Benedikt Böhm

Der Extrem-Bergsteiger

Benedikt Böhm
Benedikt Böhm © Foto: Andi Hörmann
Von Andi Hörmann · 11.12.2014
Benedikt Böhm bezwingt Achttausender so kompromisslos wie kaum ein anderer. Seit heute läuft der Dokumentarfilm "Sieben Tage im September". Er erzählt die Geschichte der Freundschaft zweier Ausnahmebergsteiger und ihrer Lust am Risiko.
München-Harlaching, 8:45 Uhr, zwei Grad Celsius, der Atem formt Wolken. Ein kleines Einfamilienhaus in einem ruhigen Wohnviertel zwischen Isar-Hochufer und Perlacher Forst. An der Haustür steckt der Schlüssel − eine Angewohnheit, die Benedikt Böhm von seinen Eltern übernommen hat. Klingel gibt es keine. Also Klopfen. Seine Frau öffnet die Tür: das hustende Baby auf dem Arm. Es gibt heißen Kaffee.
"Unser Haus war auch immer offen. Ich habe nie einen Hausschlüssel gehabt. Bei ihr war es genauso. Da bist du reingekommen, da war genau dieselbe Atmosphäre. Wir sind beide auch hier aufgewachsen. Sie: genau da vorne in der Straße, die Veronika. Und ich: genau da vorne in der Straße. Also wir sind genau in der Mitte zwischen unseren Elternhäusern."
"Kennt ihr euch schon so lange?"
"Ihre Mutter ist sogar meine Patentante."
Benedikt Böhm wird 1977 als fünftes von sechs Kindern geboren. Sein Vater ist Kunstmaler und Grafiker. Die Mutter: Kunsthistorikerin.
"Es war eigentlich so, dass wenn man auf einen Baum geklettert ist, wurde eigentlich eher gesagt: wow, toll, dass du das geschafft hast. Nicht: Ich habe Angst. Das sehe ich eigentlich jetzt erst, wo ich selber zwei Kinder habe, wie schwierig das eigentlich ist, dieses Loslassen-Können. Und das konnten meine Eltern extrem."
Urvertrauen, gesunder Menschenverstand und ein gewisser Sinn für Gelassenheit ist ihm in die Wiege gelegt. Nur wohin mit der Hyperaktivität? Zur Schulzeit war die eher hinderlich. Doch dann entdeckt er den Ski-Langlauf:
"Das war das erste Mal, dass ich auch meine Energie erfolgreich umsetzen konnte. Davor war sie eigentlich immer hinderlich. Dann war sie auf einmal förderlich: als junger Kerl mit elf, die ersten zwei Rennen war ich Zweiter und Erster. Und ich weiß noch, wie ich mit dem Pokal ins Bett gegangen bin. Das hat mich schon enorm geprägt."
Böhm erzählt gerne von seinen sportlichen Extremen
Mit Ehrgeiz und Disziplin zum Ziel, ein scheinbar simples Erfolgsrezept. Benedikt Böhm studiert in Massachusetts und Oxford BWL. Heute ist er internationaler Geschäftsführer eines marktführenden Outdoor-Unternehmens für Skitouren-Sport. Doch vor allem ist er Extrem-Ski-Bergsteiger. Seine Erfahrungen vermittelt er in Impuls-Vorträgen auf Management-Seminaren:
"Schnell hoch, schnell runter. Schnell rein in die Todeszone, schnell wieder raus, um das Risiko dadurch zu minimieren. Also ohne dieses vorher auf die Schnauze fallen, wie es auch oft im Leben ist, macht man es dann eben auch nicht richtig."
Wie Benedikt Böhm so dasitzt, und beim Erzählen mit einem kleinen Schlüssel spielt, der gerade auf dem Wohnzimmertisch rumliegt − die blonden Haarspitzen, der Drei-Tage-Bart, die blauen Augen voller unschuldig kindlichem Leuchten. Lebensfroh und charismatisch. Hinter ihm die Matratzen-Spielwiese seiner beiden Kinder, an der Wand historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Skirennläufern. Eine Haus mit massiven Holz-Möbeln − stilvoll schlicht restauriert. Seine Frau ist Modedesignerin.
"Sie kann glaube ich nachvollziehen, dass jedes Mal, wenn ich hier zur Tür reinkomme und vom Berg komme, dass ich einen riesigen Smile im Gesicht habe und ausgeglichen bin und gut drauf. Und es ist ja auch was Schönes, wenn man für sich so etwas findet."
"Unten im Haus gibt es einen kleinen Luftschutzbunker, noch aus dem zweiten Weltkrieg. Und da sieht du ziemlich viel Bergsport."
"Magst du mir den kurz zeigen?"
"Ja, logisch. Können wir gerne hin."
"Das ist alles Stahl, oder? Ja, gut, hier sieht es ja aus wie im Sportgeschäft."
"Du, das sind halt so meine ganzen Babys... Also das ist der Original-Ski, wo ich jetzt am Shishapangma war. Die ich dann auch nicht mehr anfasse. Das sind für mich so kleine Heiligtümer. Und mit dem war ich am Manaslu, 2012. Das ist der Original-Ski, mit dem wir da unterwegs waren. Mit dem wir zum Lawinenfeld gegangen sind, mit dem ich auch, ja, ein paar Tage später am Gipfel war."
Benedikt Böhm erzählt gerne von seinen sportlichen Extremen. Zwei Narben an seinem rechten Wangen-Knochen sind frühe Indizien eines jungen, bewegten Lebens:
"Ja, die waren beim Eishockey, interessant, dass du die siehst. Da habe ich mal einen Schlittschuh ins Gesicht bekommen."
Narben, Prellungen, Schürfwunden − Verletzungen sind nur ein geringes Übel für einen Extrem-Alpinisten auf den Weg zu den höchsten Gipfeln dieser Welt. Ein Leben am Limit, in seinem Film „Sieben Tage im September" wird es eindrucksvoll dokumentiert − Höhen und Tiefen einer 8000er-Expedition im Jahr 2012 mit verheerendem Lawinenunglück:
"Es war eigentlich keine Lawinengefahr, aber da oben war eben dieser Hänge-Gletscher, der in diesen riesigen Hang geschaut hat, und dann..."
Zwei Jahre später, am 24. September 2014, stirbt Sebastian Haag, der beste Freund von Benedikt Böhm, bei einer Berg-Expedition in Tibet:
"Ja, der Basti ist verunglückt bei einer Lawine, vor zwei Monaten am Shishapangma. Was natürlich schon ein riesiges Loch reinreißt. Klar, weil das natürlich der Mensch war, mit dem man wahnsinnig viele Dinge geteilt hat und mit dem sich das auch die ganze Zeit so entwickelt hat. Also das ist schon..."
Es sind die Pausen zwischen den Wörtern, die Bände sprechen − von der Sehnsucht nach der Einsamkeit in den Bergen, vom Leben mit dem Extrem. Am Rande der Todesgefahr:
"Dieses Restrisiko will ich gar nicht runterspielen, das ist hundertprozentig da. Aber ich glaube, das ist auch der Preis, den wir zahlen müssen, für ein besonders intensives Leben, das wir leben dürfen."
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