Benedict Wells: "Hard Land"

Der eine Sommer, nach dem alles anders war

06:04 Minuten
Das Cover zeigt das Acquarell-Bild einer Person, die bekleidet mit den Füßen in einem Waldsee steht.
Kein Pathos, kein Kitsch, aber viel Witz und Lebensweisheit: Benedict Wells' "Coming of Age"-Geschichte überzeugt. © Deutschlandradio / Diogenes
Von Dorothea Westphal · 02.03.2021
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Wie schmerzhaft es sein kann, erwachsen zu werden, davon hat Benedict Wells zuletzt in seinem Bestseller "Vom Ende der Einsamkeit" erzählt. In "Hard Land" widmet er sich erneut diesem Thema: humorvoll, bittersüß und voller Zuneigung für seine Figuren.
Was tun, wenn der beste Freund nach Kanada gezogen ist und die Eltern einem eröffnen, dass man die großen Ferien bei seiner Tante und zwei verhassten Cousins verbringen soll? Da kommt es dem 15-jährigen Sam gerade recht, dass im einzigen Kino des Ortes eine Aushilfe gesucht wird. Es ist der Beginn eines Sommers, den Sam nie vergessen wird.

Mutter hat einen unheilbaren Hirntumor

"In diesem Sommer verliebte ich mich und meine Mutter starb." So beginnt diese klassische "Coming of Age"-Geschichte. Sie spielt Mitte der 1980er-Jahre in den USA, im kleinen Ort Grady in Missouri, einem Ort im Niedergang seit das Stahlwerk geschlossen wurde.
Seitdem ist auch Sams Vater arbeitslos. Die Mutter, eine Buchhändlerin, hat einen unheilbaren Hirntumor. Sam, der aus der Ich-Perspektive erzählt, blickt ein Jahr später auf diesen so bedeutsamen Sommer zurück, in dem er neue Freunde findet, mit dem Tod seiner Mutter zurechtkommen muss und schließlich erwachsen wird.
Der Job im Kino verändert alles für den introvertierten Sam, der Gitarre spielt und Songs komponiert. Zwar sind die zwei Jungen und das Mädchen, die dort bereits arbeiten, schon etwas älter und kennen sich schon länger. Aber sie nehmen Sam bald in ihre Clique auf.

Ihm scheinen Flügel zu wachsen

Immer wieder muss Sam in diesem Sommer die Flucht nach vorne antreten, um seine Ängste zu überwinden. So wagt er den Sprung aus großer Höhe in einen See und bietet selbst einem stadtbekannten Schläger die Stirn - ausgerechnet an dem Tag, an dem seine Mutter beerdigt wird und er gemeinsam mit seiner älteren Schwester ein denkwürdiges Abschiedskonzert in der Kirche gibt.
Ihm scheinen in diesem Sommer, den die Songs von Billy Idol oder Bruce Springsteen begleiten, buchstäblich Flügel zu wachsen – auch durch die Unterstützung seiner neuen Freunde: Hightower, der schwarze Footballspieler und der schwule Cameron, wie er ein Außenseiter. Und durch die Liebe zu Kirstie, die in einer Kladde die ersten Sätze von Romanen sammelt, sich eigentlich für ältere Jungs interessiert und deren Verhalten ihn so verwirrt "wie süßsalziges Popcorn".

Ton schwebend leicht und bitter süß

Alle Figuren im Roman sind liebevoll und genau gestaltet. Der Titel "Hard Land" ist auch der Titel eines Buches, über das die Schülerinnen und Schüler in der 11. Klasse traditionell einen Aufsatz schreiben müssen, um dessen geheime Botschaft zu entschlüsseln. Dessen Autor lebte einst in Grady. Seine "Geschichte des Jungen, der den See überquerte und als Mann wiederkam" erzählt in fünf Akten von der Härte des Erwachsenwerdens.
Es geht um Mut und Vertrauen, – in andere und in sich selbst – sowie um die grundsätzlichen Dinge des Lebens, die Liebe und den Tod. Das Erstaunliche: Der Ton, in dem Wells, ebenfalls in fünf Akten, davon erzählt, ist so schwebend leicht und bittersüß wie der Sommer, in dem doch so viel Schwerwiegendes geschieht.

Voller Witz und Lebensweisheit

Die Balance gelingt, weil die Perspektive, aus der Wells Sam von seinem Erwachsenwerden und intensiven Gefühlen erzählen lässt, voller Witz und Lebensweisheit ist, aber nie pathetisch oder gar kitschig.
Da passt auch das Ende, das folgerichtig auf einem See spielt und das man Sam von ganzem Herzen gönnt.

Benedict Wells: "Hard Land"
Diogenes Verlag, Zürich 2021
352 Seiten, 24 Euro

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