Berlin Dahlem

Von Adolf Stock · 22.04.2005
Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen Studenten und Professoren in die Dahlemer Villen. Die neu gegründete "Freie Universität" fand sich in eindrucksvollen Bauten wieder. Diesen waren oft verwaist, weil ihre Besitzer emigrieren mussten oder weil sie im Nachkriegs-Berlin keine Zukunft mehr sahen. Das (groß)-bürgerliche Leben in Dahlem war passé.
Die vielen Filmstars und Wissenschaftler, die einflussreichen Industriellen und Politiker waren nur noch Erinnerung. Otto Hahn, Fritz Lang oder Elisabeth Bergner sind einige der Namen aus Dahlems großer Vergangenheit. Doch wer mit wachen Augen durch das Viertel geht, kann noch immer viel von der noblen Villenkolonie entdecken - ein geschichtsträchtiger Ort, der seinen Charme bis heute bewahren konnte.

Dahlem-Dorf ist wohl das einzige Dorf mit U-Bahnanschluss. Wer dort aussteigt, kommt in ein sonderbares Vorstadt-Idyll: Ein U-Bahnhof mit Fachwerk und reetgedecktem Dach, ganz so wie es Kaiser Wilhelm II. einst wünschte. Und ein reetgedecktes Dach verleiht auch der Würstchenbude auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen norddeutsch-ländlichen Charakter. Etwas weiter links fällt der Blick auf den Dorfanger und auf die kleine St.-Anna-Kirche, wo Martin Niemöller nach 1933 als Mitglied der bekennenden Kirche seine Predigten hielt. Und gleich daneben der Gottesacker, wo Rudi Dutschke begraben liegt.
Schräg gegenüber vom Bahnhofsplatz steht breit und behäbig das Herrenhaus der ehemals Königlichen Domäne Dahlem, die bis heute ein Bauerhof ist; ein Freilichtmuseum mit 15 Hektar Land.

"Der Aufstieg Dahlems zur Villenkolonie hat im Vergleich zu anderen Villenkolonien Berlins relativ lange gedauert. Das hing damit zusammen, dass es lange Domänenbesitz war und man sich nicht so ganz im Klaren war, was macht man daraus. Und irgendwann hat man sich dann doch entschlossen, es zu einer Villenkolonie aufzuteilen, es ist dafür eine Aufteilungskommission gegründet worden, die gewisse Auflagen vorgegeben hat, zum Beispiel, dass Grundstücke mindestens 1000 Quadratmeter umfassen sollten, bis zu 10.000 Quadratmeter, und dass ausschließlich Villen darauf gebaut werden durften. Und es wurde den Eigentümern auch die Auflage gemacht, sie müssen innerhalb eines Jahres diese Villa bauen, zumindest angefangen haben, sonst müssen sie jährlich ein Strafgeld bezahlen."

Das war 1901. 1915 waren weit über 500 Parzellen an wohlhabende Bürger verkauft. Jörg Riedel erzählt von den Anfängen der Dahlemer Villenkolonie. Bei den Grundstücken wurde die ursprüngliche Rasterplanung schon bald aufgegeben, stattdessen orientierten sich die Parzellen nun an den topografischen Gegebenheiten des alten Urstromtals. Die Villenkolonie wurde zu einer einzigartigen Parklandschaft mit Weihern, Wiesen und verschlungenen Wegen. Die verkauften Grundstücke lagen damals noch im Kreis Teltow, der zum preußischen Regierungsbezirk Potsdam gehörte. Erst 1920 kam Dahlem zu Groß-Berlin.

Jörg Riedel ist Projektleiter bei der "Gemeinnützigen Gesellschaft zur Förderung von Bildung, Kultur und Umweltschutz". Hinter dem sperrigen Titel steckt eine kleine Arbeitsgruppe, die die Kulturgeschichte der Dahlemer Villenkolonie erforscht.

Viele Künstler, Maler, Schauspieler und Musiker lebten und leben in Dahlem. Auch der Tenor Peter Anders. 1944, als auch in Dahlem die Bomben fielen, probte der Sänger, am Flügel begleitet von seiner Frau, Franz Schuberts "Winterreise". Und er verlieh dem romantischen Liederzyklus einen ganz unvergleichlichen bodenständigen Klang. Gewiss, eine Marginalie, doch die Dahlemer Lokalforscher können viele solcher Geschichten erzählen, die sie in einem stattlichen Buch veröffentlicht haben. Zusammengenommen ergeben die Erzählungen von Menschen und Häusern ein kulturhistorisches Panorama der Berliner Villenkolonie, das ganz außergewöhnlich ist.

