Berichte aus ganz unterschiedlichsten Wahnwelten

06.03.2013
In seinem neuen Erzählband präsentiert Markus Orths, ein virtuoser Autor insbesondere der kurzen Form, Protagonisten, die Opfer von Übertreibung und Wahn werden. Orths erweist sich dabei als ein großer Könner.
Markus Orths ist ein Meister der Kurzstrecke. Wenn es dazu noch eines Beweises bedurft hätte, mit diesem seinem mittlerweile vierten Erzählungsband liefert er ihn. Zwei seiner acht neuen Geschichten sind von so nachgerade klassischer Qualität, dass man ihnen die Aufnahme in die Lehrpläne nur dringend wünschen kann.

Da ist zum einen das erzählerische Glanzstück "Bischoff gegen BRD" – Orths’ Variation auf das von Hans Magnus Enzensberger in "Mittelmaß und Wahn" gesungene Lob des bundesrepublikanischen Durchschnittsbürgers: Im Mittelpunkt steht Karl Bischoff, ein in jeder Hinsicht maßvoller, gewöhnlicher, ruhiger Mensch. 70 Jahre alt, Rentner, schon seinem einstigen Beruf nach ein Inbild der Ausgeglichenheit, handelt es sich bei ihm doch um einen pensionierten Waagenbauer.

Bischoffs einzige Sorge ist die, in all seiner Normalität den Ansprüchen seines rebellischen Sohns nicht zu genügen. Ruben ist Attac-Mitglied, "Revolutionär" und Globalisierungsgegner, stets mit dem Vorwurf zur Hand, sein Vater hätte "sich engagieren" können, dies aber immer aus Bequemlichkeit unterlassen. Eines Tages nun beschließt Karl Bischoff ganz entgegen seiner Gewohnheit aufzubegehren. Er verklagt den deutschen Staat wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder beim Bau einer Metrorapid-Strecke – und avanciert zu einem Vorzeige-Wutbürger avant la lettre.

Die Bild-Zeitung feiert Bischoff, er wird zur Identifikationsfigur all derer, die in der Politik grossangelegte Steuerverschwendung am Werk sehen, er wächst über sich hinaus, gewinnt vor Gericht – und steht am Ende doch einem völlig verständnislosen Sohn gegenüber, der ihm die Anerkennung versagt, weil er sich bei seinem Feldzug leider mit den falschen Mächten – dem bösen Boulevard - verbündet hat. "Karl Bischoff war dabei, etwas zu tun, was ein Mann namens Karl Bischoff eigentlich niemals getan hätte. Er hatte sich selbst überholt, er war sich selbst über den Kopf gewachsen." Mit bitteren Folgen, denn nicht nur sein Buhlen um Liebe läuft ins Leere. Orths schildert all das in mitreißender Lakonie – zu der auch humoristischer Hintersinn zählt, der sich in solchen Sätzen ausdrückt: "Seine Frau hatte er schon früh ins Grab gebracht."

Das andere Kleinod (und übrigens die einzige der acht Erzählungen, in welcher der Titel gebende Satz "Irgendwann ist Schluss" auffälligerweise nicht fällt) ist "Pygmalion Soap": Hier steht der Drehbuchautor einer Scripted-Reality-Doku im Zentrum, der sein Leben "im Container" zubringt, Dialoge entwerfend für die darin freiwillig sich den Kameras Ausliefernden. Ein 43jähriger Zyniker, der an die Liebe schon lange nicht mehr glaubt. Dann begegnet er eines Tages seiner großen Jugendliebe wieder, Barbate Limbo, die durch einen Unfall zu einem "sudden savant" geworden ist:

Sie kann zwar mit bestechender Präzision beliebigen historischen Daten den jeweiligen Wochentag zuordnen, weiß aber nahezu nichts mehr von ihrer Vergangenheit, weil sie einen umfassenden Gedächtnisverlust erlitten hat. So erkennt sie auch ihren Freund von vor 25 Jahren - den Ich-Erzähler - nicht wieder, der sich ihre Ahnungslosigkeit perfide zunutze zu machen und sie nun nach seinen Erinnerungen zu modellieren versucht. Auch hier steigert sich jemand – wie in fast allen Erzählungen – in einen Wahn hinein, und egal ob Liebeswahn oder Sicherheits- oder Verfolgungswahn, Orths erweist sich als ein großer Könner im Zeichnen unterschiedlichster Wahnwelten.

Besprochen von Knut Cordsen

Markus Orths: Irgendwann ist Schluss. Erzählungen.
Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2013, 246 Seiten, 19.95 Euro