Benjamin Brittens "Albert Herring" in München

Regie verschenkt zeitgenössisches Potenzial

Der britische Komponist Benjamin Britten am 14. April 1953 in London.
Der britische Komponist Benjamin Britten am 14. April 1953 in London. © picture alliance / dpa / Central Press
Von Franziska Stürz · 05.04.2016
In einer exzessiven Saufnacht versucht sich Albert Herring in Benjamin Brittens gleichnamiger Oper von allen Tugenden zu befreien. Leider schafft es Regisseur Robert Alföldi an der Bayrischen Staatsoper nicht, die Gesellschaftskritik des Stücks ins Heute zu übertragen.
Die Gratwanderung zwischen Komödie und Tragödie ist steil in Benjamin Brittens einziger komischer Oper "Albert Herring". Wieder einmal geht es um einen von der Gesellschaft misshandelten jungen Mann, der sich aber aus seiner Opferrolle zu befreien versucht, indem er in einer exzessiven Saufnacht alle vermeintlichen Tugenden von sich abstreift. Das kann durchaus komisch sein, wenn es gelingt, die Satire und die Gesellschaftskritik in dem Stück aktuell zu übertragen.
Leider verweigert der ungarische Regisseur Robert Alföldi in seiner "Albert Herring"-Interpretation an der Bayrischen Staatsoper jegliche Bezüge auf aktuelle gesellschaftliche Missstände, auf das Thema Ausgrenzung, Mobbing oder die Diskussion um kulturelle Werte. Er bleibt schön brav bei der Geschichte, verlegt sie an keinen konkreten Ort und zeichnet die Repräsentanten der prüden Gesellschaft als Stereotypen ohne wirkliche Seele.

Regisseur Alföldi lässt Sänger kaum agieren

Alle werden beherrscht von der reichen Lady Billows mit ihrem Tugendwahn, und Miranda Keys überragt in Präsenz, Stimme und komischem Ausdruck alle anderen Sängerdarsteller. Die Mitglieder des Opernstudios zeichnen sich allesamt durch außergewöhnlich schöne Stimmen aus und haben auch spielerisch einiges zu bieten, doch Alföldi beschränkt sich darauf, sie meistens parallel zur Rampe und frontal zum Publikum in revueartigen Reihentänzchen auf der engen schwarzen Bühne des Cuvilliéstheaters agieren zu lassen. Das langweilt nach den ersten 30 Minuten und erinnert in der hilflosen Suche nach etwas mehr Ausdruck schmerzhaft an Intendantenvorsingen für junge Solisten.
Marzia Marzo und John Carpenter als verliebte, aufmüpfige Jugendliche Nancy und Sid bleiben trotz schöner Gesangspassagen zu verhalten, der optimal besetzte Petr Nekoranec hat immerhin sichtbar Spaß an seiner Rolle, aber auch er wird auf das frontale Ansingen des Publikums reduziert. Das Ausbrechen aus starren Zwängen ist bei Alföldi der wörtlich genommene Versuch, über die Bühnenrampe zu kommen, was ankommt sind nicht viel mehr als Klischees.

Dirigentin zeigt Gespür für vielschichtige Komposition

Im Graben agiert Oksana Lyniv, die junge Assistentin von GMD Petrenko, mit besserem Gespür für die Spitzen in Brittens vielschichtiger Komposition. Auch wenn die Kammeroper nur mit zwölf Musikern besetzt ist, muss hier sehr genau koordiniert und mit viel Flexibilität dirigiert werden. Das Rampensingen erleichtert natürlich das komplexe Zusammenspiel, sodass dieser "Albert Herring" zumindest musikalisch überzeugen kann.
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