Wer die Lokalforscher treffen will, muss durch das Domänen-Gelände gehen, vorbei an einem kleinen Museum, das die Geschichte Dahlems und der Domäne erzählt. Vorbei an der Töpferei und an Viehställen, bis man am Ende auf ein paar gestapelte Wohncontainer trifft. Hier gehen Jörg Riedel und die Projektmitglieder ihrer Arbeit nach.

"Der Verein ist ja entstanden aus der Befürchtung heraus, dass auch das letzte Stück landwirtschaftlicher Fläche, was Dahlem hatte, dass auch diese letzte Fläche verloren geht. Da gab es ja Pläne, Stadtvillen zu bauen, und auf diese Weise eben auch dieses besondere Grün, was Dahlem hier hat, in Form der Getreidefelder und Rübenfelder, zu beseitigen. Und dieser Schutzgedanke hat diesen Verein zusammengeschweißt. Und man hat sich eben auch verantwortlich gesehen, Dahlem insgesamt in seinem Charakter zu erhalten und die Eingriffe, die doch immer wieder kommen, möglichst abzuwehren oder klein zu halten oder zu mildern. "

Eine Villa war in römischer Zeit ein Haus auf dem Land mit einer Landwirtschaft. So war es zunächst auch in Berlin, rund um die Residenzstadt gab es im 16. Jahrhundert repräsentative Wohnbauten, die Teil einer Landwirtschaft waren. Später war es ein Privileg der Fürsten, Jagd- und Lustschlösser zu bauen. Von hier aus ist der Weg hin zur bürgerlichen Villa dann gar nicht mehr weit. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts zogen die ersten wohlhabenden Bürger vor die Tore der Stadt.

Die Geschichte der Berliner Villenkolonien begann am Südrand des Tiergartens. Die dort gebauten Villen sollten das angenehme Landleben mit den Vorteilen der Stadt verbinden. Es waren meist klassizistische Bauten, die sich an Karl Friedrich Schinkel orientierten, der schon 1824 für den preußischen König ein nobles Sommerhaus im Charlottenburger Schlosspark entworfen hatte. Wer mag, kann die Atmosphäre jener Zeit in den Salon-Romanen Theodor Fontanes bis heute studieren.

Der Flaneur wird allerdings enttäuscht, denn bis auf wenige Häuser hat der Zweite Weltkrieg die Villen zerstört. Unwiederbringlich, Fontanes Wort gilt auch hier. Doch im Südwesten der Stadt werden neugierige Besucher noch reichlich belohnt. In Dahlem zeigt Berlin nach wie vor sein gutbürgerliches Gesicht, von dem Jörg Riedel erzählt.

" Um den Thielpark herum, im Schwarzen Grund um die Bitterstraße, da finden Sie wirklich konzentriert das, was Dahlem ausmacht. Es sind also wirklich herrschaftliche Villen zu finden. Es gibt neue Villen, wie Beispielsweise die Gerl-Villa, die von Kollhoff gebaut wurde, die so diese neoklassizistischen Formen aufnimmt und sehr palastartig daherkommt. Es gibt dort auch die Erscheinung, dass die Villen nicht mehr bewohnt sind und offensichtlich dem Verfall preisgegeben sind, es gibt, wie man so sagt, diese Tarnkappen-Architektur, wo die Leute sich bemühen, ihren Reichtum hinter Büschen zu verstecken, wo man gar nicht weiß, wer da wohnt, wo hohe Mauern davor sind. Und es gibt sogar reetgedeckte Häuser, also ein wildes Wirrwarr an Architektur ist dort zu finden, aber durch die Großzügigkeit der Grundstücke eben alles sehr versöhnlich miteinander. "

Anfang des letzten Jahrhunderts wurden in Dahlem nicht nur Villen gebaut, hier sollte auch ein deutsches Oxford entstehen. Damals gründete die "Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften" sechs naturwissenschaftliche Institute, die ohne Lehrverpflichtung forschen sollten. Es waren die Vorläufer der heutigen Max-Planck-Gesellschaft. Beim Aufbau der Institute galt das Harnack-Prinzip.

