Ben Macintyre: „Der Spion und der Verräter“

Dreiecksspiel um zwei Doppelagenten

06:56 Minuten
Das Buchcover von "Der Spion und der Verräter" zeigt den Buchtitel in großer roter Schrift, darunter einen Agenten mit einem Koffer in der Hand.
© Insel Verlag

Ben Macintyre

Aus dem Englischen von Kathrin Bielfeldt und Jürgen Bürger

Der Spion und der VerräterInsel Verlag, Berlin 2023

476 Seiten

28,00 Euro

Von Arno Orzessek · 11.12.2023
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Ben Macintyre beweist in seinem Non-Fiction-Thriller "Der Spion und der Verräter" die Akribie eines Historikers. Packend erzählt er, wie der Agent Oleg Gordijewski im Kalten Krieg die Seiten wechselt und dem Westen so viel verrät wie kaum jemand.
Dass "Der Spion und die Verräter" die „spektakulärste Geheimdienstgeschichte des Kalten Krieges“ sein soll, davon merkt man erst einmal wenig. Das ist gut so. Ben Macintyre beginnt die Geschichte von Oleg Gordijewski ohne Tamtam zu erzählen.
Gordijewski ist ein intelligenter, neugieriger, lesehungriger und kulturbeflissener Mensch, der als Sohn sowjetischer KGB-Agenten in die Schattenwelt der Spionage hineingeboren wird. Er möchte der Sowjetunion aus Überzeugung treu dienen.
Als Agent im schicken Kopenhagen lernt er den Westen und die Freiheit lieben. Anlässlich der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 bricht er endgültig mit der kommunistischen Ideologie. Als hochrangiger KGB-Offizier in London versorgt er den britischen Geheimdienst MI6 mit Informationen über den KGB und die Denkweise im zunehmend paranoiden Kreml der späten Breschnew-Ära und der Übergangszeit unter Juri Antropow.

Abgründiges Dreiecksspiel

Gordijewski ist gewiss ein besonderes Kind des Kalten Krieges. Macintyre schildert dessen Leben mit Respekt und erkennbarer Sympathie. Es ist ein Leben in immer größerer Lebensgefahr. Denn der MI6 ließ die Geheimdienste verbündeter Mächte hinsichtlich der Identität ihrer reich sprudelnden Quelle im Dunkeln.
Darum beauftragte die eifersüchtige CIA den Agenten Aldrich Ames, die ominöse Angelegenheit aufzuklären. Ames jedoch, ein geldgeiler, frustrierter Typ, der gerade eine materiell anspruchsvolle Kolumbianerin geheiratet hatte, ließ sich zugleich vom KGB anwerben und entlohnen.
Umgehend entwickelte sich um Gordijewski und Ames ein abgründiges Dreiecksspiel von MI6, KGB und CIA. Während man es verfolgt, muss man sich oft daran erinnern, dass es um keine völlig ausgeflippte Fiktion geht.

Gordijewski soufflierte Protagonisten der Weltgeschichte

Ganz im Gegenteil. Als anlässlich des NATO-Manövers „Able Archer83“, das die UdSSR als ernsthafte Vorbereitung eines westlichen Erstschlags missdeutete, ein Atomkrieg so nahe erschien wie seit der Kuba-Krise 1962 nicht mehr, verließen sich die britische Premierministerin Thatcher und US-Präsident Reagan mehrfach auf Gordijewskis Informationen.
Nicht anders, als es um die Einschätzung des aufstrebenden Michail Gorbatschow ging. Es wäre übertrieben zu sagen, dass Gordijewski Weltgeschichte geschrieben hat. Aber er hat einigen ihrer Protagonisten wichtige Details souffliert und war durchaus stolz darauf.

Nervenaufreibende Flucht aus Russland

Als Gordijewski 1985 nach Moskau zurückbeordert wird, ist er praktisch ein toter Mann. Aufgrund von Ames' Hinweisen – er ist der „Verräter“, klar – durchschaut der KGB mittlerweile, was gespielt wird.
Nur der allerletzte Beweis und ein Geständnis fehlen noch. Trotz strengster Beobachtung gelingt Gordijewkis auf einer vom MI6 vorbereiteten Route über Finnland die nervenaufreibende Flucht nach London. Nicht erst hier erfüllt „Der Spion und der Verräter“ die höchsten Ansprüche, die man an einen Non-Fiction-Thriller stellen kann.
Macintyre hat die Quellen gründlich studiert, er hat ausführliche Interviews mit Gordijewski und mit diversen MI6-, CIA- und KGB-Agenten geführt, er beweist den Überblick und die Akribie eines Historikers und er kann gut erzählen. Sie glauben bislang, kein Interesse an der Schattenwelt der Spionage zu haben? Nun, dann fangen Sie doch mal an zu lesen!
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