haben das ausgewertet und festgestellt, dass ein Hauptteil rassistische Diskriminierung ist, Hautfarbe, Aussehen, Sprache und Religion – das sind die Hauptgruppen."
In etwa 67 Prozent der Fälle, die bei der Anlaufstelle gemeldet werden, geht es um Diskriminierungen, die von Lehrern oder der Schulleitung ausgehen. Aliyeh Yegane berät gerade in solch einem Fall an einer Reinickendorfer Grundschule. Bis vor Kurzem verbot die Hausordnung das Tragen von Kopftüchern. Auch wenn solch ein Verbot rechtlich eigentlich unzulässig ist, eine gesellschaftliche Diskussion darüber ist längst entbrannt

Kopftuch ja oder nein?

Eine Neubausiedlung aus den 60er-, 70er-Jahren im Norden Berlins, viele Hochhäuser stehen hier, bis zu 20 Stockwerke hoch. Dort lebt Leila mit ihren drei Kindern, ihre neunjährige Tochter geht auf die auf besagte Grundschule. Ihren richtigen Namen mag Leila nicht sagen, auch nicht den Namen der Schule nennen, doch sie hat sich an Aliyeh Yegane und deren Beratungsstelle gewandt. Sie finden die Hausordnung der Schule diskriminierend. Die Mutter ist gegen ein Kopftuchverbot. Auch wenn ihre Tochter – anders als sie selbst – kein Kopftuch trägt:
"Ich möchte, dass, wenn meine Tochter irgendwann Kopftuch tragen möchte, dass sie es auch machen darf. Das ist die erste Sache. Die zweite Sache: Natürlich fühle ich mich dadurch, dass ich dem Islam angehöre, verpflichtet, da auch was zu machen. Ich hatte auch das Gefühl, dass meine Tochter mich als Vorkämpferin gesehen hat. 'Mama, du schaffst das, dass es erlaubt wird. Und dann dürfen wir'. Sie denkt auch, vielleicht in zwei drei Jahren, vielleicht will sie es dann auch. Für sie ist das nichts Negatives, sie trägt es auch mal aus Spaß, in der Freizeit, wenn wir in den Kulturverein gehen. Das heißt, für sie ist das was ganz Normales."
Das Argument, mit dem Verbot würden Kinder eventuell vor religiösem Druck aus dem Elternhaus geschützt, lässt die aus Palästina stammende Diplomkauffrau nicht gelten. Zwang sei nie gut, weder aus der einen, noch aus der anderen Richtung
"Ob jetzt ein Kind gezwungen wird, es zu tragen, oder ob ein Kind dazu gezwungen wird, es abzulegen: Kinder sollten selber entscheiden, ob sie das machen oder nicht. Und sollte es zu einem Fall kommen, dass mal ein Kind gezwungen wird, dann sollte man lieber auf Aufklärung setzen, mit den Eltern reden, vermitteln, dem Kind auch zeigen, wenn du das nicht möchtest, darfst du es abnehmen in der Schule."

Schulen besonders im Fokus

Nach der Intervention der Anlaufstelle wurde das Verbot jetzt abgeschwächt. Fortan sei es nur noch Wunsch der Schulleitung, dass auf das Kopftuch – genauso wie im Übrigen auf Kippa und Kruzifix – verzichtet wird. Für Leila ist das allerdings nur der erste Schritt. Sie will, dass der Passus ganz gestrichen wird.
Sollte das Berliner Abgeordnetenhaus für das neue Antidiskriminierungsgesetz stimmen, dann würden Schulen besonders stark im Fokus stehen. Davon ist die Leiterin der Landesantidiskriminierungsstelle Eren Ünsal überzeugt. Sie und ihre Mitarbeiter hatten im Wesentlichen die inhaltliche Vorarbeit für den jetzigen Gesetzentwurf geleistet, der auch einen Anspruch auf Schadensersatz vorsieht. Wer sich künftig von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Berliner Behörden diskriminiert fühlt, der kann nicht nur den Ersatz eines tatsächlich entstandenen materiellen Schadens sondern auch eine mögliche ideelle Entschädigung geltend machen. Allerdings, so Eren Ünsal von der Landesantidiskriminierungsstelle:
"Der ideelle Schaden ist ganz schwer zu beziffern. Ja, also, was für ein ideeller Schaden ist mir jetzt entstanden, wenn ich beim Bürgeramt war und dort hat mich jemand beleidigt? Das ist natürlich immer eine Frage des Ermessens. Da gibt es wenig Erfahrungswerte, da müssen wir uns überraschen lassen."
Auf jeden Fall soll es Betroffenen erleichtert werden, überhaupt eine Diskriminierung nachzuweisen. Es reicht, wenn Tatsachen glaubhaft geschildert werden, die eine Diskriminierung durch die Berliner Verwaltung wahrscheinlich machen. Außerdem, und hier geht der Gesetzentwurf sogar über europarechtliche Vorgaben hinaus, wurde der Katalog der sogenannten Diskriminierungsmerkmale erweitert. So soll in Berlin auch eine Diskriminierung wegen der Sprache sowie des sozialen Status verboten sein. Warum das wichtig ist, erklärt Eren Ünsal von der Landesantidiskriminierungsstelle.
"Also in der Antidiskriminierungsarbeit erleben wir häufig, dass Menschen nicht nur isoliert wegen eines bestimmten Merkmals diskriminiert werden. Und der soziale Status ist ganz, ganz häufig ein sogenanntes verstärkendes Merkmal. Es ist nicht nur so, dass Menschen diskriminiert werden, weil sie zum Beispiel Frauen sind. Sondern arme Frauen werden anders diskriminiert."