" …, das bedeutete, dass dann ein Institut gegründet werden soll, wenn erstens ein prominenter Wissenschaftler dafür gewonnen werden kann und ein interessantes Gebiet zur Erforschung oder für die Forschung vorhanden ist. Und er durfte sich eine Dienstvilla bauen lassen. Das heißt, fast jedes Institut hat eine Villa, die dazu gehört, und diese Villen sind von den Wissenschaftlern bewohnt worden, und diese Wechselbeziehung Wissenschaft - Villen ist durchaus gegeben, schon damals. "

Albert Einstein gehörte zu den Wissenschaftlern ohne Lehrverpflichtung. 1914 lebte er ein knappes Jahr in Dahlem, bevor er nach Schöneberg zog. Die österreichische Physikerin Lise Meitner forschte seit 1912 gemeinsam mit Otto Hahn in der Dahlemer Thielallee, wo ihnen die Urankernspaltung gelang. Und auch Richard Willstätter gehörte zu den Dahlemer Wissenschaftlern.

" Er war Chemiker und hat das Chlorophyll erforscht und hat zum Zweck dieser Erforschung, damals konnte man das noch auf Dahlemer Gelände, große Felder mit Chrysanthemen, Astern und Kornblumen angelegt. Und Lise Meitner, die hat das besonders genossen, von ihrer Dienstvilla aus dann diese Felder zu sehen, mit den dunkelroten und den blauen Farben. Und in diesen Felder tobten dann die kleinen Kinder von Herrn Willstädter herum und durften die Fehlfarben herauspflücken. "

Als 1933 die Nationalsozialisten kamen, war die Blütezeit des jungen Wissenschaftsstandorts vorbei. Stattdessen wurde in Dahlem die "Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle", errichtet und die nationalsozialistischen Eliten entdeckten das bürgerliche Dahlem für sich. Jüdische und andere unliebsame Künstler, Wissenschaftler und Kaufleute wurden enteignet und aus ihren Villen vertrieben, wie Harry Balkow erzählt.

" Da gab es einen Leiter einer NSDAP-Hilfskasse namens Martin Bormann, und der hatte dann die Aufgabe bekommen, also hier für die so genannten alten Kämpfer den Wohnraum zu beschaffen. Heinrich Himmler hat hier gewohnt. Es hat gewohnt der Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch, dann hatte hier gewohnt der Ernst Röhm, Nachfolger Viktor Lutze und viele, viele andere. Hans Frank, Joachim von Ribbentrop ist einer der allerersten Dahlemer überhaupt gewesen, der bereits 1920 sich hier angesiedelt hatte. Und es war eine ziemlich hohe Konzentration von den Militärs und Partei- und Staatsfunktionären des Dritten Reiches. "

Die Schauspielerin Elisabeth Bergner war schon Ende 1932 aus London nicht mehr nach Dahlem zurückgekehrt. Andere, wie die jüdische Familie Wertheim gingen ins Exil. Später baute sich Leni Riefenstahl in den Garten von "Schloss Wertheim" ein Haus, wo sie Hitler zum Film-Tee einlud. Und ein paar Straßenzüge weiter lebte Carl Schmitt, der als Staats- und Völkerrechtler die Nazi-Diktatur ebenso spitzfindig wie brillant zu rechtfertigen suchte.
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" Das ist eine richtige alte Dahlemerin, 1937 ist sie nach Deutschland gekommen, hatte zuerst dann ihr Domizil am Wildpfad 24, da hat sie bis 1941 gewohnt und dann hat sie bis 43 in der Max-Eyth-Straße gewohnt, dort ist sie bei diesem Bombenangriff dann auch zu Schaden gekommen. Sie, das Haus, ihr Haus wurde geplündert von den Nachbarn, und sie ist dann zurück nach Schweden 1943. "

Harry Balkow erzählt von Zarah Leander, die in den letzten Kriegsjahren wieder zurück nach Schweden zog. Damals probte Peter Anders Schuberts Winterreise, und in der benachbarten Gelfertstraße sah Hildegard Knef den Film "La Paloma" im hauseigenem Kino des Reichsfilmdramaturgen Ewald von Demandowsky, den - Nazi hin oder her - die junge, und wohl auch ehrgeizige Knef bewundert und geliebt hat.
Im Containerbüro auf dem Domänengelände erzählt Rüdiger Reitmeier von weiteren Stationen ihres Lebenswegs.

