Berechtigt, aber unklug

Von Andreas Baum, freier Journalist |
Die Bahngewerkschaften sind in einem echten Dilemma. Einerseits war ihr Warnstreik erfolgreich: Er hat mit wenigen Beschäftigten im Ausstand eine maximale Wirkung erzielt. Bis in die Nacht hinein werden in Deutschland Züge verspätet sein oder gar nicht fahren. Dominoeffekte führen dazu, dass auch im Fernverkehr Anschlüsse verpasst werden – obwohl hier gar nicht gestreikt wurde: Effizienz also, auch im Arbeitskampf.
Am Ende aber könnte sich dieser Erfolg als Pyrrhussieg erweisen. Denn anders als in den Arbeitskämpfen der vergangenen Jahre fehlt den allermeisten Kunden jedes Verständnis für das Anliegen der Gewerkschaften – aus gutem Grund: Um zu erklären, wofür eigentlich gekämpft wird, bräuchte es ein Seminar in Tarifpolitik – und für das hat, wer auf dem Bahnsteig steht und friert, weder Zeit noch Nerven.

Die Lage ist kompliziert. Denn Lohnuntergrenzen mit Lohnuntergrenzen, quasi mit einem Mindestlohn, wollen alle Beteiligten, die Bahn AG ebenso wie die Gewerkschaften, aber auch die Privatbahnen: Zwar konkurrieren sie mit der Großen Bahn meist über den Preis, dennoch spüren auch sie, dass ein Wettbewerb auf Kosten der Beschäftigten Sicherheit und Qualität gefährdet. Sie sind nicht gegen Mindestlöhne. Wenn sich also alle einig sind, warum dann die Streiks?

Die Bahn AG kann sich entspannt zurücklehnen und den Bahngewerkschaften Transnet und GDBA Unlogik vorwerfen: Wir können uns gar nicht so verhalten, sagt sie, dass ihr mit Streiken aufhört. Denn die Bahn für sich genommen ist mit allem einverstanden, was die Gewerkschaften fordern – etwas scheinheilig zeigt sie mit dem Finger auf die Privatbahnen, die der Sturheit bezichtigt werden und der Lohndrückerei – dabei hat die Bahn selbst eine Reihe von Tochterfirmen ausgegründet, die in Zukunft ebenfalls Niedriglöhne zahlen sollen, um die privaten Mitbewerber an einer zweiten Front angreifen zu können.

Um diese Tochterfirmen geht des den Gewerkschaften eigentlich – sie wollen erreichen, dass die Bahn sie wieder schließt. Darüber hinaus soll die Bahn sich mit den Privaten an einen Tisch setzt und über Branchentarifverträge verhandeln – das aber wäre neu in der Tarifpolitik – wenn die Arbeitgeber sich nicht einig sind, ist das deren Sache. Niemand kann Konkurrenten dazu zwingen, miteinander zu reden. Und die Gründung von neuen Firmen ist nicht die Angelegenheit der Beschäftigten. Kurzum: Was die Gewerkschaften eigentlich erreichen wollen, lässt sich durch einen Arbeitskampf nicht erzwingen. Nur wissen sie selbst nicht, welches Mittel sie sonst anwenden können, um Druck auszuüben: Es gibt nämlich keins.

Die Streiks im Nahverkehr mögen rechtmäßig sein, klug sind sie nicht. Der Imageschaden für die Gewerkschaften dürfte erheblich sein. Ausrichten werden sie wenig, die Arbeitnehmer werden am Ende froh sein, wenn sie ohne Gesichtsverlust aus der Sache wieder herauskommen. Was bleibt, ist eine Lektion: Nicht jede Aktion, die das Streikrecht hergibt, macht auch Sinn.
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