Frauen werden auf mehr als eine Weise diskriminiert

Oder Frauen mit geringem Bildungsabschluss. Oder alleinerziehende Frauen. Denn all das fasst das geplante Antidiskriminierungsgesetz unter sozialem Status zusammen und will hier ebenfalls ansetzen. Der Katalog möglicher Tatbestände könnte dabei im Laufe der Parlamentsdebatte sogar noch erweitert werden, sagt Senator Dirk Behrendt:
"Es gibt auch noch Diskussionen, ob man im Bereich Gesundheit weitergeht. Da bin ich gespannt, wie die Debatten im Parlament laufen. Beispielsweise ob man die Körperform, also Diskriminierung von dicken Menschen aufnimmt oder nicht, da gibt es Forderungen. Da ist die Debatte sicher noch nicht endgültig abgeschlossen, wir haben es jetzt erst einmal nicht drin."
Trotz der zahlreichen Merkmale, auf die eine Klage gestützt werden könnte: Eine Klagewelle befürchtet Behrendt nicht. Immerhin habe es die auch nach dem Inkrafttreten des Antidiskriminierungsgesetzes auf Bundesebene nicht gegeben.
"Es geht mir nicht darum, dass viele Prozesse geführt werden, sondern wir wollen gemeinsam daran wirken, dass diskriminierendes Verhalten zurückgedrängt wird in der öffentlichen Verwaltung und wir eine Praxis des diskriminierungsfreien Verwaltungshandelns etablieren."

Opposition: Es gibt bereits ein Diskriminierungsverbot

Ob es dazu unbedingt eines neuen Gesetzes bedarf, wird zumindest in der Opposition bezweifelt. In einem ersten Statement zum Gesetzentwurf, der am Donnerstag in erster Lesung beraten werden soll, verweist Holger Krestel, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, auf die Berliner Verfassung. Darin sei doch bereits ein umfassendes Diskriminierungsverbot normiert.
Auf Grund der Mehrheitsverhältnisse im Parlament ist Senator Behrendt jedoch zuversichtlich, dass das Gesetz – gegebenenfalls mit Änderungen – noch in diesem Jahr verabschiedet wird. Und das vielleicht auch andere Bundesländer nachziehen.
Laila jedenfalls hofft, dass sich nicht nur auf dem Papier etwas ändert: "Ich würde mir ganz konkret wünschen, dass diese Fälle, dass die auch geschult werden, diese Leute – die Schulleitungen, die Menschen, die in der Schulaufsicht sitzen, in der Senatsverwaltung. Ich weiß es jetzt noch nicht, das ist der nächste Schritt, an den wir uns jetzt wenden, um auch diesen Wunsch aus unserer Schulordnung, aus unserer Hausordnung rauszunehmen – dass die da offen dafür sind, dass sie sich auch mehr selber reflektieren. Auch wenn man sagt, o.k., hier wollte ich nicht diskriminieren, aber es ist zu einer Diskriminierung gekommen. Dass ich dann sage, ich hab diesen Schneid, ich hab dieses Rückgrat, um zu sagen, o.k., da ist was falsch gelaufen, da muss was anders laufen."
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