" Sie flüchtet dann mit Ewald von Demandowsky an die Front, und Ewald von Demandowsky verschwindet. Sie kehrt noch ein paar mal zurück in das Haus in der Gelfertstraße und muss zweimal den Koffer packen. Einmal wird sie vertrieben von den Russen und das zweite Mal von den Amerikanern, die sich dort dann angesiedelt haben. "

"Dann geht Hildegard Knef nach Amerika, hat dort Erfolg und soll zurückkommen nach Berlin als UFA-Star Nummer eins. Die UFA versucht sich wieder neu zu gründen, und sie bezieht ein zweites Mal ein Haus in Dahlem in der Finkenstraße. Das Problem ist, dass der Film, den sie dreht, kein großer Erfolg ist und damit auch die erwarteten Wünsche an sie als UFA-Star Nummer eins nicht erfüllt werden, und sie verlässt dann Dahlem und zieht weg, geht wie ganz viele Schauspieler in Richtung Starnberg (…) das ist ganz bezeichnend, ganz viele Schauspieler, die sind spätestens nach dem Mauerbau nach Starnberg oder Grünwald. "

In den 50er und 60er Jahren, als West-Berlin zur Insel wurde, zogen viele Filmstars und Industrielle nach München oder ins Voralpenland. Das großbürgerliche Leben fand jetzt woanders statt, und es gab nur noch wenige Prominente, wie den Filmproduzenten Arthur Brauner oder einzelne Akteure des Nachkriegsfilms, wie Paul Hubschmid oder Martin Held, die Berlin und ihrem Dahlem die Treue hielten. Auch Schauspieler wie Bernhard Minetti waren geblieben, und natürlich die Musiker der vielen Orchester der Stadt.

Der Wissenschafts-Standort Dahlem bekam dagegen nach dem Krieg, unter völlig neuen Voraussetzungen noch einmal eine Chance. Am 4. Dezember 1948 wurde die Freie Universität gegründet und mit amerikanischen Spendengeldern aufgebaut. Dahlem wurde dann doch noch zu einem deutschen Oxford."

" Diese Villen, die es gab, und dann hat man auch sehr luftig, sehr frei, eben in dem Stil der 60er Jahre noch die zusätzlichen Institute gebaut. Und geschlungene Wege eben zu den einzelnen Instituten, dass wenn man heute noch durch das Gelände geht und die Studenten dort anschaut, dass es eben kein festes Institut gibt wie die Humboldt-Universität, sondern eben ganz viele kleine Institute und dazwischen, gerade im Sommer, gehen die Studenten oder liegen eben teilweise auch auf der Wiese und lesen Bücher. Also das ist das Oxford, das man sich eigentlich vorgestellt hat, das hat die FU tatsächlich verwirklicht. "

Als Student hat Rüdiger Reitmeier das angelsächsische Ambiente der Campus-Universität genossen. Heute, wo er den Stadtteil erforscht und sich um stadt- und lebensgeschichtliche Zusammenhänge kümmert, kommt es ihm reichlich seltsam vor, dass die wilden Achtundsechziger, mit ihrem rabiaten Aufklärungsgestus und auch die darauf folgende Studentengeneration nie so genau wissen wollten, in welchem Umfeld sie eigentlich studierten.

" Wir haben uns eigentlich nie gefragt, wer darin vorher gewohnt hat, wie es dazu kam, dass die FU dort Villen besiedelt. Das gleiche war bei den Komparatisten, das war auch eine Villa, das war eben die FU, dann gab es ein paar moderne Bauten, aber man hat sich eigentlich nie gefragt, was war da vorher oder was ist vorher geschehen. "

An einem trüben Wintermorgen sitzen die Dahlemer Lokal-Forscher im Halbkreis und erzählen Geschichten von den Dahlemer Häusern und ihren Bewohnern. Wenn man so will, steht die mobile Container-Behausung im größtmöglichsten Kontrast zu den noblen Villen gleich draußen vor der Tür. Die Lokalforscher ficht das nicht an, mit solch platten Äußerlichkeiten braucht man ihnen gar nicht erst kommen. Aus ihrer tagtäglichen Arbeit wissen sie ganz genau, wie fragil und verworren die Schicksale von Häusern und Bewohnern sein können.

"Nehmen Sie nur als Beispiel die Villa im Faradayweg 10", sagt Harry Balkow.
" 1915 wohnte da der Chemiker Richard Willstätter, der ja auch im gleichen Jahr den Nobelpreis für Chemie bekommen hat, und ein späterer Eigentümer war der Direktor der Deutschen Bank Richard Ullner. Richard Ullner hat am 25. Mai 1938 diese Villa verkauft und zwar an die Oberste Polizeiverwaltung des Reiches. "

Am 9. Juni 1938 wurde dem Zehlendorfer Bezirksbürgermeister vom Obersten Polizeichef des Reiches mitgeteilt, dass das Haus Willstätters von nun an die Dienstwohnung Kurt Dalueges sei, also jenes Mannes, der die Verantwortung für die Vernichtung von Lidice trägt.

" Kurt Daluege war SS-Oberstgruppenführer und Nachfolger von Heydrich als stellvertretender Protektor von Böhmen-Mähren, der dort bis 1945 gewohnt hat. Und ab 46 war diese Villa Faradayweg 10 der Amtssitz von Otto Dibelius, dem späteren Evangelischen Landesbischof. "

Richard Willstätter, Richard Ullner, Kurt Daluege und Otto Debelius. Das sind die vier Namen und vier Schicksale, die mit der Villa im Faradayweg 10 verbunden sind.

" Interessant ist noch, dass erst 1962 dieses Haus an die Evangelische Kirche verkauft wurde, für 230 000 Mark damals, ein paar Jahre später hat die Evangelische Kirche dieses Haus dann wieder verkauft, mit Kaufvertrag vom 9.11.67, also fünf Jahre später, und aus dem Kaufpreis wurde dann innerhalb von fünf Jahren ein Verkaufspreis von fast 700 000 Mark. "

Die Grundstückspreise zogen an. Dahlem war wieder eine gute Adresse, auch wenn das Großbürgertum und die Stars aus den 30er Jahren nun Vergangenheit waren. Man gab sich selbstgenügsam und zahlte wie überall den Tribut des Fortschritts, der im Fall Dahlem eigentlich dann doch eher ein Rückschritt war, wenn man Jörg Riedel erzählen hört.

" Es haben sich allmählich dann doch Veränderungen vollzogen, auch dadurch, dass man Grundstücke aufgeteilt hat, Hammergrundstücke gebildet hat, und die Bebauung insgesamt etwas dichter wurde, auch aufgrund der Tatsache, dass manche Villa leer stand, dem Verfall preisgegeben wurde und dann durch eng bepackte Mehrfamilienhäuser ersetzt wurde, hat natürlich eine Veränderung auch der sozialen Struktur in Dahlem erbracht. Wogegen sich die Dahlemer auch immer wieder wehren. Wir haben also verschiedentlich Beispiele erlebt, wo wir auf der Straße angesprochen wurden, darum gebeten wurden, hier doch auf diesen Missstand hinzuweisen, dass hier immer wieder Villen leer stehen, verfallen und dann durch gesichtlose Häuser ersetzt werden. "

Die schlimmsten Prüfungen scheinen fürs Erste vorbei. Seit Berlin wieder eine funktionierende Hauptstadt ist, entfaltet auch Dahlem wieder Glanz und Kraft. Trotzdem wird Rüdiger Reitmeier nachdenklich und leicht melancholisch, wenn er von Dahlem spricht. Das wundert kaum, wenn man alle Schicksale kennt, die er und seine Kollegen erforscht und aufgeschrieben haben.

"Ich fand ganz interessant, wenn man sich mit Dahlem beschäftigt, dass es doch eine Geschichte der Elite ist, einer Elite, die immer glaubte, für sich Häuser für die Ewigkeit zu bauen, für immer und das doch die Geschichte zeigt, dass sich die Geschichte ändert, dass Leute aus den Häusern gehen oder raus müssen, neue Eliten dann die Häuser wieder in Besitz nehmen. Von daher ist Dahlem ein sehr guter geschichtlicher Spiegel, wer oder was in Deutschland die Elite war, wie das geändert hat. Jetzt, zurzeit ist eine neue Elite da, das sind natürlich auch Industrielle, aber auch unsere Politiker sind wieder gern in Dahlem, bestes Beispiel, der Bundespräsident hat hier seine Villa oder auch unser Außenminister. "

Literatur:
Burkhard Sonnenstuhl (Hg.): Eine noble Adresse. Prominente in Berlin Dahlem und ihre Geschichte. Berlin (berlin edition) 2005